Wolfgang Schluchter: „Es gibt große Vertrauensverluste in die Politiker“

Foto: Wolf Schluchter (eigenes Bild)

Prof. Dr. Wolf Schluchter ist em. Professor für Sozialwissenschaftliche Umweltfragen und Entwickler des TRIPLEX Konzeptes zur Partizipation von Bürgern in Planungsvorhaben.


Die Identifizierung der am wenigsten schlechten Herangehensweise zur Behandlung des hochradioaktiven Atommülls ist die für Deutschland vermutlich langfristig größte gesellschaftliche Herausforderung. Sie betrifft alle gesellschaftlichen Schichten auch wenn nicht viele für die Entstehung dieser Herausforderung verantwortlich sind. Die Erzeugung von Atomstrom hat jedoch vielen genutzt und manche sind dadurch sehr reich geworden. Es ist absehbar, dass jede faire und gerechte Herangehensweise teuer wird, für uns heute und für unsere Nachfahren morgen. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen, weil alle Nutzen aus dem Atomstrom gezogen haben. Niemand kann das Problem auf die nächsten Generationen verschieben, was verantwortungslos wäre. Niemand kann darauf setzen, dass der Atommüll in anderen Ländern entsorgt und das Problem verlagert wird.

Die gesamte Gesellschaft wird zur Kasse gebeten, wenn die Rücklagen der Energiekonzerne für einen langen Umgang mit dem von ihnen erzeugten Atommüll nicht ausreichen.

Das Problem Atommüll ist auf die gesamte Gesellschaft übertragen worden. Deshalb hängt es von der Gesellschaft ab, wie damit umzugehen ist. Dies macht eine neue Form der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger notwendig. Es gibt große Vertrauensverluste in die Politiker und Entscheider, die für die Energiepolitik verantwortlich sind. Um diesen Vertrauensverlust abzubauen ist die Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger notwendig. Das Instrument dazu ist zunächst eine Volksbefragung zu drei Aspekten. Muß mit der Entwicklung von einer am wenigsten schlechten Herangehensweise sofort begonnen werden, soll dies in Deutschland stattfinden, wo der Atommüll entstanden ist und wie groß ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger an einem verantwortlichen Umgang mit dem Atommüll mitzuwirken.

Eine Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger zur Identifizierung tragfähiger Kompromisse ist notwendig, nicht nur an geologisch geeigneten Standorten. Nicht nur die Betroffenen an möglichen Standorten bringen Opfer, auch die gesamte Gesellschaft ist davon betroffen. Wer Opfer bringt verdient Respekt und finanzielle und soziale Kompensationen. Dafür werden ein paar Euro nicht reichen. Die gesamte Gesellschaft wird die Mittel aufbringen müssen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dafür alle Steuerzahler bereit finden werden. Eine Volksbefragung kann hier Klarheit schaffen.

Eine Volksbefragung muss durch die Behandlung der Problemstellung, durch weitestgehende Information und durch allseitige Beteiligungsmöglichkeiten vorbereitet werden. Das wird teuer, schafft aber hohe Legitimation für alle weiteren Verfahrens- und Entscheidungsschritte. Und bei einem solchermaßen legitimierten Vorgehen wird den Betroffenen am ausgewählten Standort signalisiert, dass sie mit großer Solidarität der Gesellschaft rechnen können. Dies wird ihnen neue Chancen für eine zukunftsfähige Entwicklung eröffnen. Aus Opfern werden Helden. Aus Verhinderung wird eine gemeinsame Suche.

Für die Bearbeitung der Ergebnisse der Volksbefragung wird eine Begleitgruppe von Experten zu ethischen, politischen, sozialen und kulturellen Sachverhalten eingesetzt. Sie überwacht die Umsetzung der Befragungsergebnisse. Ihre Präferenz wird durch eine Extra-Angabe in der Volksbefragung bestimmt, so dass auch damit die Bürger einbezogen werden. Politisches Personal wird an der Begleitgruppe nicht beteiligt. Die Volksbefragung ist kein Volksentscheid, da letztendlich die Entscheidungen in der parlamentarischen Verantwortung verbleiben. Das Parlament muss sich jedoch verpflichten, die Ergebnisse der Volksbefragung in seine Entscheidung zu integrieren.

Das Verfahren ist Teil des TRIPLEX-Konzepts, das in Prozeduren zur bürgernahen Entscheidungsfindung erprobt ist. Es ist der erste wesentliche Schritt zur Weichenstellung des Ablaufs der Endlagersuche mit hoher Akzeptanz und Legitimation.

Literaturhinweise

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Regieren in Kommunen. Herausforderungen besser bewältigen – Außen- und Binnenorientierung beeinflussen Sammelband

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KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #2 Buch

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Ulrike Donat

Bürgerbeteiligung und Konfliktmanagement Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Ute Bertrand

Wie Unternehmen Protest managen und Beteiligung simulieren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Danuta Kneipp; Anja Schlicht

Öffentlichkeitsbeteiligung und Krisenkommunikation bei Infrastrukturprojekten Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Jan-Hendrik Kamlage; Henrike Knappe

Eine Frage der Beteiligung? Die Herausforderung Endlagersuche Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Wolf Schluchter

Atommüllendlagersuche und Zivilgesellschaft Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Dieter Kostka

Bürgerbeteiligung bei der Endlagersuche für Atommüll - Ein externer Blick unabhängiger Mediationsexpert*innen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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