Deutschland. Digital. Demokratisch.

Dokumentation zur Fachtagung

Internationale Schlaglichter

Eine bekannte Volksweisheit fordert uns auf, “über den eigenen Tellerrand zu schauen” und sich so offen für die Erfahrungen und das gewonnene Wissen anderer zu zeigen. Diesem Credo folgte die Veranstaltung und stellte den Teilnehmenden anschließend ein internationales Potpourri mit digitalen Partizipationserfahrungen vor. Kurze Vorstellungen von best practices und daraus entwickelte Empfehlungen kamen aus Island, Finnland und der Schweiz. Sie reflektierten sowohl die zivilgesellschaftliche als auch die behördliche Perspektive auf digitale Partizipation. 

Robert Bjarnason, Präsident der Citizens Foundation Island, erörterte die Frage, wie digitale Innovationen die Demokratie stärken können. Die gemeinnützige Stiftung setzt sich seit 2008 für die Stärkung politischer Gemeinwesen mittels Open Source Technologie ein und betreibt dazu digitale Diskussionsplattformen bspw. zu participatory budgeting und policy crowdsourcing. Aus Sicht Bjarnasons ist es wichtig, dass politische Mandatsträger*innen den Dialog mit der Bevölkerung ernst nehmen. Letztere muss die Chance haben, politisch gehört zu werden. Digitale Plattformen stellen für ihn diesbezüglich ein adäquates Tool dar. Allerdings betonte er auch die Gefahr, dass Diskursprozesse verzerrt würden und verwies an dieser Stelle insbesondere auf die Gefahr werbegetriebener Algorithmen. Er erörterte, in welcher Weise sich die technischen Ausgestaltungen von Plattformen auf die Diskursqualität auswirken und warnte vor einer Privatisierung der demokratischen Infrastrukturen. Dieser Gefahr könne mittels open source software, Dezentralisierung und öffentlich betriebenen Servern begegnet werden. 

Die Demokratieberaterin der Stadt Reykjavik, Sigurlaug Anna Jóhannsdóttir, widmete sich der Frage, welche Rolle die digitale Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung städtischer Transformationsprozesse spielen kann. Die Stadt nutzt für Planungsprozesse intensiv digitale Plattformen wie bspw. das report web, das städtische Dienstleistungen besser zugänglich macht, und das viel beachtete Projekt MyDistrict. Bei letzterem handelt es sich um eine digitale Anwendung für participatory budgeting, die seit mehreren Jahren in Betrieb ist, stetig verbessert wird und großes Interesse bei der Bevölkerung hervorruft. 2021 wurden auf der Plattform über 1000 Vorschläge eingereicht, von denen schließlich 111 Ideen im kommenden Jahr im Wert von 5,6 Mio. Euro umgesetzt werden. Jóhannsdóttir schloss ihr Statement mit der Feststellung, dass digitale Beteiligungsprozesse ein wichtiges Element darstellen. Ihr Erfolg hänge jedoch von einem glaubhaften Commitment seitens Politik und Verwaltung ab, da die Prozesse umfangreiche Ressourcen jeder Art benötigen. 

Kirsi Verkka, Stadtentwicklerin für Helsinki, stellte die Vorzüge digitaler Beteiligungsmethoden am Beispiel des zweiten durchgeführten participatory budgeting in ihrer Stadt vor. Sie betonte, dass digitale Formate ein guter Weg seien, um die Bedürfnisse der Menschen in politischen Gestaltungsprozessen sichtbar zu machen sowie einen Dialog zwischen Bürgerschaft und Politik bzw. Verwaltung zu führen. Anhand ihrer Ausführungen wurde deutlich, dass Partizipation – egal, ob digital oder analog – ein wichtiger emotionaler Faktor ist, da sie das Zusammengehörigkeitsgefühl fördert und Menschen das Gefühl der Dazugehörigkeit und des Gebrauchtwerdens geben kann. 

Vor dem Hintergrund der Schweizer Erfahrungen mit E-Voting diskutierte Stephan Ziegler, Bereichsleiter “Wahlen und Abstimmungen” des Kantons Zürich, abschließend die Möglichkeiten digitaler Mitentscheidung in der Zukunft. Er führte aus, dass im Zuge der Debatte um E-Voting die Sicherheitskonsequenzen von Softwarelösungen ein zentraler Aspekt seien. Dennoch werde es in den kommenden Jahren zu erheblichen Entwicklungen bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten kommen, insb. im Hinblick auf bessere Transparenz und Nachvollziehbarkeit sowie Open Government Data. Abschließend betonte er, dass es bei digitaler Partizipation niemals nur um die Frage digitalen Mitentscheidens gehe; im Mittelpunkt stünden stets auch Möglichkeiten zur Gestaltung von Meinungsbildungsprozessen, zum politischen Agenda-setting und  zur Einbindung bei der anschließenden Umsetzung politischer Maßnahmen. Vielversprechend sei dazu die Verflechtung digitaler mit analogen Prozessen im Rahmen hybrider Verfahren.

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Literaturhinweise

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