Partizipative Bioökonomie

Wie können Partizipationsverfahren den Nutzen bioökonomischer Technologien sichern und demokratische Teilhabe stärken?

Das Projekt BIOCIVIS untersucht den (Nachhaltigkeits-)Nutzen bioökonomischer Technologie und setzt dazu auf eine intensive Einbindung der Bürger*innen.

Foto: Peter Leßmann, WWU

„Bioökonomie“ – hinter diesem, in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannten Begriff, versteckt sich allgemein gesprochen die Vision einer grundlegend anderen Wirtschaftsweise, die sich idealerweise u.a. durch den Rückgriff auf erneuerbare Rohstoffe anstatt fossiler Ressourcen sowie durch energieeffizientere und schadstoffärmere Produktionsprozesse auszeichnet. Dabei spielt auch der Kreislaufgedanke im Sinne einer optimalen Ver- und Wiederverwertung von Ausgangsmaterialien eine zentrale Rolle. Bereits diese Skizze der erhofften Mehrwerte, die mit dem Begriff „Bioökonomie“ in Verbindung gesetzt werden, zeigt, warum ihre inzwischen zahlreichen Befürworter*innen sie als zentrales Element einer umfassenden Transformation zur Nachhaltigkeit betrachten.

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Bioökonomie in der Diskussion

Nichtsdestotrotz ist die Idee der Bioökonomie keineswegs unumstritten, sondern wirft durchaus unterschiedliche Herausforderungen auf und ruft Kritiker*innen auf den Plan. In diesem Zusammenhang erfolgt beispielsweise der Verweis darauf, dass erneuerbare Rohstoffe nicht aufgrund ihrer Erneuerbarkeit per se nachhaltig sind, sondern nur unter bestimmten Bedingungen – zum Beispiel dann, wenn auch ihre Produktionsbedingungen Nachhaltigkeitsstandards entsprechen. Auch Aspekte wie der Einsatz von Gentechnik in biotechnologischen Verfahren, die das technische Herzstück der Bioökonomie bilden, oder die Gestaltung des Strukturwandels in Erdöl-basierten Wirtschaftszweigen sind Gegenstand von Diskussionen.

Der Übergang zu einer Bioökonomie kann also unter bestimmten Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, die Idee der Bioökonomie ist aber nicht per se nachhaltigkeitsförderlich. Außerdem wird heute gefordert, dass solch zukunftsweisende Weichenstellungen wie der Übergang zu einer Bioökonomie in einer Demokratie nicht ohne die Beteiligung der Bürger*innen erfolgen sollte, auch wenn dabei über sehr komplexe Themen entschieden werden muss. Die Beteiligung der Öffentlichkeit, das heißt der einzelnen Bürger*innen, erfolgt im Kontext Bioökonomie aktuell jedoch noch nicht umfassend genug.

Das Forschungsprojekt

Vor diesem Hintergrund untersuchen Politikwissenschaftler*innen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster unter Leitung von Prof’in Doris Fuchs und Mikrobiolog*innen der WWU Münster unter der Leitung von Prof. Bodo Philipp im dreijährigen BMBF-geförderten inter- und transdisziplinären Forschungsprojekt „BIOCIVIS – Partizipation zur Sicherung des Nachhaltigkeitsnutzens und der gesellschaftlichen Teilhabe (in) der Bioökonomie“ in enger Kooperation die Frage, mittels welcher partizipativer Verfahren der (Nachhaltigkeits-)Nutzen bioökonomischer Technologien gesellschaftlich gesichert und gleichzeitig eine Stärkung demokratischer Teilhabe realisiert werden kann.

