Partizipation und Digitalisierung

Aktuelle Entwicklungen von politischer Partizipation in Deutschland

Das Berliner Weizenbaum-Institut betrachtet in seinem jährlichen Report die Entwicklung von politischer Partizipation in Deutschland.

Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft führt jährlich in Kooperation mit der Freien Universität Berlin repräsentative Telefonbefragungen der deutschen Bevölkerung durch. Ziel ist, die politische Partizipation in Deutschland und verschiedene Erklärungsfaktoren im Zeitverlauf zu analysieren. Besonderer Fokus liegt dabei auf der Frage, wie digitale und soziale Medien politisches Handeln beeinflussen. Der Report zeigt, dass traditionelle, institutionell verankerte Formen der Beteiligung langsam an Bedeutung verlieren, während außerinstitutionelle, digital basierte Wege der Partizipation wichtiger werden. Insbesondere digitale Formen von Partizipation besitzen das Potenzial, soziale Unterschiede bei der politischen Beteiligung von Bürger*innen zu verringern, so ein Ergebnis der Studie. Der Report ist frei verfügbar und kann hier abgerufen werden.

Entwicklung verschiedener Formen politischer Partizipation

Mit Blick auf die Frage, wie Menschen sich politisch beteiligen, zeigen sich zwei zentrale Ergebnisse: Zum einen erscheinen Formen „traditioneller“ politischer Aktivitäten, wie das Engagement in Parteien oder Ehrenamt, das Kontaktieren von Politiker*innen oder die politische Mobilisierung anderer, in der Tendenz eher rückläufig. Außerinstitutionelle Formen, wie politische Beteiligung im Internet und in sozialen Medien und bewusstes Kauf- bzw. Verzicht-Verhalten („Buycott/Boykott“) gehören fest zum Repertoire politischer Partizipation. Auch die Teilnahme an Demonstrationen bleibt – nach einem durch Corona-Einschränkungen bedingtem Einbruch – weiter stabil. Zum anderen ist das Spenden an politische, soziale oder gemeinnützige Organisationen weiterhin die am häufigsten angegebene Form politischen Engagements – trotz politischer Unsicherheiten und Inflation. Die Gründe hierfür vermuten die Wissenschaftler*innen des Weizenbaum-Instituts in den internationalen Konflikten und Notsituationen des letzten Jahres, wie beispielsweise dem Krieg in der Ukraine.

Beteiligung autoritär eingestellter Personen

Im diesjährigen Report wird besonderer Fokus auf die Beteiligung autoritär eingestellter Personen gelegt. Hintergrund ist das Phänomen der „Dark Participation“ (Quandt 2018). Dunkle Partizipation bezeichnet dabei politische Partizipation, welche versucht, mit Formen demokratischer Beteiligung demokratische Institutionen oder die Demokratie selbst anzugreifen. Die Analysen geben hier zunächst Entwarnung, denn sie zeigen, dass autoritär eingestellte Personen alle Formen politischer Partizipation seltener als die Gesamtgesellschaft nutzen – auch online. Mit Blick auf den viel besprochenen Hass in sozialen Netzwerken schlussfolgern die Autor*innen, dass die wahrgenommene hohe Menge demokratiefeindlicher Beiträge im Internet vor allem durch eine kleine Gruppe besonders aktiver Personen zustande käme.

Vergleich von Personen mit hohem und niedrigem sozialen Status

Zudem wurde im Weizenbaum Report 2023 der Zusammenhang zwischen Partizipation und sozialem Status näher untersucht. Dazu wurden die Befragten gebeten, selbst ihren eigenen sozialen Status einzuschätzen. Die Ergebnisse zeigen, dass Personen, die ihren sozialen Status als eher niedrig einstufen, in allen Formen weniger politisch partizipieren als sozial besser gestellte Personen. Dies zeigt sich insbesondere bei institutionell verankerten Formen politischer Partizipation und bei ökonomischen Formen, wie Spenden und Buycott/Boykott. Digitale Formen von Partizipation hingegen scheinen weniger abhängig vom sozialen Status einer Person zu sein. Hier sind die Unterschiede von Menschen mit höherem und niedrigerem sozialen Status geringer. Die Autor*innen vermuten hier einen Hinweis darauf, dass die Digitalisierung Potenzial zur Abschwächung sozialer Unterschiede in der politischen Partizipation und zur Stärkung von Inklusion bietet.

Insgesamt ist die Tatsache, dass sozial benachteiligte Personen – trotz Lichtblicke durch digitale Beteiligungsformen – kritisch zu beurteilen. Wenn Bürger*innen in geringem Maße an politischen Prozessen teilhaben (können), birgt das eine Gefahr für die Demokratie: Partizipieren Bürger*innen weniger, wobei die Gründe hierfür zunächst unerheblich sind, werden ihre Stimmen und Interessen in der Politik weniger wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass diese Interessen in politischen Entscheidungsprozessen eine geringere Rolle spielen. Entscheidungen berücksichtigen dann weniger die Interessen dieser Menschen, was zu Frustration, Abkehr und Politikverdrossenheit führen kann.

Wie kann das verhindert werden? Das ist eine Frage, welche umfangreiche Diskussionen benötigt. Auch wenn die Frage an dieser Stelle keinesfalls abschließend beantwortet werden kann, steht fest, dass die Gründe, warum Menschen sich nicht beteiligen, minimiert werden müssen. Diese Gründe können unter anderem in fehlender Zeit, geringen ökonomischen Ressourcen oder mangelnden Sprachkenntnissen liegen. Politische Beteiligungsformate müssen daher möglichst niedrigschwellig und inklusiv sein, damit der Einfluss des sozialen Status auf politische Partizipation so klein wie möglich wird.

Quelle

Quandt, Thorsten (2018): Dark Participation. Media and communication. Volume 6, Issue 4, 36–48. doi: 10.17645/mac.v6i4.1519

Literaturhinweise

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Bundesrepublik 3.0 Forschungsbericht

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

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Politische Online- und Offline-Partizipation junger Menschen Sammelband

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Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien Forschungsbericht

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Jugendlandtage in den Bundesländern – Zwischen Dialog, Beteiligung, politischer Bildung und Nachwuchsförderung Forschungsbericht

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Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik Forschungsbericht

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Steffen Rudolph

Digitale Medien, Partizipation, Ungleichheit. Eine Studie zum sozialen Gebrauch des Internets Buch

Springer VS, Wiesbaden, 2019.

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