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Die Einstellungen von Gemeinderatsmitgliedern zu Bürgerbeteiligung

Viele Studien und Umfragen zeigen: Bürger stehen Bürgerbeteiligung positiv gegenüber. Doch wie bewerten eigentlich die für Beteiligungsverfahren verantwortlichen Gemeinderatsmitglieder Bürgerbeteiligung? Der folgende Beitrag beleuchtet diese Frage und erläutert die Faktoren für die Einstellungen der Gemeinderatsmitglieder zu Bürgerbeteiligung.

Heinrich Böll Stiftung - Foto: Stephan-Roehl via flickr.com , Lizenz: CC BY-SA 2.0

Der Trend zu mehr Bürgerbeteiligung und demokratischen Innovationen lässt sich am stärksten auf der kommunalen Ebene beobachten (Geißel 2008). Die neuen Ansprüche der Bürger nach mehr Mitsprache in politischen Prozessen sorgen dafür, dass politische Strukturen, die Rolle der Akteure und Institutionen der Lokalpolitik (Gemeinderat, Bürgermeister, Verwaltung) neu ausgehandelt werden müssen. Dennoch ist in letzter Instanz die Einstellung und das Verhalten der Gemeinderatsmitglieder und Bürgermeister ausschlaggebend für den Erfolg der Beteiligungsverfahren (Lowndes et al. 2006), da Kommunalpolitiker meistens an der Ein- und Durchführung von Beteiligungsverfahren maßgeblich beteiligt sind. Zudem hängt auch die Umsetzung der Beteiligungsergebnisse häufig von lokalen Politikern ab. Sind diese Bürgerbeteiligung positiver gegenüber eingestellt, so profitieren auch die einzelnen Verfahren nachhaltig. Doch wie stehen deutsche Gemeinderatsmitglieder zu Bürgerbeteiligung? Und von welchen Faktoren hängt diese Einstellung ab?

Neue Machtansprüche in der Kommunalpolitik

Der Fachzeitschriftenartikel „Neue Machtansprüche in der Kommunalpolitik“ (Kersting & Schneider 2016) greift diese Forschungslücke zur Bürgerbeteiligung auf und untersucht die Einstellungen von deutschen Gemeinderatsmitgliedern zu direktdemokratischen und deliberativen Verfahren. Dabei greift der Aufsatz auf einen Datensatz der Bertelsmann Stiftung zurück, in welchem 1247 Gemeinderatsmitglieder in 27 deutschen Kommunen telefonisch befragt wurden (Gabriel & Kersting 2014: 176f.). In diesem Zusammenhang sollten die Befragten zu Aussagen wie „Einwohner sollten direkt über wichtige kommunale Fragen entscheiden können“ ihre Zustimmung oder Ablehnung mit einer fünfstufigen Antwortskala ausdrücken. Zusätzlich wurden auch soziodemografische Daten und die parteiliche Zugehörigkeit erhoben.

Faktoren für die Einstellung zur Bürgerbeteiligung

Die Ergebnisse der empirischen Analyse zeigen, dass „die befragten Kommunalpolitiker eine neutrale bis leicht positive Einstellung zu direkter Demokratie und eine positive Einstellung zu deliberativer Bürgerbeteiligung aufweisen“ (Kersting & Schneider 2016: 332). Dabei hängt nach Kersting und Schneider die Einstellung der Gemeinderatsmitglieder zu Bürgerbeteiligung sowohl von der Parteizugehörigkeit, als auch von dem durch Bürgerbeteiligung generierten Nutzen ab.

Bei der Betrachtung der Parteizugehörigkeit zeigt sich, dass linke Parteien (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke) direktdemokratische und deliberative Beteiligung insgesamt positiver als bürgerliche Parteien (CDU/CSU, FDP) bewerten. Kersting und Schneider führen diesen Unterschied auf Basis der empirischen Datenlage primär auf die verschiedenen „ideologischen bzw. parteipolitischen Einstellungen“ (2016: 328) zurück. Zudem weisen Gemeinderatsmitglieder aus kleineren Parteien (alle Parteien außer CDU/CSU und SPD) im Vergleich zu den beiden Volksparteien eine positivere Einstellung zu direktdemokratischen und deliberativen Beteiligungsverfahren auf.

Der zweite Faktor für die Erklärung der Einstellung der Gemeinderatsmitglieder forciert den potenziellen Mehrwert durch Bürgerbeteiligung. So weisen Gemeinderatsmitglieder eine positivere Einstellung auf, wenn sie sich durch Bürgerbeteiligung einen Mehrwert für sich selbst oder ihre Partei versprechen. Bei der Datenanalyse wird dieses Phänomen dadurch deutlich, dass Gemeinderatsmitglieder Bürgerbeteiligung negativer gegenüber eingestellt sind, wenn sie zu einer relativen Mehrheit im Rat gehören. So können insbesondere direktdemokratische Verfahren den Handlungsspielraum der Rastmehrheit erheblich einschränken. Bei einer simultanen Kontrolle von den Variablen der Parteizugehörigkeit und der Ratsmehrheit überwiegt dennoch die Parteizugehörigkeit. Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass linke Parteien mit einer relativen Ratsmehrheit zumindest direkte Demokratie noch einmal deutlich positiver bewerten (Kersting & Schneider 2016: 332).

Darüber hinaus zeigt die Analyse des Datenmaterials, dass die positive Einstellung zu Bürgerbeteiligung mit steigender Gemeindegröße sinkt. Kersting und Schneider vermuten in diesem Zusammenhang, dass eine starke Professionalisierung der größeren Kommunen und Vorbehalte gegenüber Bürger und dessen Fähigkeiten, diesen Negativtrend verursachen (2016: 332). Zudem weisen Gemeinderatsmitglieder in den östlichen Bundesländern eine geringfügig positivere Einstellung zu direkter Demokratie auf.

Fazit

Insgesamt bewerten Gemeinderatsmitglieder direkte Demokratie neutral bis positiv und sind deliberativen Verfahren positiv gegenüber eingestellt. Für die Erklärung der Einstellung spielen besonders die Parteizugehörigkeit und der zu erwartende Nutzen durch Bürgerbeteiligung eine wichtige Rolle. Bei einer genaueren Analyse wird jedoch deutlich, dass vor allem die Parteizugehörigkeit die Einstellung der Gemeinderatsmitglieder zu Bürgerbeteiligung erklärt.

Literatur

  • Gabriel, Oscar W; Norbert Kersting (2014): Partizipation auf kommunaler Ebene. Politisches Engagement in deutschen Kommunen: Strukturen und Wirkungen auf die politischen Einstellungen von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung. In: Bertelsmann Stiftung und Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Politische Partizipation im Wandel. Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden. Bertelsmann, Gütersloh: S. 43-181.
  • Geißel, Brigitte (2008): Zur Evaluation demokratischer Innovationen – die lokale Ebene. In: Vetter, Angelika (Hrsg.):  Lokale Politikforschung heute. Springer VS, Wiesbaden: S. 227-248.
  • Kersting, Norbert; Sebastian Schneider (2016): Neue Machtansprüche in der Kommunalpolitik: Die Einstellungen von Ratsmitgliedern zu Bürgerbeteiligung. In: Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft 10 (3-4), S.311-339.
  • Lowndes, Vivien; Lawrence Pratchett & Gerry Stoker (2006): Local political participation: the impact of rule-in-use. In: Public Administration 84 (3), S.539-561.

Literaturhinweise

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Politische Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und Gremienarbeit Forschungsbericht

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien Forschungsbericht

2019.

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