Beteiligung durch „Biodialoge“

Um Antworten auf diese Frage zu finden, spielt die Erprobung eigener Partizipationsformate rund um verschiedene Bioökonomie-Szenarien im Projekt eine zentrale Rolle: In insgesamt vier in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Forschungstransfer der WWU Münster designten Veranstaltungen, den sogenannten „Biodialogen“, bringen wir Bürger*innen und Praxispartner*innen ins Gespräch über Verfahren der mikrobiellen Biotechnologie, für die Kleinstlebewesen und deren Bestandteile (u. a. Bakterien, einzellige Pilze und Algen) technisch genutzt werden. Bei der Rekrutierung der Bürger*innen liegt dabei – vor dem Hintergrund der tendenziell schwächeren Repräsentation bestimmter gesellschaftlicher Gruppen – der Fokus darauf, eine (bspw. mit Blick auf Alter, Geschlecht und Bildungsgrad) möglichst vielfältige Gruppe von Bürger*innen zur Teilnahme an den Biodialogen zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, führt das Projektteam eine Rekrutierungskampagne über unterschiedliche Kanäle (u. a. Facebook oder die Lokalpresse) durch, baut typische Beteiligungshindernisse ab (bspw. durch die Übernahme von Reise- und Übernachtungskosten sowie die Bereitstellung einer Kinderbetreuung) und schafft – z. B. durch die Zahlung einer Aufwandsentschädigung – Anreize zur Beteiligung.

Erstmals im Mai 2021 werden dann ausgewählte Bürger*innen und Praxispartner*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (darunter bspw. Politik, Wirtschaft und Religion) in einem Biodialog zusammenkommen. Der erste Tag jedes Dialoges ist schwerpunktmäßig der Wissensvermittlung sowie dem Kennenlernen der Teilnehmer*innen gewidmet, die eine ausgewogene und niedrigschwellige Einführung ins Thema „nachhaltige“ Bioökonomie und in die biotechnologischen Verfahren, die im Mittelpunkt des jeweiligen Biodialoges stehen, erhalten. Auf Basis der so geschaffenen gemeinsamen Wissensgrundlage erfolgt am zweiten Tag eine intensive Diskussion der Herausforderungen und (Nachhaltigkeits-)Potenziale dieser Verfahren, in der wir auf passgenau ausgewählte Diskussionsmethoden zurückgreifen. Während die Beteiligung der sehr unterschiedlichen Praxispartner*innen an den Biodialogen eine facettenreiche Diskussion ermöglicht, legen wir gleichzeitig Wert darauf, ausreichend Gelegenheiten zur Diskussion der Bürger*innen unter sich zu schaffen, insbesondere bei der abschließenden Beurteilung der diskutierten biotechnologischen Verfahren.

Ausblick

Im Anschluss an die Durchführung der ersten beiden Biodialoge im Jahr 2021 erfolgt eine Evaluation unter Rückgriff auf unterschiedliche wissenschaftliche Methoden sowie ggf. eine Überarbeitung des Designs der Dialogveranstaltungen. Vorrangiges Ziel des Projektes ist es nach einer abschließenden Evaluation zweier weiterer Biodialoge im Jahr 2022 schließlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse mit Blick auf die Gestaltung von demokratiestärkenden und nachhaltigkeitsförderlichen Bürger*innenbeteiligungsformaten zu technisch komplexen Themen wie der Bioökonomie zu formulieren als auch – im Sinne der Transdisziplinarität des Forschungsprojektes – entsprechende Praxisempfehlungen.

Wir freuen uns darauf, Ihnen bereits im Herbst 2021 im Rahmen eines Folgebeitrages erste Einblicke in Zwischenergebnisse des Forschungsprojektes BIOCIVIS geben zu können! Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Projektwebsite, Rückfragen beantworten wir Ihnen gern auch per Mail unter biocivis@uni-muenster.de.

Das Projekt BIOCIVIS wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 031B0780 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Artikels liegt bei den Autorinnen.

Zu den Autorinnen

Carolin Bohn (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt BIOCIVIS und am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung. Sie setzt sich im Rahmen des Forschungsprojektes und in ihrer eigenen Forschung mit Fragen aus dem Themenfeld „Demokratie und Nachhaltigkeit“ auseinander und interessiert sich dabei besonders für Aspekte wie nachhaltigkeitsorientierte Bürger*innenbeteiligung und politische Urteilsfähigkeit.

 

Victoria Hasenkamp (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt BIOCIVIS und am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist. Im Forschungsprojekt sowie ihrer eigenen Forschung widmet sie sich Fragen rund um das Thema der bürgerschaftlichen Partizipation.

Literaturhinweise

188 Einträge « 19 von 19 »

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Abstract | Links | BibTeX

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Neue Formen politischer Beteiligung Buchabschnitt

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Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung: eine Diskussionsgrundlage Buch

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Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen Buch

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