Zukunft der EU
Bei Ihrer Antrittsrede zur EU-Kommissionspräsidentin stellte Ursula von der Leyen fest: „Demokratische Beteiligung endet nicht am Wahltag“. Auf der von ihr angekündigten „Konferenz zur Zukunft Europas“ sollen die Bürger daher die Möglichkeit zur Mitsprache bekommen. Mitte Januar hat das EU-Parlament seinen Vorschlag zur Ausgestaltung dieser Konferenz beschlossen.
Zusammensetzung der Konferenz
Das zentrale Gremium der Konferenz ist das sogenannte Plenum. Dieses setzt sich aus Vertretern von EU-Institutionen, nationalen Parlamenten und auf EU-Ebene tätigen Sozialpartnern zusammen. Die Bürger der EU sollen das Plenum in Bürgerforen beraten. Diese werden aus zufällig ausgewählten Personen gebildet, die jeweils zu einem Thema zusammentreten. Pro Mitgliedsstaat werden mindestens drei Personen involviert sein. Es ist beabsichtigt, dass die Teilnehmer in geographischer Herkunft, Geschlecht, Alter, sozioökonomischem Hintergrund und Bildungsniveau die Zusammensetzung der EU repräsentieren. Zusätzlich sind noch mindestens zwei Jugendforen für 16-25 jährige geplant.
Angedacht ist, dass die Bürger mindestens zweimal bis 2022 zusammenkommen. Zu Beginn des Verfahrens sollen sie selbst Empfehlungen zu ihren Themenbereichen erarbeiten und dem Plenum vorstellen. Zum Ende des Prozesses erhalten sie die Möglichkeit, Stellungnahmen zu den entwickelten Gesetzesvorschlägen abzugeben. Darüber hinaus sind weitere Partizipationsformate in Planung, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch nicht spezifiziert.
Methodische Herausforderungen
Zwei zentrale Herausforderungen für den Ablauf des Beteiligungsprozesses werden die Gruppengrößen mit bis zu 300 Teilnehmern und die Sprachbarrieren zwischen den Bürgern sein. Es wird spannend zu sehen, ob und in welcher Weise es auf Basis dieser Ausgangsposition gelingt, konstruktive Diskussionen zu führen.
Die Bertelsmann Stiftung hat sich 2019 in einem Policy Brief Future of Democracy mit der Ausgestaltung der geplanten Konferenz auseinandergesetzt und damals verschiedene Modelle entworfen. In methodischer Hinsicht begrüßt sie dabei die vom Parlament vorgeschlagene Zufallsauswahl. Diese sei gut geeignet, um bei der Teilnehmerstruktur die Diversität der Bevölkerung widerzuspiegeln. So könne verhindert werden, dass vorrangig ohnehin schon politisch interessierte Menschen teilnehmen.
In Bezug auf die Beteiligung der Bürger außerhalb der Foren plädiert das Papier für eine Verbindung von digitalem Diskurs mit analogem Austausch. Virtuelle Partizipationsangebote tragen demnach wesentlich dazu bei, die öffentliche Wahrnehmung der Konferenz zu erhöhen. Es sei jedoch eine Herausforderung, eine stetige Verflechtung der beiden Partizipationskanäle sicherzustellen.
Ausblick
Die Konferenz kann Bürgern die Chance bieten, ihre Perspektive auf die Zukunft Europas zu äußern und auf diese Weise die häufig thematisierte Distanz zwischen den supranationalen Institutionen der EU und ihrer Bevölkerung zu mindern. Dies setzt jedoch voraus, dass ein substantieller Austausch stattfindet, bei dem die Inputs aller Beteiligten auch Wirkung im politischen Prozess entfalten können. Wenn bei den Bürgern der Anschein entstehen sollte, dass es sich um Scheinbeteiligung handelt, ist Frustration vorprogrammiert.
Geplant ist, dass die Konferenz am 9. Mai 2020 startet. Bis dahin ist noch etwas Zeit, doch eine Stellungnahme von Gabrielle Bischoff weckt bereits heute Skepsis. Sie hat die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament in der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Konferenz zur Zukunft Europas vertreten und kommentierte kürzlich in der Frankfurter Rundschau: „Die jüngste Mitteilung der Europäischen Kommission wirkt wie ein halbherziger Versuch. Sie beinhaltet keine Vorschläge für die Ausgestaltung der Konferenz und schlägt kein neues Format der Bürgerbeteiligung vor“.
Literaturhinweise
Baden-Württemberg auf dem Weg zu einer dynamischen Mitmachdemokratie Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Partizipation und Nachhaltigkeit - Warum wir die repräsentative Demokratie in Deutschland reformieren müssen Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Repräsentative Bürgervoten dank Teilnehmer-Auslosung Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Urbane Interventionen - Impulse für lebenswerte Stadträume in Osnabrück Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Bürgerbeteiligung an der Bürgerbeteiligung - Gedanken zu "Partizipativen Begleitgremien" in Beteiligungsprozessen Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Partizipationshaltung in Politik und Verwaltung auf Kommunal- und Länderebene Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Für und Wider der Partizipation in städtebaulichen Wettbewerbsverfahren Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Finanzielle Bürgerbeteiligung in der Energiewende Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Voneinander lernen am Beispiel des Projekts "Der richtige Dreh" Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Online-Beteiligung: Das Potential von Geodaten für transparente Partizipation Buchabschnitt
In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.
Methodenhinweise
Kommunaler PlanungsworkshopDer Planungsworkshop unterstützt mit seinem strukturierten Ablauf und geringen Zeitanspruch Kommunen bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans. Die Methode ist besonders geeignet für Gruppen, die bereits über eine gemeinsame Vision verfügen.
Deliberative MappingBeim Deliberativen Mapping entwickeln Fachleute und Bürger gemeinsam in einem konsultativen Verfahren priorisierte Handlungsalternativen zur Bearbeitung eines Konfliktthemas.
Weitere Methoden finden Sie in unserer Methodendatenbank ...