Potentiale der Online-Partizipation

Ein Interview mit Michael Mörike über die Online-Plattform Polit@ktiv

Michael Mörike spricht im Interview mit bipar über die Beziehung zwischen On- und Offline-Beteiligung und stellt die Plattform Polit@ktiv vor.

1. Herr Mörike, Sie sind Experte für politische Partizipation und haben die Entwicklung der Bürgerbeteiligung in Deutschland über viele Jahre verfolgt. Technische Innovationen erlauben dabei immer neue Möglichkeiten der Online-Beteiligung und bei traditionellen Verfahren finden zur Unterstützung digitale Stadtmodelle und interaktive Karten Verwendung. Wie sehen Sie diese Entwicklung und wohin wird das führen?

Der Begriff Experte für politische Partizipation wäre schmeichelhaft. Richtig ist, dass ich seit Jahren Verfahren zur Bürgerbeteiligung verfolge. Ich mache das in meiner Rolle als Vorstand der Integrata-Stiftung für humane Nutzung der IT. Die Stiftung setzt sich dafür ein, die IT nicht nur zur Rationalisierung oder Automatisierung zu nutzen, sondern in erster Linie zur Steigerung der Lebensqualität möglichst vieler Menschen. Die IT soll in diesem Sinne Werkzeug sein. Daher interessieren mich auf dem Gebiet der Partizipation die verfügbaren Werkzeuge für Online-Beteiligung, also auch digitale Stadtmodelle oder interaktive Karten. Aufgrund meiner Beobachtungen bin ich sicher, dass wir da noch viel zu sehen bekommen werden, darunter künstliche-Intelligenz-gestützte, automatisch auf Richtigkeit geprüfte Inhalte, um z. B. Fakenews vorzubeugen. Aber auch automatische Zusammenfassungen unserer Kommentare oder automatische Übersetzungen in Echtzeit in andere Sprachen helfen, indem wir dadurch interaktiv mit unseren fremdsprachigen Nachbarn in Europa unterhalten können.

2. Im Rahmen Ihrer Tätigkeiten bei der Integrata Stiftung haben Sie „Polit@ktiv“ gegründet. Was sind die Ziele dieser Online-Plattform und wie sollen diese erreicht werden?

Polit@ktiv ist eine Online-Plattform für Bürgerbeteiligung, die wir in der Integrata-Stiftung geschaffen haben, um zu zeigen, dass auch das allgemein menschliche Bedürfnis nach Partizipation mit IT unterstützt werden kann. Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Wir glauben nicht, dass Partizipation rein online funktionieren kann. Bürgerbeteiligung muss immer integriert, also online und offline kombiniert, angeboten werden. Weder reicht offline alleine noch ist eine reine Online-Beteiligung ausreichend. Auf der Plattform werden alle heute umsetzbaren (und finanzierbaren) technischen Möglichkeiten geboten, die im Rahmen von Bürgerbeteiligungsverfahren gewünscht werden könnten. Welche dieser zum Einsatz kommen, entscheidet das Beteiligungsprojekt vor Ort. Polit@ktiv wird den Kommunen kostenlos zur Nutzung überlassen. Lediglich die Behandlung der individuellen Informationen wird gegen simplen Kostenersatz verrechnet, wenn es die Kommune nicht selbst übernehmen möchte.

Ziel der Plattform ist, neben der Unterstützung von Bürgerbeteiligung allgemein die verschiedenen Möglichkeiten der technischen Unterstützung auszuprobieren, damit diese weiterentwickelt werden können. Die Technik soll helfen, die Lebensqualität auf dem Gebiet der Partizipation zu steigern, indem sie Partizipation für alle ganz einfach macht.

3. Zur Einbindung möglichst unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen setzt Polit@ktiv ein integriertes Verfahren ein. Was ist darunter zu verstehen und worin liegen die Vorteile dieses Verfahrens?

Integriert bedeutet hier, dass offline und online Hand-in-Hand arbeiten. Zu online gehört aber nicht nur unsere Plattform Polit@ktiv, vielmehr werden auch die sozialen Netze integriert. Z. B. sprechen wir Leute auf Facebook an, die das entsprechende Thema dort kommentieren und bitten sie, ihre Argumente auf Polit@ktiv stellen zu dürfen. Wir beobachten dabei, dass die Kommentare deutlich sachlicher werden.
Zudem stellen wir bei manchen Teilnehmern fest, dass sich ihre Meinung zum Thema aktiv weiterbildet. Aber das braucht Zeit. Bei fremden Beteiligungsverfahren erkennen wir manchmal, dass Bürger spontan nach ihrer Meinung gefragt werden, ohne dass sie Zeit bekommen, sich vorher die ihre zu bilden. Wir versorgen daher die Bürger auf unserer Plattform mit allen möglichen Informationen rund ums Thema, meist viel mehr, als irgendein Bürger je lesen und verarbeiten kann. Außerdem sorgen wir dafür, dass wir bei dem Bereitstellen der Informationen immer genügend Vorlauf vor den Offline-Veranstaltungen haben. Das gibt die Möglichkeit, die Informationen durchzugehen und diejenigen rauszusuchen, die einem selbst wichtig erscheinen. Außerdem fordern wir die Bürger auch explizit auf, das eine oder andere nachzulesen oder selbst zu recherchieren. Zugegeben, dies macht nur ein kleiner Bruchteil der Beteiligten. Aber die haben hinterher eine eigene Meinung, die sie dann in den Offline-Arbeitsgruppen auch vertreten können.

