Partizipative Budgetplanung

Die partizipative Budgetplanung (PB) – auch genannt: Bürgerhaushalt, Bürgerbudget, Stadtteilfonds, Quartiersfonds, Kiezfonds – ist die erfolgreichste institutionelle Innovation politischer Partizipation der letzten Jahrzehnte.

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Die partizipative Budgetplanung (PB) – auch genannt: Bürgerhaushalt, Bürgerbudget, Stadtteilfonds, Quartiersfonds, Kiezfonds – ist die erfolgreichste institutionelle Innovation politischer Partizipation der letzten Jahrzehnte. Kein informelles Beteiligungsverfahren hat sich weltweit schneller verbreitet. Keines erreicht höhere Beteiligungszahlen. Das gilt auch für die 1998 in Deutschland entstandenen Praktiken im Kontext kommunaler Haushalte, die hier im Mittelpunkt stehen. Die Zahl der Aktiven und deren Aktivität beim Vorschlagen und Bewerten sind gute Erfolgsindikatoren für partizipative Prozesse, die die gesamte Öffentlichkeit betreffen und alle erreichen sollen. Wir nehmen an, dass dann viele Menschen mitwirken, wenn (a) diese erwarten, dass relevante Ergebnisse der Beteiligung (von den formell repräsentierenden Institutionen) sichtbar umgesetzt werden, wenn (b) niedrigschwellige Beteiligungsformen wie Abstimmungen auf Papier oder aktivierende Dialogplattformen genutzt werden und wenn (c) die Möglichkeit zur Beteiligung ausreichend beworben wird, also (a) Relevanz, (b) Einfachheit und (c) Öffentlichkeitsarbeit.

Historischer Rückblick

Zeitgleich und wahrscheinlich unabhängig voneinander wurde die kommunale partizipative Budgetplanung 1989 in Porto Alegre (Brasilien) als informelles Verfahren der Demokratisierung und in Neuseeland als formelles Verfahren im Zuge einer Verwaltungsreform eingeführt. In beiden Fällen sollte das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen gestärkt werden. Seither hat sich eine enorme Vielfalt an Varianten entwickelt.

In Deutschland stellten die Orte Blumberg mit einer Bürgerversammlung und Mönchweiler 1998 als erste explizit partizipative Budgets auf. Ideengeber war das Netzwerk „Kommunen der Zukunft“, gegründet im Februar 1998 von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung mit 96 Kommunen. Ziel des Netzwerks war eine kommunale Verwaltungsreform. Auch wenn oft Porto Alegre als Vorbild genannt wird, ist Neuseeland für Deutschland bedeutsamer (Banner 1998b).

Formelle Vorläufer

Es gibt aber zwei weitere Vorläufer, die oft unbeachtet bleiben. Die Pflicht zur Auslegung des Haushaltsplanentwurfs mit Einwendungsrecht in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung und das Finanzreferendum in schweizerischen Kantonen und Kommunen.

  • Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (NRW) 1952: Seit der Einführung der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung 1952 sind eine öffentliche Auslegung und Einwände zum Haushaltsplan der Verwaltung vorgesehen. Eine Regelung, die Sachsen 1993 und Rheinland-Pfalz 2015 Blumberg und Mönchweiler als deutsche Pioniere in Kenntnis der informellen Bürgerhaushalte in Trier und Worms – einführten (Vorwerk 2013a). Bemerkenswert an Rheinland-Pfalz ist, dass trotz einer Enquete-Kommission und der Vorbilder Trier und Worms die Regelung aus Nordrhein-Westfalen (NRW) übernommen wurde. Obwohl dieser formelle Ansatz die Bevölkerung praktisch nicht erreicht, wie die Erfahrungen in NRW zeigen. Dies hat vor allem zwei Gründe. Erstens werden die wenigen Bürgervorschläge faktisch nicht aufgegriffen und scheinen den komplexen politisch-administrativen Aushandlungsprozess der Aufstellung des Haushaltsplans zu stören.Diese mangelnde Relevanz drückt sich auch darin aus, dass die Beteiligung zu spät stattfindet, nämlich nachdem mit dem Haushaltsplanentwurf der Verwaltung bereits wesentliche Aspekte festgelegt sind. Zweitens bewerben Politik und Verwaltung die formellen Verfahren praktisch nicht – mangelnde Öffentlichkeitsarbeit.
  • Finanzreferendum: Mit dem Finanzreferendum in Schweizer Kantonen und Kommunen sowie einigen US-Bundesstaaten und Kommunen gibt es seit dem 19. Jahrhundert ein weiteres formelles Verfahren. Referenden sind funktionale Äquivalente für parlamentarische Entscheidungen. Will ein Stadtrat eine Entscheidung treffen, die eine bestimmte Höhe an Folgekosten überschreitet, muss oder kann die Bevölkerung auf Antrag darüber abstimmen, ob die Maßnahme durchgeführt wird. Referenden bieten damit den verbindlichsten Einfluss auf die Haushaltsplanung. Die langfristigen Wirkungen sind durchaus positiv. Da es in der Schweiz sowohl Kommunen und Kantone mit als auch ohne Finanzreferendum gibt, bietet der interkommunale Vergleich wertvolle Rückschlüsse. So zeigen Vergleiche, dass staatliche Stellen mit Referenden weniger Geld ausgeben (3 bis 9 Prozent) und auf der anderen Seite weniger Steuern hinterzogen werden (Daum 2018).

Dieser Auszug entstammt dem Artikel „Partizipative Budgetplanung: Bürgerhaushalt, Bürgerbudget oder Finanzreferendum?“ von Volker Vorwerk und Maria Gonçalve (2019), erschienen im KURSBUCH #3. Im vollständigen Beitrag stellen die Autoren unterschiedliche Modelle partizipativer Budgetplanung in Deutschland vor und vergleichen mittels nachvollziehbarer Kennzahlen die Wirksamkeit der Varianten. Weiterführende Informationen zum KURSBUCH #3 und eine Bestellmöglichkeit finden Sie hier

Literaturhinweise

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Die Zukunft gemeinsam gestalten. Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung Buch

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Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)

Auswahlverfahren für Endlagerstandorte - Empfehlungen des AkEnd Forschungsbericht

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Jeanette Behringer

Legitimität durch Verfahren? Bedingungen semi-konventioneller Partizipation: eine qualitativ-empirische Studie am Beispiel von Fokusgruppen zum Thema »Lokaler Klimaschutz« Buch

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Simon Joss

Die Konsensus Konferenz in Theorie und Anwendung. Gutachten im Auftrag der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg Forschungsbericht

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Jürgen Blandow; Ulrich Gintzel; Peter Hansbauer

Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage Buch

Votum, Münster, 1999, ISBN: 9783933158147.

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