Digitale Partizipation

Ein Interview mit Bürgermeister Bernd Albers zur Bürgerbeteiligung in Stahnsdorf

In der brandenburgischen Gemeinde Stahnsdorf wurden drei Bürgerbeteiligungsverfahren digital umgesetzt. Im Interview spricht Bürgermeister Bernd Albers über seine Erfahrungen.

Foto: fancycrave1 via Pixabay.

Welchen Stellenwert sollten Ihrer Meinung nach neue Formen deliberativer Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik einnehmen?

Manche Dinge sind einfach politisch ausdiskutiert, möglicherweise dadurch auch in einer Sackgasse gelandet. Aus meiner Sicht hilft dabei, den Blick der Bevölkerung einzunehmen. Mehr Demokratie wagen wollte schon Altbundeskanzler Willy Brandt 1969. Umgesetzt worden ist das nie. Noch immer hängt Deutschland in Sachen digitale Innovation teilweise deutlich kleineren Ländern hinterher. Spontan fällt mir Estland ein, wo Parlamentswahlen digital stattfinden. Den Weg zu mehr direkter Demokratie gehen wir als Gemeinde nicht, weil wir die repräsentative Demokratie ablehnen, sondern weil wir als Verwaltung der Auffassung sind, dass zu wenig Menschen an der parlamentarischen Politik teilnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass wir nicht auf direkte Formen der Mitbestimmung verzichten können, wenn wir die Demokratie dauerhaft erhalten wollen.

Zur Erstellung von Gemeindeentwicklungskonzepten setzen Sie auf ein Online-Beteiligungstool. Auf der Internetseite Ihrer Gemeinde heißt es dazu: „Mit der ersten rechtssicheren Online-Befragung Deutschlands auf kommunaler Ebene wagen wir bewusst und gern mehr direkte Demokratie, weil uns die Bürger und ihre Ansichten besonders wichtig sind.” Was hat es damit auf sich?

Wir dürfen ein solches Entwicklungskonzept nicht im stillen Kämmerlein mit den Politikern erstellen, sondern müssen eine breite Öffentlichkeit einbeziehen. Es geht darum, wie Stahnsdorf in 10 oder 15 Jahren aussieht. Der Ort gehört den Bürgern, nicht der Verwaltung und nicht der Politik.

In einem bereits auf diese Weise durchgeführten Prozess zur Nutzung einer ehemaligen Gaststätte kritisierte die Potsdamer Stadtverordnete Marie Schäffer seinerzeit eine mangelnde Verbindlichkeit der Prozessergebnisse. Zudem wäre mit Blick auf Transparenz und Datenschutz problematisch gewesen, dass das Verfahren von einem externen Dienstleister durchgeführt wurde. Wie beurteilen Sie diese Kritik?

Zu dem Zeitpunkt, als die Landtagsabgeordnete ihre Kritik äußerte, war das Polyas-Verfahren noch nicht durch die Landesdatenschutzbeauftragte beurteilt. Mittlerweile steht fest, dass die obersten Datenschützer des Landes Brandenburg nicht nur keine Einwände gegen das Polyas-Verfahren hegen, sondern dieses vielmehr ausdrücklich loben. Digitale Bürgerbefragungen bieten sich gerade bei Themen an, über die in kommunalen Gremien debattiert wird, ohne dass eine Lösungsfindung in Sicht ist. Wir erhalten auf diese Weise Stimmen unser Bürger – pur, persönlich, manipulationsfrei. Das ist richtungsweisend für die gewählten Abgeordneten.

Ein häufiger Anreiz für digitale Partizipationsverfahren ist der Wunsch nach einer Verbreiterung der Beteiligungsbasis. Wie sind diesbezüglich Ihre Erfahrungen?

Abstrakte Fragestellungen rufen eher durchschnittliche Beteiligungen hervor. Wir haben jedoch die positive Erfahrung gemacht, dass bei konkreten Fragestellungen durchaus überdurchschnittliche Beteiligung zu verzeichnen ist. So hat sich jeder vierte Einwohner an einer Befragung für die künftige Nutzung einer bekannten Immobilie beteiligt, was hervorragend ist.

In welcher Beziehung stehen vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen Offline- und Onlinebeteiligung? Werden Sie zukünftig eine der beiden Beteiligungsformen stärker verwenden?

Die Online-Bürgerbefragung ist schneller als die Stimmabgabe per Papier und die Auswertung erfolgt automatisiert. Die zeit- und ressourcenschonende Online-Befragung ist daher hervorragend auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten, sie ist zeitgemäß und innovativ. Es ergibt sich dadurch die Möglichkeit, schnell und präzise Mehrheitspositionen sichtbar zu machen, und die Kommunalpolitik wird zu mehr Effektivität bei der Durchsetzung des Bürgerwillens gemahnt. Es steht außer Frage, dass wir digitale Beteiligungsformen auch in Zukunft bevorzugt nutzen.

Zur Person

Foto: privat

Bernd Albers wurde am 18. August 1968 geboren und lebt seit seiner Geburt in Stahnsdorf. Seit Juli 2008 ist der Diplom-Jurist Bürgermeister der Gemeinde Stahnsdorf.

Literaturhinweise

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Jörg Bogumil; Lars Holtkamp; Leo Kißler

Kooperative Demokratie: Das politische Potenzial von Bürgerengagement Buch

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Von Porto Alegre nach Europa. Möglichkeiten und Grenzen des Bürgerhaushalts Buchabschnitt

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Thomas Petermann; Constanze Scherz

TA und (Technik-)Akzeptanz(-forschung) Artikel

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Ortwin Renn

Technikakzeptanz: Lehren und Rückschlüsse der Akzeptanzforschung für die Bewältigung des technischen Wandels Artikel

In: Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis , Bd. 3, Nr. 14, S. 29-38, 2005.

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Stiftung Bertelsmann; NRW Innenministerium

Kommunaler Bürgerhaushalt – ein Leitfaden für die Praxis Forschungsbericht

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Nuclear Energy Agency

OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch

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Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)

Auswahlverfahren für Endlagerstandorte - Empfehlungen des AkEnd Forschungsbericht

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Peter Hocke

Massenmedien und lokaler Protest Buch

Westdeutscher Verlag, Opladen, 2002.

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Jeanette Behringer

Legitimität durch Verfahren? Bedingungen semi-konventioneller Partizipation: eine qualitativ-empirische Studie am Beispiel von Fokusgruppen zum Thema »Lokaler Klimaschutz« Buch

Roderer, Regensburg, 2002.

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Methodenhinweise

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Beim Deliberativen Mapping entwickeln Fachleute und Bürger gemeinsam in einem konsultativen Verfahren priorisierte Handlungsalternativen zur Bearbeitung eines Konfliktthemas.

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