Von Betroffenen zu Beteiligten

Großbauprojekte sind zunehmend Nährböden für intensive Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Politik. Frühzeitige und gezielt eingesetzte Bürgerbeteiligung vermag nicht nur die Akzeptanz des Vorhabens zu steigern, sondern auch den Bauprozess zu optimieren.

Bild: Paul via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC 2.0

Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, Hamburgs Bewerbung um die olympischen Spiele 2024 oder das ehemalige Flughafengelände Tempelhofer Feld in Berlin – drei Fallbeispiele, die vor allem durch Bürgerinitiativen und -protestbewegungen bundesweit die Schlagzeilen gefüllt haben. Gemeinsam ist ihnen ein umfangreiches Infrastrukturvorhaben, auf das jeweils eine bürgerliche Welle der Entrüstung folgte. Die Kritik zielte insbesondere auf eine mangelhafte Einbindung der Bürger bei der Planung und Umsetzung der Bauprojekte ab. Die Konsequenzen waren breite Widerstände, die sich letztendlich auch in den Ergebnissen von verschiedenen Volks- bzw. Bürgerentscheiden niederschlugen.

Von Betroffenen …

Berühren umfangreiche Bauvorhaben das direkte Lebens- oder Wohnumfeld von Bürgern, so sind intensive Debatten und Widerstände vorprogrammiert. Viel zu oft fehlt es an angemessenen Einflussmöglichkeiten für Betroffene, ihre Sorgen und Wünsche entsprechend artikulieren zu können. In anderen Fällen sind diese zwar bereitgestellt, zentrale Entscheidungen aber oftmals intern bereits beschlossen. Die Folge ist Protest. Im Folgenden sollen drei ausgewählte Beispiele die Problematik verfehlter Partizipation verdeutlichen.

Verfehlte Bürgerbeteiligung

Einer der prominentesten Fälle bürgerschaftlichen Protests gegen Infrastrukturprojekte fand im Rahmen von Stuttgart 21 statt. Die öffentliche Kritik an der Realisierbarkeit des Projektes nahm im Verlauf der Planung merklich zu. Als der stuttgarter Gemeinderat ein initiiertes Bürgerbegehren mit der Begründung einer bereits gefallenden Entscheidung für unzulässig erklärte, formierten sich regelmäßig große Bürgerdemonstrationen gegen den Bau. Diese Proteste gipfelten in einer Eskalation des Konflikts am „schwarzen Donnerstag“, den 30.09.2009. In einem anschließenden Schlichtungsverfahren sollten Fehler des Prozesses in puncto Transparenz und Beteiligung aufgearbeitet werden. Kritiker monierten allerdings die Ernsthaftigkeit des Verfahrens, da vor der Einbeziehung der Bürger bereits zentrale Entscheidungen getroffen seien (vgl. Rüll 2015: 148 f.).

Während die Bürgerbeteiligung im Rahmen von Stuttgart 21 deutlich zu spät Anwendung fand, fehlte ein beteiligungspolitisches Konzept in der Diskussion um den Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden gänzlich. Die seit Mitte der 1990er Jahre geplante zusätzliche Elbüberquerung „Waldschlösschenbrücke“ führte zu weitreichenden Protesten in der Bürgerschaft. Befürworter und Gegner des Projekts organisierten sich in eigenen Bürgerinitiativen. In Folge eines abgelehnten Bürgerbegehrens seitens der Befürworter, stimmte eine 2/3-Mehrheit der Dresdner im Rahmen eines Bürgerentscheids für den Bau der Brücke. Durch die neue Waldschlösschenbrücke verlor das Dresdener Elbtal seinen Status als UNESCO-Weltkulturerbe (vgl. ebd.: S. 161).

Im dritten Beispiel verfehlter Bürgerbeteiligung sollte Partizipation lediglich als Mittel der Legitimierungs- und Akzeptanzbeschaffung herhalten. So wurde im Rahmen einer Erweiterung des örtlichen Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Datteln im Jahr 2012 ein Bürgerbeteiligungsverfahren durchgeführt. Dieses Verfahren wurde jedoch von lokalen Bürgerinitiativen, Anwohnern und Umweltverbänden scharf kritisiert. Der Vorwurf der Scheinbeteiligung bestätigte sich, als die Bezirksregierung während einer offiziellen Anhörung der Bürgerbeteiligung die Relevanz für die Bauleitplanung absprach (vgl. ebd.: S. 156 f.).

… zu Beteiligten

Aber wie sollte stattdessen ein Partizipationsprozess gestaltet sein, der Beteiligung nicht als bloßes Mittel der Bürgerberuhigung versteht? Der Schlüssel liegt in dem Verständnis, Bürger nicht nur als zu beruhigende Störfaktoren und potenzielle Verfahrenshindernisse zu begreifen. Vielmehr sollte ihnen wertschätzend begegnet und  frühzeitige und ergebnisrelevante Beteiligungsangebote offeriert werden.

Das Beispiel des Bauprojekts Stadtbahn Nord in Mannheim soll hier exemplarisch als ein gelungener Fall von Öffentlichkeitsbeteiligung angeführt werden. Als Reaktion auf vielfache Kritik von Anwohnern an dem geplanten Ausbau des Stadtbahnnetzes initiierten die Bauplaner einen Dialogprozess. In einem sechsmonatigen informellen Beteiligungsverfahren konnten Sorgen und Wünsche der Bevölkerung in das Planungskonzept integriert werden. Das Ergebnis war letztlich ein Konzeptentwurf, der für alle Seiten zufriedenstellend ausfiel. Dadurch konnten bereits vor Beginn des offiziellen formalen Planfeststellungsverfahren zahlreiche Konfliktpunkte bereinigt und das Projekt ohne unerwartete Zwischenfälle umgesetzt werden (vgl. Eggert/ Schrögel 2015: 359-362). Hier zeigen sich deutlich die vier Dimensionen gelingender Bürgerbeteiligung – Legitimierung, Akzeptanz, Qualitätssicherung und Emanzipation, welche eine optimale Voraussetzung bilden, damit ein Beteiligungsprozess die gewünschte nachhaltige Wirkung erzielen kann.

Fazit

Bürgerbeteiligung liegt im Trend. Zahlreiche Städte und Gemeinden erproben derzeit neuartige Partizipationskonzepte. Dennoch ist frühzeitige und ergebnisrelevante Teilhabe der Bürger an kommunalen Vorhaben noch immer nicht die Regel. Dabei kann sie die Akzeptanz für geplante Projekte stärken, auf Probleme hinweisen und auf diese Weise die Planungssicherheit erhöhen. Sie wirkt somit nicht wie oft befürchtet als Prozessbremser, sondern vielmehr als Prozessoptimierer.

Eine interessante weiterführende Publikation vom Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. der Universität Leipzig mit dem Titel „Optionen moderner Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten“ können Sie hier kostenfrei herunterladen.

Literaturhinweise

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Der Planungsworkshop unterstützt mit seinem strukturierten Ablauf und geringen Zeitanspruch Kommunen bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans. Die Methode ist besonders geeignet für Gruppen, die bereits über eine gemeinsame Vision verfügen.

Deliberative Mapping
Beim Deliberativen Mapping entwickeln Fachleute und Bürger gemeinsam in einem konsultativen Verfahren priorisierte Handlungsalternativen zur Bearbeitung eines Konfliktthemas.

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