Jörg Sommer: „Die Geschichte eines Missverständnisses“

Foto: Ylva Sommer, Archiv

Baden-Württemberg hat eine grün geführte Landesregierung. Baden-Württemberg hat einen klugen, politisch durchsetzungsfähigen Umweltminister. Franz Untersteller sitzt mit mir in der Endlagerkommission und nimmt dort kein Blatt vor den Mund. Er bezieht die Positionen, die er für richtig hält, auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Und er hat in seinem Bundesland eine Aufgabe, die ihm als grünem Urgestein eigentlich ein Freude sein sollte: Er darf den Rückbau der baden-württembergischen Atomkraftwerke beaufsichtigen.

Eine Aufgabe, die ihm eigentlich auch Sympathie und Unterstützung der engagierten Antiatom-Initiativen im Ländle sichern sollte. Doch genau das ist nicht der Fall.

Im Gegenteil: Zwischen Franz Unterstellers Ministerium und den Initiativen im Ländle knirscht es gerade gewaltig.

Eskaliert ist die Situation jetzt durch den Rückzug der Atomkraftgegner aus der Info-Kommission, die das Land vor drei Jahren gegründet hat und die den Rückbau begleiten soll.

Was ist da schief gelaufen?

Aus Sicht der Atomkraftgegner ziemlich viel. Der von mir ebenfalls sehr geschätzte Franz Wagner vom Bund der Bürgerinitiativen mittlerer Neckar (BBMN) fasst die Misere wie folgt zusammen:

„Wir konnten durch unsere ehrenamtliche Arbeit in der Infokommission viele Gefahren des Weiterbetriebs der AKWs benennen. Teilweise wurden diese sogar von den Experten des Ministeriums bestätigt, aber ohne ernsthaft darauf zu reagieren. Offensichtlich soll die Infokommission nur als Beruhigungspille der Bevölkerung dienen.“

Ich bin mir sicher, dass war nie Franz Unterstellers Absicht. Dennoch ist die Bürgerbeteiligung beim Rückbau der Atomkraftwerke in Baden-Württemberg in eine Sackgasse geraten. Die Freunde des BBMN haben auf ihrer Homepage eine lange Liste an Versäumnissen aufgeführt.

Auch wenn einige Einschätzungen sicher aus der Frustration heraus scharf formuliert sind, so zeigt uns das Scheitern der Info-Kommission einmal mehr: Gut gemeinte Bürgerbeteiligung ist noch lange keine gut gemachte Bürgerbeteiligung. Ergebnisoffenheit, Faire Ausstattung, Transparenz – all diese elementaren Anforderungen an gelingende Bürgerbeteiligung konnten nicht so umgesetzt werden, dass sie von den beteiligten kritischen Bürgern gesehen wurden.

Von den von mir immer wieder postulierten vier Dimensionen gelingender Beteiligung ist lediglich eine Dimension (Legitimierung) in der Umsetzung erkennbar gewesen. Zu wenig, um eine Bürgerbeteiligung erfolgreich sein zu lassen.

Was nun?

Zum einen lohnt es sich für die bundesweite Endlagerkommission, sich den Fall Baden-Württemberg genau anzusehen. Denn sie ist in der Gefahr, zumindest einen Teil der hier gemachten Fehler zu wiederholen. Bei der Suche nach einem Endlager hätte eine ähnliche Entwicklung allerdings höchst fatale Folgen.

Zum anderen sollten wir auch in Baden-Württemberg die Bürgerbeteiligung im Rückbauverfahren noch nicht ganz verloren geben. Wenn sich Umweltministerium und Atomkraftgegner noch einmal unter neutraler Moderation zu einem Gespräch treffen würden, wären die Möglichkeiten für einen Neustart einer wirklich gelingenden Bürgerbeteiligung auszuloten. Das würde schwierig, aber nicht völlig unmöglich.

Das Thema ist zu ernst, um es nicht doch noch einmal zu versuchen.

 

Jörg Sommer ist Schriftsteller und Journalist. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in der Anti-Atom-Bewegung. Er ist Mitherausgeber des seit 1992 erscheinenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung. Als Vertreter der Zivilgesellschaft diskutiert er in der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über die hochbrisante Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland. Auf dem Anti Atom Blog schreibt er zu seiner Tätigkeit in der Kommission, aber auch zu anderen aktuellen Fragen der Atompolitik.

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