Über Geld sprechen

Nils Jonas von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen spricht im Interview über die Chancen und Risiken von Bürgerbudgets und -haushalten. Er hält sie für ein geeignetes Mittel, um die Beteiligungskultur in Deutschland zu stärken.

Herr Jonas, anders als bei Bürgerhaushalten können bei Bürgerbudgets die Einwohner*innen direkt über die Verwendung kommunaler Finanzmittel verfügen. Trägt das aus Ihrer Sicht zur Stärkung der kommunalen Beteiligungskultur bei?

Ja, ich sehe da eindeutig eine Stärkung und zwar aus drei Gründen. Erstens können Bürgerbudgets etwas bieten, woran Bürgerhaushalte zumeist scheitern: Selbstwirksamkeitserfahrungen. Das Erleben der eigenen Wirksamkeit ist von zentraler Bedeutung dafür, dass sich Menschen aktiv einbringen. Der Bürgerhaushalt mag aus Sicht einer Kämmerei das kommunale Zuständigkeitsgeflecht adäquat abbilden – bloß interessiert das viele Bürger*innen gar nicht. Die wollen schließlich keine Föderalismusfortbildung absolvieren, sondern in ihrer Gemeinde real etwas bewegen.

Weiterhin erscheint es mir so, dass die Mobilisierungswirkung durch Bürgerbudgets größer ist. Da werden bestehende soziale Netzwerke einer Gemeinde aktiv, müssen jedoch zugleich aus ihrer Wohlfühlecke raus und der gesamten Bürgerschaft nachvollziehbar den Sinn und Zweck ihres Vorschlages erläutern. Es geht stets darum, etwas Zusätzliches zu verteilen. Das hat einen ganz anderen Zug, als in einem Bürgerhaushalt begründen zu müssen, wo das Geld für den eigenen Vorschlag gespart werden sollte.

Zuletzt – und das sollte beim Stichwort Beteiligungskultur nicht vergessen werden – treten sich Bürger*innen und Verwaltung ganz anders gegenüber. Im Bürgerhaushalt ist jede Änderung des Haushaltsentwurfs zwangsläufig eine Kritik an der Verwaltung. Die Botschaft lautet: „Ihr habt das nicht richtig gemacht, wir greifen jetzt korrigierend ein!“ Beim Bürgerbudget kann sich die Verwaltung ein Stück weit entspannen, denn in ihr laufendes Geschäft will niemand hereinreden. Stattdessen kann sie nach erfolgter Aufteilung des Bürgerbudgets als Ermöglicherin auftreten, die Bürger*innen unterstützen und dafür sorgen, dass zur gesicherten Finanzierung das notwendige Know-how für die Umsetzung kommt.

Viele Menschen in Deutschland wünschen sich einen Ausbau direktdemokratischer Beteiligung. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, über die Verwendung kommunaler Finanzmittel mitzuentscheiden?

Ich glaube, wir brauchen eine solche Ergänzung. Jedes demokratische Instrument hat eine eigene „Flughöhe“. Bei Wahlen geht es um grundlegende Richtungsentscheide für die nächsten Jahre, bei Abstimmungen um bedeutsame Sachfragen, bei Bürgerbeteiligung darf es gerne auch mal kleinteilig werden. In Finanzfragen können wir mit Bürgerhaushalten und Bürgerbudgets die operative Ebene gut abbilden. Für das große Ganze stellt die gewählte Vertretung Haushaltsentwürfe auf. Dazwischen fehlen meiner Meinung nach Finanzreferenden, bei denen nach vorab festgelegten Spielregeln über zusätzliche, besonders hohe oder stetig wiederkehrende Ausgaben das Stimmvolk direkt entscheidet. So manches teure Prestigeprojekt eines scheidenden Oberbürgermeisters würde dadurch demokratisch eingefangen.

Jedoch gilt: Das Finanzreferendum kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein, fakultativ mit Unterschriftensammlung oder obligatorisch ab einer bestimmten Ausgabenhöhe. Ich denke, die Länder sollten hier Gestaltungsspielräume öffnen, die ihre Kommunen dann mit einer individuellen Regelung füllen können. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern halten es beispielsweise so mit dem Instrument der Einwohnerversammlung, deren Ausgestaltung der kommunalen Satzung überlassen wird. Einerseits hätten wir als Gesellschaft dadurch die Möglichkeit, die Wirkung unterschiedlicher Ausgestaltungen zu vergleichen. Zugleich sind die Situationen in den Gemeinden sehr unterschiedlich, es braucht daher solche Gestaltungsspielräume vor Ort.

Braucht es aus Ihrer Sicht eine bestimmte Budgethöhe, damit ein Bürgerhaushalt oder ein Bürgerbudget wirksam sein kann und wie lässt sich dieser Wert gegebenenfalls ermitteln?

Eine schwierige Frage – und ich widerstehe der Versuchung, konkrete Zahlen in den Raum zu stellen. Ich befürchte, es muss sich letztlich an den realen Möglichkeiten der Gemeinde orientieren. Eine Kommune die seit Jahren am Rande des Nothaushalts entlangschrammt, wird kaum Gelder für ein Bürgerbudget zur Verfügung haben. Tatsächlich könnte hier der Bürgerhaushalt die passendere Wahl sein – wie es die nordrhein-westfälische Kommunalaufsicht von den Kommunen unter Fiskalaufsicht auch lange verlangt hat. Ein bürgerbeteiligter Sparhaushalt, um zumindest eine gewisse demokratische Legitimation für harte Einschnitte zu erhalten, ist besser als gar keine Beteiligung.

