Jörg Sommer: „Die Endlagersuche ist ein Beteiligungsprojekt“

buergerdialog_ys_20 Jörg Sommer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, seit vielen Jahren beratend in Beteiligungsprozessen tätig und u.a. Mitglied der Endlagerkommission, die einen beteiligungsorientierten Neustart in der festgefahrenen Suche nach einer Lösung für den Atommüll in Deutschland suchen soll. Im Gespräch mit der BBLOG Redaktion spricht er über Beteiligungsprojekte im konfliktbeladenen Raum.


 

Sie arbeiten in der vor einem Jahr neu ins Leben gerufenen sogenannten Endlagerkommission des Deutschen Bundestages mit. Wie schätzen Sie die Aufgabe der Kommission ein? Ist sie überhaupt lösbar?

Bei einem so kontroversen Thema wie der Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe treten die Defizite bisheriger elitenorientierter Politikkonzepte besonders scharf hervor. Die Erfahrungen aus zahlreichen gescheiterten Verfahren um die Endlager Morsleben und Asse, vor allem aber um Gorleben machen einen neuen, auf gesellschaftliche Partizipation fokussierten Anlauf notwendig. Und das heißt auch: Eine Bürgerbeteiligung von neuer Qualität.

Wir muss diese neue Qualität Ihrer Meinung nach aussehen? Was unterscheidet die Bürgerbeteiligung in der Endlagersuche von anderen Beteiligungsprojekten?

Die Endlagerkommission betritt in zentralen Fragen gesellschaftlicher Politik Neuland. Sie bearbeitet ein hoch komplexes technisch-wissenschaftliches Thema mit dem Ziel, für die möglichst sichere Verwahrung radioaktiver Abfälle einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu finden. Allerdings findet die Debatte in einem historisch und aktuell sehr konfliktbeladenen Umfeld statt. Hierzu gehören u.a. unterschiedliche Beurteilungen von Zeitpunkt und Vollständigkeit des Atomausstieges, die Unklarheit über die Finanzierungsverpflichtung und -bereitschaft der Energieversorger, die Sorge um die Krisenfestigkeit und den ausreichenden Umfang der Rückstellungen, anhängige Klagen der Energieversorger auf der einen Seite, aber auch von Bürgern und Umweltorganisationen auf der anderen Seite. Besonders belastend ist auch die bislang nicht stattgefundene Versöhnung zwischen den Antagonisten von 40 Jahren Atom- und Anti-Atompolitik ebenso wie unterschiedliche Interpretationen des Verbleibs des Standortes Gorleben im Verfahren. Das führt letztlich auch zu einer Uneinigkeit in der Umweltbewegung über die Beteiligung am Endlagersuchprozess. Diese und weitere Konflikte wirken auf die unterschiedlichen Akteure in der Kommission in unterschiedlicher, aber teilweise massiver Weise. Deshalb muss sich die Beteiligung im gesamten, viele Jahre andauernden Suchprozess höchsten Qualitätsansprüchen stellen. Handwerkliche Fehler, Intransparenz oder gar manipulative Eingriffe werden zu einem Scheitern führen.

Was genau sollte man in diesem Beteiligungsprozess beachten?

Auch der neue Anlauf zur Endlagersuche wird scheitern, wenn er die Bürgerbeteiligung nur in den bisher im Fokus stehenden zwei Dimensionen sieht: Als Mittel zur Legitimierung repräsentativ getroffener Entscheidungen von übergeordneter gesellschaftlicher Relevanz oder als Mittel zur Schaffung von Akzeptanz von unpopulären Entscheidungen. Eine solche zweidimensionale Bürgerbeteiligung ist gut gemeint, bleibt aber in bisherigen elitären Politikkonzepten verhaftet, weil sie sich auf die Vermittlung von Entscheidungen und die Befriedung von dadurch entstandenen Konflikten konzentriert, also lediglich an den Symptomen kuriert.

„Nachhaltig erfolgreich kann deshalb nur die Etablierung einer neuen Beteiligungskultur sein.“

Nachhaltig erfolgreich kann deshalb nur die Etablierung einer neuen Beteiligungskultur sein, die der repräsentativen Demokratie Formen einer Bürgergesellschaft zur Seite stellt, indem sie der Bürgerbeteiligung eine dritte Dimension hinzufügt: Die Bürgerbeteiligung als Mittel zur Emanzipation der Bürgerinnen und Bürger als Subjekte politischer Gestaltung unserer Gesellschaft. Ohne die Bereitschaft, die Gesellschaft umfassend und nachhaltig zu „politisieren“, alleine mit dem Fokus der Schaffung von Legitimation und Akzeptanz von durch die politischen Eliten definierten Zielen kann und wird die Bürgerbeteiligung in der Endlagersuche nicht funktionieren.

