BIOCIVIS

Partizipationsformate in der Bioökonomie – können sie demokratische Teilhabe fördern?

Wie lässt sich Beteiligung bei komplexen wissenschaftlichen Themen wie der Bioökonomie ermöglichen? Diese Frage beleuchten drei Wissenschafterinnen im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes.

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Das Forschungsprojekt BIOCIVIS untersucht, wie das Nachhaltigkeitspotenzial der Bioökonomie, am Beispiel speziell ausgewählter biotechnologischer Prozesse, mit Hilfe partizipatorischer Formate sichergestellt werden kann. Diese Formate sollen gleichzeitig die zivilgesellschaftliche Teilhabe an der Gestaltung der Bioökonomie stärken. Konkret fokussiert sich das Projekt dabei auf zwei Kernaufgaben. Erstens sollen Partizipationsdesigns entwickelt werden, die es ermöglichen, dass sich Teilnehmer*innen eine qualifizierte, begründete Meinung über das Nachhaltigkeitspotenzial unterschiedlicher Prozesse und Szenarien bilden können. Zweitens wird die Identifizierung von aus Bürger*innensicht zentralen Kriterien für eine solche Nachhaltigkeitsbewertung angestrebt.

Beteiligung lieber online?                                                      

Am 28. und 29. Mai 2021 fand der erste sogenannte Biodialog statt. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Coronasituation musste der Dialog ausschließlich digital umgesetzt werden und konnte nicht wie ursprünglich geplant in Präsenz stattfinden. Die Pandemie wirkte sich auch auf die Rekrutierung der Teilnehmer*innen aus. Bürger*innen wurden über aktive Bewerbung mittels Flyern und Plakaten durch Multiplikator*innen, über Social Media und lokale Anzeigenblätter angesprochen. Doch weil viele Restaurants, Stadtteilzentren, Supermärkte und öffentliche Plätze weniger besucht oder geschlossen waren, waren die Bewerber*innenzahlen geringer als erhofft. Von 25 eingeladenen Bürger*innen nahmen letztendlich nur 10 Personen an der digitalen Veranstaltung teil. Dazu kamen noch 8 Interessensvertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und Praxis. Trotzdem gelang es, eine relativ durchmischte Gruppe zusammenzustellen. Mithilfe einer Produktionsfirma entstand im REACH Euregio Start Up Center der WWU Münster ein fernsehartiges Studio, über das der Dialog professionell auf die Bildschirme der Teilnehmenden übertragen wurde. Ein Moderator der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) führte durch die Veranstaltung. Mithilfe eigens produzierter Erklärvideos, Kurzvorträgen und einer digitalen Ausstellung bioökonomischer Alltagsprodukte sollte die Wissensvermittlung am ersten Tag kurzweilig gestaltet werden. Der zweite Tag stand im Zeichen der Diskussion von Praxisbeispielen zu mikrobieller Abwasserreinigung und der Herstellung von biobasierten Chemikalien am Beispiel von Plastik in Kleingruppen. Auch hier wurde versucht, über den Einsatz von digitalen Whiteboards das Diskussionserlebnis so nah wie möglich an ein Präsenzformat anzugleichen. Die Interaktion zwischen den Teilnehmenden verlief dank einiger Eisbrecher zum Kennenlernen zufriedenstellend und so wurde in Kleingruppen, im Plenum und im Chat angeregt diskutiert.

Oder doch in Präsenz?

Der zweite Biodialog fand am 20. und 21. August 2021 vor der Kulisse des botanischen Gartens in Münster in Präsenz statt. 15 Bürger*innen sowie 9 Interessensvertreter*innen fanden zu angeregten Diskussionen zusammen. Die anwesenden Bürger*innen wurden erneut über Bewerbungen auf Eigeninitiative hin rekrutiert und nach den Merkmalen einer diversen Gruppe ausgewählt. Die Informationsvermittlung wurde diesmal weitestgehend durch externe Referent*innen gestaltet. Inhaltlich wurden die beiden Veranstaltungstage in Wissensvermittlungs- und Diskussionsphasen aufgeteilt. Ein Schwerpunkt lag wieder auf der Diskussion der Praxisbeispiele zur Herstellung von biobasierten Chemikalien wie zum Beispiel Plastik und der Produktion von Biogas aus Bioabfall. Neben der Erkundung von deren Vor- und Nachteilen beschäftigte sich ein allgemeinerer Diskurs mit der Frage, wie nachhaltig Bioökonomie wirklich ist. In einer Ausstellung bioökonomischer Alltagsprodukte wurde die Bioökonomie für die Teilnehmenden mit Fahrradreifen aus Löwenzahnkautschuk oder Sushi-Boxen aus Bioplastik buchstäblich greifbar. Die Diskussionen im Plenum wie in den Kleingruppen waren sehr angeregt und intensiv. Als besonders positiv empfanden die Teilnehmer*innen die persönlichen Kontakte nach der langen Zeit der Pandemie.

