6 Erwartungen
Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag den Jörg Sommer, Direktor des Berlin Institut für Partizipation, am 19. April 2021 auf dem 3. Berliner Liegenschaftskongress gehalten hat.
Seit über einer Dekade wird in Deutschland immer mehr, immer intensiver und auch qualitativ immer besser beteiligt. Und doch wird beinahe bei jedem Vorhaben neu diskutiert, ob mehr Beteiligung tatsächlich auch für mehr Akzeptanz sorgt. Sorgt sie. Aber nur, wenn sie gut gemacht ist.
Liegenschaftspolitik ist alles andere als ein konfliktfreier Raum. Beteiligung aber ist genau das: Konfliktmanagement. Und je konfliktreicher, desto gefährlicher sind Fehler. Wir wissen heute viel mehr über Beteiligung als vor 10 Jahren. Wir haben Erkenntnisse, was funktioniert, wann es funktioniert, wie es funktioniert – und warum manches krachend scheitert.
Sechs Erkenntnisse sind von herausragender Bedeutung verdienen besondere Beachtung. Einerseits sind es zwei Erwartungen an Beteiligung, die uns in die Irre führen und andererseits vier Erwartungen an Beteiligung, die sie erfolgreich machen.
1. Beteiligung ist nicht Akzeptanzbeschaffung
Wer beteiligt, um Akzeptanz für längst beschlossene Vorhaben zu erreichen, kann es auch gleich lassen. Denn dieses Motiv führt unmittelbar und regelmäßig zu inhaltlichen Fehlern, mangelnden Ressourcen, manipulativen Methoden und frustrierten Teilnehmer*innen. Das Wesen von Beteiligung ist Deliberation, also Diskurs mit Verhandlungscharakter. Steht das Ergebnis fest und die Beteiligung dient lediglich als legitimatorisches Beiwerk oder gar als didaktische Bürgerbelehrung geht das – das haben wir in der vergangenen Dekade gelernt – immer, aber auch wirklich immer in die Hose.
2. Beteiligung beseitigt keine Konflikte
Tatsächlich wird Beteiligung immer dann schwierig, wenn ihr ein falsches Verständnis von Konflikten zugrunde liegt. Konflikte sind kein Problem für Beteiligung, Konflikte sind ihr Treibstoff. In Beteiligung geht es immer um Konflikte, um unterschiedliche Einschätzungen, Erwartungen, Interessen. Genau darum gibt es Beteiligung. Gäbe es keine Konflikte, bräuchte es sie nicht. Beteiligung ist diskursives Konfliktmanagement. Nicht mehr. Und auch nicht weniger.
Diese beiden Erwartungen sind also gefährlich: Immer wenn Beteiligung Akzeptanz beschaffen und Konflikte vermeiden soll, tut sie sich im besten Fall schwer, im Regelfall scheitert eines von beiden: Der Beteiligungsprozess oder das Vorhaben. Oder beides.
Kommen wir nun zu den vier berechtigten Erwartungen an Beteiligung, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein soll.
3. Beteiligung muss frühzeitig erfolgen
Gelingende Beteiligung beginnt im frühen Planungsstadium. Denn dann ist die Ergebnisoffenheit am größten, die Chance auf qualitative Verbesserung vorhanden und die Verwerfungen sind am geringsten. Außerdem gibt es in diesem Stadium auch die Möglichkeiten, nicht nur zu den eigentlichen Plänen, sondern auch zu den Prozessen zu beteiligen, denn: Beteiligung auf Augenhöhe gibt es nur, wenn nicht nur eine Seite die Spielregeln bestimmt.
4. Beteiligung muss breit sein
Beteiligung ist kein Angebot, sondern eine Aufgabe von Politik, Verwaltung und Vorhabenträgern. Es ist ihre Aufgabe, genau zu recherchieren, wer betroffen sein könnte und deshalb zu beteiligen ist. Die üblichen Verdächtigen (männlich, 50+, gut ausgebildet und gerne mal nervend) kommen immer. Doch bei vielen anderen Gruppen reicht es nicht, sie über die Medien einzuladen, sie müssen gezielt angesprochen und motiviert werden.
