Mehr Demokratie wagen

Wie gelingt die Revitalisierung der Demokratie in Deutschland und welche Bedeutung hat Partizipation auf dem Weg zu einer nachhaltigen sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft?

bipar - Bürgerbeteiligung - Demokratie

Elemente eines demokratischen Prozesses

Wie lässt sich unsere Demokratie neubeleben? Das ist eine brisante Frage, die gegenwärtig intensiv diskutiert wird. Braucht es mehr direkte Demokratie oder sollte die repräsentative Demokratie stattdessen um Elemente deliberativer Beteiligung ergänzt werden? Liegt vielleicht die beste Lösung in einem koordininierten Einsatz beider Partizipationsformen?

Mit dieser Frage befasst sich u.a. die neue Ausgabe der movum. Die Autoren aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik sind sich einig darin, dass der gesellschaftliche Wandel hin zu einer ökologischeren und nachhaltigeren Gesellschaft nur erreichbar ist, wenn die Teilhabemöglichkeiten der Bevölkerung an der politischen Entscheidungsfindung verbessert werden.

Dies diskutiert der Vorsitzende des BUND, Hubert Weiger, am Beispiel der Bürgerenergie. Der Bundesvorstandssprecher der Initiative Mehr Demokratie e. V. verweist darauf, dass auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für den Ausbau direktdemokratischer Elemente ist und betont ihre Doppelrolle als Korrektiv und Ideengeber zugleich.

Dass Partiziption dabei nicht immer harmonisch ablaufen muss, schildert die Professorin Heike Walk, die sich mit der Rolle sozialer Bewegungen als vitalisierende Elemente für das politische System befasst.

Vorschlag für ein Beteiligungsgesetz

Jörg Sommer, Gründungsdirektor des bipar und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, führt in einem längeren Interview dazu aus, dass es eben nicht nur um die Quantität von Beteiligungsverfahren geht, sondern vielmehr um die Qualität. Nie hätte es mehr Möglichkeiten für die Bürger gegeben, an Veranstaltungen teilzunehmen oder sich in virtuellen Foren zu äußern. Doch die Verbindlichkeit der Beteiligungsergebnisse sei oft gering. Daher tritt er für ein Bundesgesetz ein, das Mindeststandards für Partizipation schafft.

Demokratische Teilhabe lässt sich dabei am besten als ein komplexes System verstehen, bei dem viele Zahnräder ineinandergreifen. Jedes ist dabei von Bedeutung und wenn an einer Stelle Sand im Getriebe ist, knirscht es überall. Die folgende Abbildung visualisiert dieses Verständnis anschaulich.

Elemente eines demokratischen Prozesses

Die gelungene Heftgrafik der movum zeigt die wesentlichen Elemente partizipativer Verfahren und deren Wirkungsbeziehungen. Methodisch gut gemachte Beteiligung kann die Demokratie stärken, indem sie die Akzeptanz und Legitimität politischer Entscheidungen erhöht, die Qualität politischer Ergebnisse verbessert und den Bürgern in emanzipatorischer Perspektive neue Beteiligungsräume eröffnet. Dies setzt allerdings voraus, dass wichtige Verfahrensbausteine Beachtung finden. Es beginnt bei einer transparenten Informationspolitik zum Beteiligungsprozess und einer Klärung der Betroffenheit, denn ein erfolgversprechender Diskursprozess bedingt, dass alle Interessen auf den Tisch kommen und alle themenbezogenen Meinungen jederzeit Gehör finden.

Die vielbeschworenen „Wutbürger“ sind in diesem Verständnis auch kein Verfahrenshindernis, sondern im Gegenteil kritische Stimmen, mit denen man sich inhaltlich auseinandersetzen muss. Dazu gibt es nicht das eine optimale Verfahren. Vielmehr wird deutlich, dass kontextabhängig unterschiedliche Beteiligungsmethoden wie bspw. Bürgerhaushalte, Planungszellen oder Konsenskonferenzen Anwendung finden sollten. In jedem Fall jedoch gilt, dass (Zwischen-)Ergebnisse zu dokumentieren und an politische Entscheidungsträger zu übermitteln sind.

Nur wenn die Wirkung der erarbeiteten Beteiligungsergebnisse im weiteren politischen Entscheidungsverfahren gegeben und transparent nachvollziehbar ist, wird ein Gefühl der Scheinbeteiligung bei den Beteiligten nicht entstehen. Daher kommt einem umfassenden Feedback eine wichtige Funktion zu. Bei deliberativen Beteiligungsverfahren ist das jedoch nicht gleichbedeutend damit, dass die Partizipationsergebnisse eins zu eins im politischen Gesetzgebungsprozess umgesetzt werden müssen. Sie stellen vielmehr im Sinne eines Gutachtens oder Berichts eine Entscheidungsempfehlung dar. Dieser muss der Gesetzgeber nicht unmittelbar folgen, jedoch verlangt ein gutes Beteiligungsdesign mindestens, dass eine inhaltliche Befassung und umfassende Erklärung zu den Vorschläger der Bürgerschaft abgegeben wird, die darlegt, aus welchen Gründen Ratschläge berücksichtigt oder verworfen wurden.

Jenseits dieser deliberativen Partizipationsstruktur besteht für die Bürger vor allem auf kommunaler Ebene die Möglichkeit, über direktdemokratische Elemente unmittelbar an der politischen Entscheidungsfindung teilzunehmen. Auf Länder- und Bundesebene ist sie gegenwärtig nur in wenigen Fällen bzw. gar nicht vorgesehen. Inwieweit sich das in Zukunft ändern wird, hängt sicherlich auch vom Ausgang der anstehenden Wahl ab, denn die Parteien befürworten die Stärkung plebiszitärer Strukturen auf Bundesebene unterschiedlich.

Hier können Sie das aktuelle Heft der movum „Mehr Demokratie wagen“ sowie die beiliegende Infografik herunterladen.

Literaturhinweise

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Kommunikation und Meinungsbildung bei Großprojekten Artikel

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Abstract | Links | BibTeX

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Siegfried Mauch

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Paul Nolte

Von der repräsentativen zur multiplen Demokratie Artikel

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Abstract | Links | BibTeX

Joachim Radkau

Mythos German Angst: Zum neuesten Aufguss einer alten Denunziation der Umweltbewegung Artikel

In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Bd. Band 5, S. 73-82, 2011.

Abstract | BibTeX

Gerhard Matzig

Einfach nur dagegen: Wie wir unseren Kindern die Zukunft verbauen Buch

Goldmann Verlag, München, 2011, ISBN: 978-3442312733.

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Neue Dimensionen des Protests? Ergebnisse einer Exploration Studie zu den Protesten gegen Stuttgart 21 Forschungsbericht

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Cornelia Hildebrandt; Nelly Tügel (Hrsg.)

Der Herbst der "Wutbürger": Soziale Kämpfe in Zeiten der Krise Sammelband

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, 2010.

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