Das kling nach beinahe unerfüllbaren Ansprüchen.

Die Ansprüche sind hoch. Aber der Prozess der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle ist in dieser Hinsicht eine historische Chance. Der beschlossene Atomausstieg, wenngleich noch immer nicht vollständig vollzogen, bietet hier die Möglichkeit, verhärtete Fronten zumindest so weit aufzulösen, das wir uns gemeinsam auf die Suche nach einer sicheren und gesellschaftlich akzeptierten Lösung begeben können. Wo auch immer das Endlager schließlich in Betrieb gehen wird, die einzige Chance auf Akzeptanz für dieses Endlager liegt dabei in einem breiten, langen, offenen und sicher auch schmerzhaften öffentlichen Diskurs im Vorfeld der Entscheidung. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich – wenn die verantwortlichen in der Endlagerkommission, der Politik, aber auch der Energiewirtschaft sich zu eigen machen, was wir im Beteiligungskonzept der Endlagerkommission einmütig beschlossen haben. Dort heißt es an zentraler Stelle: „Wir wollen beteiligen lernen“.

Und das bedeutet konkret?

buergerdialog_ys_17Es bedeutet, dass wir uns von dem Gedanken verabschieden, wir allein wüssten, wie gelingende Bürgerbeteiligung auszusehen hat. Das wissen nämlich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger viel besser. Wir entwickeln also keine Angebote in politischen Klausuren sondern entwickeln Vorschläge, die wir dann gemeinsam mit den Bürgern in einen gelingenden Beteiligungsprozess weiterentwickeln. Das schließt Fehler ein, aber eben auch das Lernen aus diesen Fehlern.

Und da gehen die Mitglieder der Endlagerkommission mit?

Zumindest haben wir es in großer Einmütigkeit beschlossen. In einem ersten BürgerDialog haben wir dieses Konzept auch bereits interessierten Bürgerinnen und Bürgern vorgestellt. Es gab dazu durchaus Beifall, aber auch Kritik und viele interessante Vorschläge und Wünsche. Gerade sind wir in der Kommission in Prozess, hieraus zu lernen und das Verfahren zu verbessern. Nun zeigt sich, ob wir in der Praxis unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden.

Gibt es da konkrete Beispiele für Vorschläge oder Kritik?

Viele Teilnehmer am BürgerDialog haben darauf hingewiesen, dass es ohne eine Aufarbeitung der Fehler von 30 Jahren Endlagersuche und der Geschehnisse um Gorleben kein Vertrauen in einen neuen Suchprozess geben kann. Wir müssen also akzeptieren, dass wir für das neue Verfahren kein Vertrauen einfordern können, sondern dass das verfahren selbst dieses Vertrauen erarbeiten muss. Wichtig ist auch, die Situation der Beschäftigten in der Atomwirtschaft nicht aus den Augen zu lassen. Da gibt es große Zukunftsängste, aber auch großen Sachverstand, den wir für einen verlässlichen Entsorgungsprozess brauchen. Eine nachhaltige Lösung muss also auch Angebote und Perspektiven für diese Beschäftigten beinhalten. Außerdem gab es einen Vorschlag einer jungen Schülerin, der noch während der Veranstaltung viel Zustimmung fand: Sie regte an, den gesamten Beteiligungsprozess durch eine Art „Beteiligungsbeauftragten“ oder Ombudsmann bzw. eine Ombudsfrau begleiten zu lassen, der oder die beteiligungserfahren sowie bei allen Lagern akzeptiert ist und darüber wacht, dass der Beteiligungsprozess wirklich transparent, fair und bürgerorientiert verläuft.

Das sind schon sehr konkrete Vorschläge.

Bürgerbeteiligung ist immer konkret, immer aufwändig, selten schmerzfrei aber immer wertvoll. Eine erfolgreiche Endlagersuche wird es ohne eine gelingende Bürgerbeteiligung nicht geben. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, ganz neue Konzepte und Formate der Partizipation zu entwickeln. Ich blicke erwartungsvoll auf den Prozess und seine Perspektiven.

Literaturhinweise

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Chance statt Show – Bürgerbeteiligung mit Virtual Reality & Co. Akzeptanz und Wirkung der Visualisierung von Bauvorhaben Buch

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Jan Kaßner, Norbert Kersting

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Kinder und Jugendliche im Quartier - Handbuch und Beteiligungsmethoden zu Aspekten der urbanen Sicherheit Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-88118-679-7.

Abstract | Links | BibTeX

Irmhild Rogalla, Tilla Reichert, Detlef Witt

Partii - Partizipation inklusiv Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-942108-20-1.

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