Wenn das Parlament genehmigt
Planungsvorhaben sollen beschleunigt werden

Soll der Bahnhof vergrößert, ein Windpark gebaut oder die Wasserstraße verlängert werden, ist der Protest von Anwohnern, Bürgerinitiativen oder betroffenen Verbänden meist vorprogrammiert. Gründe für das Engagement mögen vielfältig – und oft auch berechtigt – sein. Fest steht jedoch, dass Planungsverfahren viele Ressourcen binden und den Zeithorizont von Bauvorhaben enorm strecken. Am Ende ist niemand vollends zufrieden.
Das Gesetzesvorhaben
Mit einem neuen Gesetz soll diesen Schwierigkeiten entgegengewirkt werden. Zurzeit wird eine neue verfahrensmäßige Grundlage diskutiert, die es dem Bundestag ermöglichen soll, große Infrastrukturvorhaben per Gesetz zu genehmigen. Somit verlagern sich die Entscheidungen über Bauvorhaben auf das Parlament, dem höchsten demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Dadurch soll die Akzeptanz für die jeweiligen Projekte erhöht werden.
Neben gesteigerter Akzeptanz zielt das Gesetz auf einen weiteren Punkt ab: Verkehrspolitik und Umweltpolitik können nur zusammengedacht werden. Die neuen Gesetze sollen ermöglichen, den Bau von Verkehrsprojekten zu beschleunigen, die zur Erreichung von Klimazielen beitragen. Konkret geht es dabei um 12 Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Schiene und Wasserstraße.
Das Bundeskabinett hatte bereits im November 2019 die nun jetzt im Verkehrsausschuss des Bundestags diskutierten Gesetzesentwürfe zur Beschleunigung von Planungsverfahren auf den Weg gebracht. Initiator, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, nahm sich ein Vorbild an Dänemark, dort würden auch „erfolgreich per Gesetz Infrastrukturvorhaben genehmigt“. Damit sollen sowohl Teile des Klimaschutzprogramm 2030 als auch Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag erfüllt werden.
Anhörung der Sachverständigen
Am 15. Januar 2020 fand im federführenden Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur die öffentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Neben Experten aus den Bereichen Schiene, Mobilität, Umwelt und Recht, war auch Jörg Sommer, Direktor des Berlin Instituts für Partizipation geladen.
Sommer stimmte grundlegend mit der Idee überein, zu versuchen, die Planungsverfahren mit einem experimentellen Ansatz wie dem vorliegendem Gesetzesentwurf zu verkürzen. Er forderte jedoch eine Schärfung der im Entwurf genannten „frühen Beteiligung“: Ohne dieses Postulat mit Substanz zu füllen, werde das neue Verfahren nicht die gewünschte Akzeptanz hervorbringen. Auf Nachfrage der Abgeordneten erläuterte er die Faktoren, die notwendig für eine „gute Beteiligung“ seien. Besonders wichtig sei, zwischen Information und Konsultation von Bürgern zu unterscheiden. Es müsse außerdem früh erkenntlich sein, wann genau Beteiligung eingesetzt werden und ob es sich dabei um Stakeholder- oder Bürgerbeteiligung handeln sollte.
Neben Fragen der Beteiligung und Akzeptanz wurden auch mögliche Europarechts- und Verfahrensrechtsunsicherheiten thematisiert. Zudem wurde gefordert, den Kriterienkatalog zur Auswahl betroffener Infrastrakturvorhaben genauer zu beschreiben. Der anstehende Ressourcenaufwand für die Parlamentarier war ein Punkt, der von verschiedenen Sachverständigen ausgeführt wurde. Unstrittig ist, dass – sollte man die empfohlene Sorgfalt bei der Durchführung des Gesetzes walten lassen – ein erheblicher Mehraufwand bei den Abgeordneten ansteht.
Mit den neuen Gesetzen wagt der Bund ein Experiment, um zweierlei zu erfüllen: Mehr Klimaschutz durch schnelleren Bau von Infrastruktur und höhere Akzeptanz durch die Bürger. Durch eine Stärkung demokratischer Elemente soll die Reduktion juristischer Pfade legitimiert werden. Mit einer Präzisierung der Rolle des Parlaments in den Beteiligungsprozessen, der Trägerschaft der Beteiligung und einer Sicherstellung der Qualität und des Ergebnistransfers bietet das Gesetz Potential die angestrebten Ziele der Bundesregierung zu erreichen.
Die Stellungnahmen der Sachverständigen finden Sie hier.
Literaturhinweise
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