Was die Höhe eines Bürgerbudgets angeht, sollten wir uns von absoluten Begriffen wie „richtig“ oder „falsch“ lösen. Es geht um Stimmigkeit. Die ist zwangsläufig definitorisch etwas unscharf und kann nur im Gesamtkontext der Gemeinde kollektiv „erspürt“ werden. In jedem Fall sollte die Einwohnerschaft hierbei eingebunden werden. Wenn die Gemeinde insgesamt herbe Einnahmeverluste verkraften muss, kann es nicht sein, dass ein Bereich – und sei es das Bürgerbudget – seine verfügbaren Mittel ausweitet. Andersherum ist es ebenso nicht vermittelbar, weshalb ein Mittelzuwachs nicht auch im Bürgerbudget ankommen sollte.

Insgesamt wird in unserer Demokratie der Diskurs über die Ausgestaltung der Demokratie selbst nur sehr verhalten, ja meist schon übervorsichtig, geführt. Hier wünsche ich mir mehr Mut, Demokratie als etwas gestaltbares zu erleben. Das kann und sollte im Kleinen anfangen, eben indem die Frage der Höhe eines Bürgerbudgets öffentlich diskutiert wird.

Sie waren lange für die Stadt Potsdam im Bereich Bürgerbeteiligung tätig. Die Stadt unterhält seit mehreren Jahren einen Bürgerhaushalt, den sie jüngst um Bürgerbudgets ergänzt hat. Stellt die Kombination beider Verfahren den Königsweg dar?

Gerade in größeren Städten kann die Kombination beider Ansätze Synergien entfalten. So ist ein nach Stadt- und Ortsteilen aufgegliedertes Bürgerbudget potenziell flexibler darin, auf lokale Herausforderungen zu reagieren.

Bislang finden sich Formen der partizipativen Budgetplanung vor allem auf Kommunalebene. Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass Bürgerhaushalte und -budgets nicht auch auf Länderebene erprobt werden?

Wir erleben in Deutschland insgesamt eine Demokratie der verschiedenen Geschwindigkeiten. Gerade auf der kommunalen Ebene hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel bewegt. Es wurde und wird viel ausprobiert, mit dialogorientierten Demokratieformen, mit Beteiligungssatzungen und neuen kommunalen Fachstellen. In einigen Bundesländern wie bspw. Bayern hat die Einführung bzw. Stärkung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ebenfalls einen erheblichen Beitrag zur Belebung der kommunalen Demokratie geleistet. Das mag nicht auf jede der knapp 11.000 Kommunen in Deutschland zutreffen und doch glaube ich, dass wir mittlerweile in der Fläche einen deutlichen kulturellen Wandel erleben. Wer heute Kommunalpolitik macht, kommt eigentlich nicht mehr darum herum, Bürger:innen in der einen oder anderen Form aktiv einzubeziehen.

Auf der anderen Seite erleben wir die Länder und den Bund, die wie die Katze um den heißen Demokratiebrei herumschleichen. Von Ausnahmen wie Baden-Württemberg mal abgesehen, wird kaum ein Demokratieproblem mutig angepackt. Die Reform des Bundestagswahlrechts stolpert seit Jahren von einem untauglichen Vorschlag zum nächsten. Die Einführung einer zeitgemäßen direkten Demokratie auf Bundesebene scheitert beständig an der Dauer-Blockade der CDU. Eine Modernisierung der Beteiligungsregelungen im Baugesetzbuch und in vergleichbarem Planungsrecht ist nicht absehbar. Die aktuelle Bundesregierung hat sich vier Jahre erfolgreich um die Einberufung einer Demokratie-Enquete herumgedrückt. Im Großen und Ganzen herrscht lähmender Stillstand in Sachen Demokratiereform – da machen Bürgerhaushalt und Bürgerbudget keine Ausnahme.

Ein Lichtblick waren die Bürgerräte in 2020, die viel mediale Aufmerksamkeit bekamen. Die grundsätzliche Richtung stimmt. Es braucht jedoch dringend eine gesetzliche Rahmung für dieses Instrument. Sonst drohen sie in die Niedlichkeitsfalle zu laufen oder zum schönen Ablassventil für öffentlichen Druck zu verkommen. Bürgerräte sollten ein fester Bestandteil in der vielfältigen Demokratie der Bundesrepublik werden und dafür brauchen sie einen definierten Platz im institutionellen Gefüge.

Zur Person

Nils Jonas ist seit 2008 für die Weiterentwicklung unserer Demokratie tätig. Er baute die kommunale Fachstelle für Beteiligung der Landeshauptstadt Potsdam auf und arbeitet seit 2020 in der zentralen Anlaufstelle für Beteiligung bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Daneben ist er freiberuflich tätig und engagiert sich bei Mehr Demokratie e.V.

 

 

Literaturhinweise

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Partii - Partizipation inklusiv Forschungsbericht

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Engagiert für Integration - Demokratische Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft Buch

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

Büchner Verlag, 2019, ISBN: 978-3-96317-158-1.

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Johannes Drerup, Gottfried Schweiger (Hrsg.)

Politische Online- und Offline-Partizipation junger Menschen Sammelband

J.B. Metzler, Stuttgart, 2019, ISBN: 978-3-476-04744-1.

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien Forschungsbericht

2019.

Abstract | Links | BibTeX

John S. Dryzek; André Bächtiger; Simone Chambers; Joshua Cohen; James N. Druckman; Andrea Felicetti; James S. Fishkin; David M. Farrell; Archon Fung; Amy Gutmann; Hélène Landemore; Jane Mansbridge; Sofie Marien; Michael A. Neblo; Simon Niemeyer; Maija Setälä; Rune Slothuus; Jane Suiter; Dennis Thompson; Mark E. Warren

The crisis of democracy and the science of deliberation Artikel

In: Science, Bd. 363, Nr. 6432, S. 1144-1146, 2019.

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