Gute Bürgerbeteiligung

Gelungene Beteiligung in Kommunen wird zukünftig ausgezeichnet

Ein Gespräch mit Dr. Andreas Paust über die Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ des Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e. V.

Herr Paust, Sie sind Vorsitzender des Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e. V. und haben jahrelange Erfahrung in der Partizipationsberatung. In diesem Jahr vergibt das Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e. V. in Kooperation mit dem Berlin Institut für Partizipation die Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ an öffentliche Träger (z. B. Städte, Gemeinden und Kreise). Nun zuallererst die Frage: Was ist das Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e. V.?

Anfang 2021 – mitten in der Corona-Pandemie – entschlossen sich Beteiligungsexpertinnen und –experten aus ganz Deutschland, einen Verein zu gründen, der sich für die Qualität von Bürgerbeteiligung einsetzt. Wir alle kannten uns bereits aus der „Allianz Vielfältige Demokratie“, die im Jahr 2017 zehn Grundsätze für die Qualität von Bürgerbeteiligung veröffentlicht hat. Jetzt wollten wir dafür sorgen, dass diese Qualitätsgrundsätze auch angewendet werden. Denn schlecht gemachte und misslungene Beteiligung kann der Idee der Bürgerbeteiligung massiv schaden. Deshalb lautet unser Motto, angelehnt an ein berühmtes Filmzitat: „Bürgerbeteiligung muss gut gemacht sein, sonst nützt sie nichts.“ Damit das sichergestellt ist, bieten wir eine niedrigschwellige, zeitlich begrenzte und kostenlose Erstberatung für Menschen an, die Bürgerbeteiligung durchführen wollen. Man kann unsere Beraterinnen und Berater über ein Webtool buchen und erhält dann erste Hinweise, woran man schon vor dem Start eines Beteiligungsprozesses denken sollte, was bei der Durchführung zu beachten ist und wie man gegebenenfalls professionelle Unterstützung erhalten kann. Wir selbst bieten diese nicht an, denn wir alle sind ehrenamtlich und pro bono für das Kompetenzzentrum tätig.

Was zeichnet „Gute Bürgerbeteiligung“ aus?

Eine Bürgerbeteiligung ist dann gut, wenn die angewandten Beteiligungsverfahren und die eingesetzten Methoden zum jeweiligen Beteiligungsgegenstand passen. Bei Projekten, die in das Wohn- und Lebensumfeld von Menschen eingreifen – z. B. Errichtung eines Windparks oder Bau einer Autobahn – müssen vor allem diejenigen beteiligt werden, die von dem Vorhaben persönlich betroffen sind. Das gilt auch für Vorhaben, die bestimmte Wertvorstellungen und Überzeugungen berühren – z. B. bei gesetzliche Änderungen zum Abtreibungsrecht oder zur Sterbehilfe. Bei Projekten wiederum, die der Erarbeitung von Ideen dienen – z. B. zur zukünftigen Gestaltung einer Brachfläche oder zum Leitbild einer Kommune – gilt es, für eine möglichst breite Beteiligung zu sorgen, damit viele und vielfältige Interessen im Planungs- und Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Und dann gilt natürlich immer: Bürgerbeteiligung ist dann gut, wenn sie Wirkung entfaltet und nicht folgenlos bleibt.

Wie kann man an der Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ teilnehmen?

Das geht ganz einfach, indem man ein Formular auf unserer Website unter https://gutebeteiligung.de/auszeichnung/ ausfüllt. Wir bitten dabei um eine Beschreibung des Beteiligungsprojekts, Benennung von Ansprechpersonen und fragen u. a. danach, warum der Prozess aus Sicht der sich Bewerbenden besonders auszeichnungswürdig ist.

Welche Voraussetzung sollten die Bewerber*innen mitbringen?

Zunächst einmal muss der Prozess bereits beendet sein, denn wir wollen natürlich auch nach der Umsetzung der Ergebnisse und der Wirkung der Beteiligung schauen. Sodann beschränken wir die Auszeichnung – jedenfalls vorerst – auf kommunale Beteiligungsprojekte, also solche, die von Gemeinden, Städten und Landkreisen durchgeführt wurden. Insgesamt soll es sich um Beteiligungsprojekte handeln, die beispielgebend für andere Kommunen sein können, die also leicht transferier- und skalierbar sind. Aber natürlich interessieren uns auch spannende Innovationen, die neue Beteiligungswege eröffnen.

Nach welchen Kriterien werden qualitativ hochwertige Beteiligungsprozesse bestimmt?

Wir orientieren uns bei der Vergabe der Auszeichnung an den bereits erwähnten zehn Grundsätzen für die Qualität von Bürgerbeteiligung der Allianz Vielfältige Demokratie. Sie knüpfen an jahrzehntelange Beobachtungen und Evaluationen von Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen an und stellen allgemein anerkannte Kriterien für gute Bürgerbeteiligung dar. Zum Beispiel soll die Beteiligung so frühzeitig beginnen, dass es noch Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Der Beteiligungsprozess muss so gestaltet sein, dass auch „stille Gruppen“ einbezogen werden, also Menschen, die sonst nicht mitmachen. Es müssen ausreichende zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen und der Beteiligungsprozess muss sorgfältig gestaltet sein – im Idealfall gemeinsam mit den Beteiligten. Unverzichtbar ist natürlich auch, dass alle Beteiligten den Dialog wirklich wollen und er auf Augenhöhe stattfindet.