5. Beteiligung muss gut gemacht sein
Frühe und Breite Beteiligung nutzt nichts, wenn sie nicht gut gemacht ist. Und wir wissen heute sehr gut, was gut ist. Hier sei auf die „10 Grundsätze Guter Beteiligung“ verwiesen, die die Allianz Vielfältige Demokratie entwickelt hat. Darin geht es im Kern darum, den Prozess offen, also flexibel zu halten und die Beteiligten nicht zu Objekten einer Dramaturgie zu machen, sondern als Partner*innen einer gemeinsamen Deliberation zu sehen.
Es geht darum, Konflikte anzunehmen, keine falschen Vorstellungen über den Wirkungsrahmen zu wecken, Informationen als Grundlage und nicht als Manipulationsmittel zu sehen und vor allem: Wirklich miteinander in den Diskurs zu kommen. Beteiligung ist keine Dienstleistung, die man extern delegiert, sondern ein Prozess, an dem sich auch die Beteiligenden beteiligen müssen.
6. Beteiligung muss wirken können
Zu guter Letzt geht es bei Beteiligung immer um Wirkung. Es ist nicht „gut, dass wir darüber gesprochen haben“, sondern „gut, dass wir etwas bewegt haben“. Ziel ist nicht die Akzeptanz vorgegebener Pläne, sondern Entwicklung akzeptierbarer Pläne. Werden Beteiligungsergebnisse nicht umgesetzt, kann es dafür gute Gründe geben, in diesem Fall müssen sie aber transparent gemacht werden, nach dem Prinzip: „Do it or explain it“.
Sollten wir also 10 Jahre Beteiligungserfahrung in einem Satz zusammenfassen, würden wir sagen: Die Qualität, der Erfolg und damit auch die Akzeptanz von Beteiligung hängen davon ab, dass sie früh beginnt, breit beteiligt, gut aufgesetzt und letztlich wirksam ist.
Literaturhinweise
Leitfaden partizipativer Verfahren. Ein Handbuch für die Praxis Buch
ITA-Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2006.
Klassenherrschaft und politisches System. Die Selektivität politischer Institutionen Buchabschnitt
In: Claus Offe; Jens Borchert; Stephan Lessenich (Hrsg.): Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2006.
Partizipation – ein Begriff, der ein Meister der Verwirrung ist Buchabschnitt
In: Carsten Quesel; Fritz Oser (Hrsg.): Die Mühen der Freiheit: Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen, S. 17-37, Rüegger, Zürich, 2006.
Am Rande der Gesellschaft: Risiken sozialer Ausgrenzung Buch
Verlag Barbara Budrich , Leverkusen, 2005, ISBN: 978-3938094938.
Die Zukunft gemeinsam gestalten. Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung Buch
Wien, 2005.
Regieren mit Mediation: Das Beteiligungsverfahren zur zukünftigen Entwicklung des Frankfurter Flughafens Buch
VS Verlag, Wiesbaden , 2005.
Kommunaler Bürgerhaushalt – ein Leitfaden für die Praxis Forschungsbericht
2004.
OECD Nuclear Energy Agency: Stepwise Approach to Decision Making for Longterm Radioactive Waste Management Buch
Experience, Paris, 2004.
Direkte Demokratie: Forschung und Perspektiven Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2003, ISBN: 978-3531138527.
Recipes for Public Spheres: Eight Institutional Design Choices and Their Consequences Artikel
In: The Journal of Political Philosophy, Bd. 11, Nr. 3, S. 338-367, 2003.
Methodenhinweise
Kommunaler PlanungsworkshopDer Planungsworkshop unterstützt mit seinem strukturierten Ablauf und geringen Zeitanspruch Kommunen bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans. Die Methode ist besonders geeignet für Gruppen, die bereits über eine gemeinsame Vision verfügen.
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