Ostbelgische Brillanz
Bürgerbeteiligung nach der Ostbelgien-Methode
Das Verfahren baut auf zwei Gremien auf – dem Bürgerrat und der Bürgerversammlung. Unterstützt wird die Arbeit der beiden Gremien von einer hauptamtlichen Stelle im ständigen Sekretariat.
Unter allen über 16-jährigen Anwohner*innen der Region werden 25 bis 50 Personen per Los für die Bürgerversammlung ausgewählt. Voraussetzung ist die Konstellation einer repräsentativen Gruppe hinsichtlich der Faktoren Geschlecht, Alter, Bildung und Wohnort. Die Bürgerversammlung bespricht dann die Themen, die zuvor vom Bürgerrat ausgewählt wurden.
In einem ersten Schritt werden Expert*innen zu dem Thema eingeladen und die Mitglieder der Bürgerversammlung inhaltlich auf die Fragestellung vorbereitet. Anschließend erarbeitet die Bürgerversammlung Empfehlungen für das Parlament und die Regierung. Bei der Erarbeitung der Empfehlungen ist es besonders wichtig, einen Konsens unter den Mitgliedern zu finden. Wenn möglich, sollen alle Mitglieder der Bürgerversammlung hinter der Entscheidung stehen. Ist eine Konsensfindung nicht möglich, findet eine Abstimmung statt, bei der eine ⅘ Mehrheit erreicht werden muss.
Über den Ort, die Regelmäßigkeit der Treffen und das Budget der Bürgerversammlung bestimmt der Bürgerrat. Der Großteil der Sitzungen fand bisher in Eupen im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft statt.
Der Bürgerrat besteht aus 24 Personen, die zuvor schon Mitglieder der Bürgerversammlung waren. Hauptaufgaben des Bürgerrats sind die Vor- und Nachbereitung der Arbeit der Bürgerversammlung sowie deren Organisation. Der Bürgerrat kommt bei monatlichen Treffen zusammen.
Im Vorfeld der Treffen der Bürgerversammlung setzt der Bürgerrat die Themen fest, die behandelt werden. Hierbei können Bürger*innen sowie Vertreter*innen der Politik Vorschläge einreichen. Der Bürgerrat entscheidet autonom, welche der Themen weitergeleitet werden. Der Bürgerrat kann eigene Themen priorisieren.
In der Nachbearbeitung evaluiert der Bürgerrat die Arbeitsweise und Ergebnisse der Bürgerversammlung. Außerdem beobachtet der Bürgerrat die Umsetzung der Empfehlungen der Bürgerversammlung durch die Politik.
Die Empfehlungen sind aufgrund der Rechtslage nicht bindend. Sie werden im zuständigen Ausschuss in einer öffentlichen Anhörung vorgestellt und in mindestens drei Parlamentssitzungen diskutiert. Welche Empfehlungen umgesetzt werden und welche nicht, wird in einer Stellungnahme festgehalten.
In vier Bürgerversammlungen wurden bisher die Themen Pflege, inklusive Bildung, Wohnen und digitale Fähigkeiten bearbeitet. Die Bearbeitung der ersten beiden Themen ist bereits abgeschlossen. Einige Empfehlungen befinden sich in der Umsetzung, während andere von den politischen Entscheidungsträger*innen abgelehnt wurden. Die Ablehnung wurde in jedem Fall transparent begründet. Eine Übersicht inklusive Abschlusserklärungen der bisherigen Bürgerversammlungen finden Sie HIER.
Literaturhinweise
Empowered Participation: Reinventing Urban Democracy Buch
Princeton University Press, Princeton, 2004, ISBN: 9780691126081.
Direkte Demokratie: Forschung und Perspektiven Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2003, ISBN: 978-3531138527.
Recipes for Public Spheres: Eight Institutional Design Choices and Their Consequences Artikel
In: The Journal of Political Philosophy, Bd. 11, Nr. 3, S. 338-367, 2003.
What can democratic participation mean today? Artikel
In: Political Theory, Bd. 30, Nr. 5, S. 677-701, 2002.
Massenmedien und lokaler Protest Buch
Westdeutscher Verlag, Opladen, 2002.
Die Planungszelle. Der Bürger als Chance Buch
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden , 2002.
Deliberative Democracy and Beyond: Liberals, Critics, Contestations Buch
Oxford University Press, 2002, ISBN: 9780199250431.
Neue Formen politischer Beteiligung Buchabschnitt
In: Ansgar Klein; Ruud Koopmans; Heiko Geiling (Hrsg.): Globalisierung, Partizipation, Protest, S. 255-274, Leske+Budrich, Opladen, 2001, ISBN: 978-3-322-94936-3.
Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage Buch
Votum, Münster, 1999, ISBN: 9783933158147.
Rationalität durch Partizipation? Das mehrstufige dialogische Verfahren als Antwort auf gesellschaftliche Differenzierung. In: Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft Zeitschrift
Forum für interdisziplinäre Forschung, Bd. 17, 1996.
Methodenhinweise
KonfliktlösungskonferenzDie Konfliktlösungskonferenz ist ein Beteiligungsformat, bei dem in einem mehrgliedrigen Verfahren heterogene Standpunkte unterschiedlicher Interessengruppen transparent werden. Im Dialog werden Lösungsräume identifiziert und im Ergebnis entsteht ein Gutachten mit Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger.
Weitere Methoden finden Sie in unserer Methodendatenbank ...