Wie kann auf Bundesebene eine bessere Bürgerbeteiligung hergestellt werden?

Bürgerbeteiligung auf Bundesebene steht vor der großen Herausforderung, dass politische Entscheidungen, die hier getroffen werden, häufig Millionen von Menschen betreffen. Diesen allen ein Beteiligungsangebot zu machen, ist nicht ganz einfach. Aktuell versucht man, die unterschiedlichen Positionen der Menschen mit Hilfe von Bürgerräten abzubilden. Das Problem dabei ist, dass diejenigen, die nicht Teil eines Bürgerrats sein können, möglicherweise mit dessen Ergebnissen nicht einverstanden sind. Deshalb muss es zusätzliche Beteiligungsangebote für alle anderen geben – übers Internet oder dezentral vor Ort. Das ist essenziell, auch wenn es aufwendig ist und den Koordinierungsaufwand erhöht.

Ein weiterer Weg zur Bürgerbeteiligung auf Bundesebene ist die Einrichtung eines digitalen Gesetzgebungsportals mit Kommentierungsfunktion, wie es die Ampelkoalition in ihrer Koalitionsvereinbarung angekündigt hat. Dabei muss sichergestellt sein, dass Gesetze so aufbereitet werden, dass eine niedrigschwellige Kommentierung möglich ist, ausreichend Zeit für die Kommentierung verbleibt, die Kommentare so rechtzeitig ausgewertet werden, dass sie in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess einfließen können, und die Kommentator:innen ein Feedback über die Umsetzung ihrer Hinweise und Anregungen erhalten.

Schließlich ist aus meiner Sicht nötig, das Grundgesetz zu ändern, um Volksentscheide auf Bundesebene möglich zu machen, an denen alle Interessierten und nicht nur zufällig Ausgewählte oder besonders Engagierte teilnehmen.

 

Dr. Andreas Paust ist Vorsitzender des Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e. V. und Fachprojektleiter Öffentlichkeitsbeteiligung beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Außerdem betreibt er den Bürgerbeteiligungs-Blog Partizipendium mit Informationen über aktuelle Trends zur Bürgerbeteiligung.

Literaturhinweise

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Stefanie Lütters

Soziale Netzwerke und politische Partizipation. Eine empirische Untersuchung mit sozialräumlicher Perspektive Buch

2022, ISBN: 978-3-658-36753-4.

Abstract | Links | BibTeX

Christian Huesmann, Anna Renkamp, Wolfgang Petzold

Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

Bertelsmann Stiftung Gütersloh, 2022.

Abstract | Links | BibTeX

'Berlin Institut für Partizipation' (Hrsg.)

Bürgerbudgets in Deutschland. Formen, Bedeutung und Potentiale zur Förderung politischer Teilhabe und bürgerschaftlichem Engagements Forschungsbericht

Berlin Institut für Partizipation 2021, ISBN: 978-3942466-48-6.

Abstract | Links | BibTeX

People Powered – Global Hub for Participatory Democracy (Hrsg.)

Impacts of Participatory Budgeting on Governance and Well-Being (2021). Webinar and research brief. Forschungsbericht

2021.

Links | BibTeX

People Powered – Global Hub for Participatory Democracy (Hrsg.)

Impacts of Participatory Budgeting on Civil Society & Political Participation Forschungsbericht

2021.

Links | BibTeX

Christopher M. Brinkmann

Crossmediales Wissensmanagement auf kommunaler Ebene: Bürgerbeteiligung, Netzwerke, Kommunikation Buch

2021, ISBN: 978-3-658-35879-2.

Abstract | Links | BibTeX

Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

Abstract | Links | BibTeX

Arne Spieker

Chance statt Show – Bürgerbeteiligung mit Virtual Reality & Co. Akzeptanz und Wirkung der Visualisierung von Bauvorhaben Buch

2021, ISBN: 978-3-658-33081-1.

Abstract | Links | BibTeX

Jan Abt, Bianka Filehr, Ingrid Hermannsdörfer, Cathleen Kappes, Marie von Seeler, Franziska Seyboth-Teßmer

Kinder und Jugendliche im Quartier - Handbuch und Beteiligungsmethoden zu Aspekten der urbanen Sicherheit Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-88118-679-7.

Abstract | Links | BibTeX

Daria Ankudinova, Dr. Delal Atmaca, Katharina Sawatzki, Nadiye Ünsal, Alexandra Vogel, Tijana Vukmirovic

Politische Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und Gremienarbeit Forschungsbericht

DaMigra e.V. – Dachverband der Migrantinnenorganisationen 2020, ISBN: 978-3-9819672-2-7.

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