Die Online-Beteiligung Polit@ktiv ist selbstverständlich auch für Smartphones geeignet und kann daher auch auf dem Weg zur Arbeit genutzt werden. Online können auch Bürger einbezogen werden, die vorübergehend im Ausland sind oder die nur Eigentum in der Kommune haben, aber dort nicht wohnen. Um möglichst alle Bevölkerungsgruppen einzubeziehen, muss trotzdem eine Zufallsauswahl von Bürgern angeschrieben und zum Mitmachen aufgefordert werden. Aber durch die Möglichkeit, sich online zu beteiligen, können auch Menschen mit Behinderung mitmachen, die sonst traditionell außen vor bleiben.

Auf Polit@ktiv werden alle Äußerungen zum Thema dargestellt: nicht nur solche, die im Forum gepostet werden, sondern auch diejenigen, die in Facebook geäußert wurden. In Offline-Veranstaltungen werden die Äußerungen mitgeschrieben. Auch Briefe oder Postkarten ans Rathaus oder Emails an Polit@ktiv werden auf der Pinnwand von Polit@ktiv dargestellt. Aus diesen werden die Kernaussagen extrahiert und mit den Originalaussagen verlinkt. Im weiteren Verlauf von Beteiligungsverfahren entsteht aus den einzelnen Kernaussagen eine Empfehlung, die gebündelt an beispielsweise den Gemeinderat zur Beschlussfassung geleitet wird. Die einzelnen Kernaussagen der Bürger werden dabei immer mit den Originaltexten verlinkt, wodurch jeder Bürger bis zum Schluss genau verfolgen kann, wie und wo seine Äußerungen in den Gemeinderats-Beschluss eingegangen sind.

Diese Verfahren haben den Vorteil, dass sie zum Verständnis für demokratische Abläufe beitragen und so immun machen gegen populistische Ansinnen.


Michael Mörike ist Vorstand der Integrata-Stiftung für humane Nutzung der IT. Er begann bereits während seines Studium Projekte in der EDV zu tätigen und richtete 1969 den Prozessrechner der Uni Tübingen ein. Anschließend engagierte er sich in wechselnden Firmen in der Geschäftsführung und arbeitete ab 2000 schließlich als freiberuflicher Projektleiter mit dem Spezialgebiet der IT-Sicherheit. Er ist assoziiertes Mitglied des Berlin Instituts für Partizipation.

Literaturhinweise

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Thomas Petermann; Constanze Scherz

TA und (Technik-)Akzeptanz(-forschung) Artikel

In: Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis , Bd. 3, Nr. 14, S. 45-53, 2005.

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In: Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis , Bd. 3, Nr. 14, S. 29-38, 2005.

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Links | BibTeX

Nuclear Energy Agency

OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch

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Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)

Auswahlverfahren für Endlagerstandorte - Empfehlungen des AkEnd Forschungsbericht

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Abstract | BibTeX

Jeanette Behringer

Legitimität durch Verfahren? Bedingungen semi-konventioneller Partizipation: eine qualitativ-empirische Studie am Beispiel von Fokusgruppen zum Thema »Lokaler Klimaschutz« Buch

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Simon Joss

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Ortwin Renn; Thomas Webler

Der kooperative Diskurs. Theoretische Grundlagen, Anforderungen, Möglichkeiten Buchabschnitt

In: Ortwin Renn; Hans Kastenholz; Patrick Schild; Urs Wilhelm (Hrsg.): Abfallpolitik im kooperativen Diskurs. Bürgerbeteiligung bei der Standortsuche für eine Deponie im Kanton Aargau, S. 3-103, vdf, Zürich, 1998.

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Peter Dienel

Die Planungszelle. Der Bürger plant seine Umwelt. Eine Alternative zur Establishment Demokratie Buch

Westdeutscher Verlag, Opladen, 1997.

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Methodenhinweise

Kommunaler Planungsworkshop
Der Planungsworkshop unterstützt mit seinem strukturierten Ablauf und geringen Zeitanspruch Kommunen bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans. Die Methode ist besonders geeignet für Gruppen, die bereits über eine gemeinsame Vision verfügen.

Deliberative Mapping
Beim Deliberativen Mapping entwickeln Fachleute und Bürger gemeinsam in einem konsultativen Verfahren priorisierte Handlungsalternativen zur Bearbeitung eines Konfliktthemas.

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