Demokratie im Stresstest

Warum Krisen nicht unbedingt das demokratische Zusammenleben schwächen müssen

Die Liste an weltweiten Herausforderungen scheint seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor über drei Jahren stetig zu wachsen. Welche Auswirkungen das auf die Demokratie in Deutschland hat, zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, monatelange Debatten um das Heizungsgesetz, Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Thüringen und Bremen, ein Rekordsommer, der den nächsten jagt. Beim Blick auf die nationalen wie globalen Problemstellungen wird deutlich: Krisen reichen längst bis in unseren gewohnten Alltag und bringen neue Herausforderungen für das demokratische Zusammenleben und die parlamentarischen Entscheidungsfindungen mit sich. Entgegen zahlreicher Autor*innen, die vom Rückgang etablierter Demokratien (so Schäfer & Zürn 2021) oder gar über deren Abgang (Levitsky & Ziblatt 2018) schreiben, sollte jedoch nicht das Potenzial dieser Situation verkannt werden. Denn Krisen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verlangen nach Reaktion und Aktion statt Resignation und Kapitulation. Darin liegen zugleich Chance und Herausforderung. 

Interessant sind daher die Ergebnisse einer im April 2023 veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn. Ziel der im Sommer 2022 durchgeführten Studie war es, Erkenntnisse über das Vertrauen in die deutsche Demokratie zu erlangen. Dazu wurden 2536 wahlberechtigte und volljährige Deutsche in Privathaushalten befragt. Das Resultat kann zum einen beruhigen: Im Vergleich zu 2019 erhobenen Daten ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie trotz Corona, Inflation und der Herausforderungen des Kriegs in der Ukraine leicht auf 49 % angestiegen. Bedenklich ist hingegen die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen den alten und neuen Bundesländern. Nur rund ein Drittel der Ostdeutschen zeige sich sehr bis ziemlich zufrieden, während es in Westdeutschland eine knappe Mehrheit von 52 % ist. 

Auch kommen die Autor*innen der Studie zum Ergebnis, dass die Zufriedenheit in Abhängigkeit zur sozialen Lage der Befragten stehe. So seien Angehörige der Unter-/Arbeiterschicht und Personen mit niedrigerem Bildungsstatus weniger zufrieden als höher Gebildete sowie die Befragten der oberen Mittel- und Oberschicht. Keine großen Unterschiede ließen sich hingegen hinsichtlich Erwerbsstatus und Migrationshintergrund erkennen.

Wunsch nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten und direktdemokratischen Instrumenten

Weiterhin erhoben die Autor*innen Einstellungen zu demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten und die Zustimmung zu alternativen Regierungsformen. Dabei ist laut der Studie deutlich geworden, dass sich 76 % der unter 35-jährigen Studienteilnehmenden eine Erweiterung der bisherigen Partizipationsformate wünschen. In diesem Zusammenhang sprachen sich 41 % der Menschen für eine Stärkung direktdemokratischer Mittel aus. Damit scheint der Wunsch, dass über Gesetze in Volksabstimmungen entschieden werden könnte, Zuwachs zu erhalten. Sowohl unter den Personen, die mit der Demokratie zufrieden sind, als auch unter den Unzufriedenen, gibt es gemäß den Studienergebnissen hohe Zustimmungswerte (63 % bzw. 72 %) für Bürgerräte. 

Andererseits ist die Zustimmung gegenüber einer Expertokratie auf knapp ein Drittel der Befragten gestiegen. Dies beschreibt jene Regierungsform, in welcher fachliche Expert*innen in ihren spezifischen Themenfeldern über politische Angelegenheiten entscheiden. Beachtet werden muss jedoch, dass die Zustimmung für repräsentative, expertokratische, direktdemokratische und autokratische Demokratieformen in Abhängigkeit zu den jeweiligen Parteipräferenzen der Teilnehmer*innen steht. Zudem sei die Zustimmung abhängig vom Vertrauen in die Institutionen des parlamentarisch-repräsentativen Rechtsstaates: Personen, die ein hohes Institutionenvertrauen haben, würden sich auch mehrheitlich für die repräsentative Demokratie aussprechen.

Rückschlüsse für das demokratische Zusammenleben

Es kann festgehalten werden, dass trotz multipler Krisen das allgemeine Vertrauen und die Zufriedenheit mit dem Status quo der deutschen Demokratie nicht abgenommen haben. Dennoch können innerhalb der Gesellschaft teils deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von regionalen und sozioökonomischen Kontextfaktoren beobachtet werden. Das mag weniger überraschend als eine Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt sein. Angesichts zukünftiger gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie der Digitalisierung des Alltags oder die Eindämmung der Klimakrise, zeigt die Befragung, wie relevant der Wunsch nach mehr Partizipation in politischen Fragen ist.

Literatur

Levitsky, Steven/Ziblatt, Daniel (2018): Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können, München: Deutsche Verlags-Anstalt.

Schäfer, Armin/Zürn, Michael (2021): Die demokratische Regression, Berlin: Suhrkamp Verlag.

Literaturhinweise

268 Einträge « 27 von 27 »

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Abstract | BibTeX

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Robert Jungk; Norbert Müllert

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Goldmann Verlag, München, 1983.

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Jürgen Habermas

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Friedrich Glasl

Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater Buch

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Talcott Parsons

Zur Theorie sozialer Systeme Buchabschnitt

In: Stefan Jensen (Hrsg.): Studienbücher zur Sozialwissenschaft, Bd. 14, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 1976, ISBN: 978-3-322-83798-1.

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Sherry Arnstein

A Ladder of Citizen Partizipation Artikel

In: Journal of the American Planning Association, Bd. 35, Nr. 4, S. 216-224, 1969.

Abstract | BibTeX

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