Zwischenfazit: Beteiligung ist wichtig, aber herausfordernd für Veranstalter*innen

Die Biodialoge haben bestätigt, dass der Ansatz, Bürger*innen mit Interessensvertreter*innen auf Augenhöhe ins Gespräch zu bringen, als bereichernd für alle Seiten betrachtet werden kann. Gleichzeitig wurden auch die zentralen Herausforderungen entsprechender Beteiligungsformate deutlich.

Gerade im Kontext komplexer Fragestellungen ist eine „neutrale“, nicht manipulative Wissensvermittlung so essenziell wie schwierig. Wie kann es gelingen, Bürger*innen ohne Vorwissen in kurzer Zeit komplexe Themen wie biotechnologische Verfahren so nahe zu bringen, dass sie befähigt werden, eine eigene, informierte Meinung zu entwickeln? Welche Informationen können wie, von wem bereitgestellt werden, und wie stellt man sicher, dass unterschiedliche Perspektiven ausreichend Raum bekommen?

Eine weitere Herausforderung ist die Rekrutierung eines repräsentativen Teilnehmer*innenfelds. Es hat sich gezeigt, dass der Ansatz der Eigenrekrutierung über verschiedene Werbemaßnahmen inklusive der Einbeziehung von Organisationen mit Reichweite in beteiligungsferne Bevölkerungsgruppen trotz größter Anstrengungen nicht zum Erreichen einer möglichst diversen Gruppe an Bürger*innen führte. In beiden Biodialogen waren beispielsweise Akademiker*innen und Personen unter 40 Jahren stark überrepräsentiert. Ein alternativer Ansatz, der auf eine geschichtete Zufallsauswahl aus dem Melderegister zurückgreift, ist auch nicht unproblematisch, wie die Forschung gezeigt hat, aber erscheint erfolgversprechender.

Schließlich hat die Durchführung von einem Online- und einem Präsenzformat gezeigt, dass – zumindest für die Zwecke des BIOCIVIS Projekts – eine Präsenzveranstaltung zu bevorzugen ist. Gerade bei den teilweise technisch anspruchsvollen Diskussionen konnte der persönliche Kontakt dazu beitragen, offener miteinander ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig sind Präsenzveranstaltungen hinsichtlich des zeitlichen Commitments der Teilnehmer*innen voraussetzungsvoller.

Im Rahmen der Konferenz „Das Konzept der Bioökonomie im Dialog“, die am 20. und 21. Januar 2022 in Kooperation mit der Katholischen Akademie Frantz Hitze Haus in Münster online stattfand, wurden unter anderem diese Herausforderungen von einem Fachpublikum diskutiert und Lösungsansätze gesucht. Die Ergebnisse der Tagung wie auch die Erfahrungen aus den beiden Biodialogen werden nun in das Design des nächsten Biodialogs einfließen, der im Mai 2022 stattfinden wird.

Zu den Autorinnen

Carolin Bohn (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt BIOCIVIS und am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung. Sie setzt sich im Rahmen des Forschungsprojektes und in ihrer eigenen Forschung mit Fragen aus dem Themenfeld „Demokratie und Nachhaltigkeit“ auseinander und interessiert sich dabei besonders für Aspekte wie nachhaltigkeitsorientierte Bürger*innenbeteiligung und politische Urteilsfähigkeit.

Victoria Hasenkamp (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt BIOCIVIS und am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist. Im Forschungsprojekt sowie ihrer eigenen Forschung widmet sie sich Fragen rund um das Thema der bürgerschaftlichen Partizipation.

 

Wiebke Walleck (M. Sc.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt BIOCIVIS und am Institut für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie der WWU Münster tätig. Als Mikrobiologin ist sie im Forschungsprojekt mitverantwortlich für die naturwissenschaftlichen Hintergründe der Bioökonomie und der diskutierten Praxisbeispiele. Neben der interdisziplinären Arbeit interessiert sie sich unter anderem für die Einstellung von Bürger*innen zum Thema Biotechnologie.

Literaturhinweise

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