Inklusive Bürgerbeteiligung

10 Möglichkeiten auch schwer erreichbare Zielgruppen zu aktivieren

Im Gastbeitrag stellt Eva Mayer die Ansätze von CitizenLab vor, wie schwer erreichbare Gruppen für Bürgerbeteiligungsprojekte aktiviert werden können.

Jede Verwaltung und Organisation, die schon mal ein Bürger*innenbeteiligungsprojekt ins Leben gerufen hat, kennt die Herausforderung: Wie erreichen wir mit unserem Anliegen auch die sogenannten stillen Gruppen; Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen davor zurückscheuen, Beteiligungsangebote wahrzunehmen?

Wir haben gute Nachrichten: Wir zeigen Ihnen in diesem Artikel zur inklusiven Bürger*innenbeteiligung, wie Sie Ihre Partizipation breit aufstellen können und auch schwer erreichbare Zielgruppen aktivieren. Welche Überzeugungen es für eine plurale Bürger*innenbeteiligung braucht und welche Herangehensweisen zu Inklusion führen!

Warum zögern Menschen, sich in kommunale Themen einzubringen?

Die bessere Frage ist wohl die: Was sind die verschiedenen Hürden, die Bürger*innen in Ihrer Stadt oder Kommune nehmen müssen, damit Beteiligung für Sie überhaupt ein Thema sein kann?

Ihre Verwaltung ist gefragt, hier Antworten zu finden. Denken Sie an:

  • Menschen, deren Muttersprache vielleicht nicht Deutsch ist
  • an junge Menschen
  • an Alleinerziehende oder berufstätige Eltern
  • Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen, z. B. Seh- und Hörbehinderungen 
  • armutsgefährdete Personen, die sich ein Busticket zum Rathaus nicht leisten können
  • oder die, die in Orten leben, wo überhaupt kein Bus fährt.

Identifizieren Sie, für welche Gruppen Beteiligung besonders herausfordernd ist. Dann wissen Sie auch, welche Gruppen von einer Ausgrenzung am Mitgestalten bedroht sind – oder warum sie zögern!

Das unsichtbare Drittel

Eine weitere Hilfestellung bietet die Aufteilung in der More in Common-Studie. Hier wird in einer Dreiteilung in 6 Bürger*innentypen unterschieden, wobei sich das unterste Drittel aus den sog. Enttäuschten und Pragmatischen zusammensetzt. Bürger*innen, die oft nicht mitgedacht werden. Die Unsichtbaren. Charakteristisch ist, dass diese Menschen weder gesellschaftlich noch politisch gut eingebunden sind, dass oft Desorientierung vorherrscht.

Je sensibler Ihre individuelle „Bestandsaufnahme“, desto vielseitiger die Lösungen, die für eine breite Beteiligung entstehen können. Sie möchten ja, dass alle wichtigen Gruppen repräsentiert sind, die das Beteiligungsthema betrifft – und nicht die „üblichen 10“, deren Meinung Sie schon so oft gehört haben. Breite Beteiligung hilft auch, politischer Teilnahmslosigkeit und Abkopplung vorzubeugen. Inklusion und Teilhabe sind gesund für die Demokratie!

Warum haben Menschen Vorbehalte gegenüber Beteiligung?

Neben oben genannten Hindernissen – oder schwierigen Rahmenbedingungen – gibt es auch Vorbehalte, die Menschen haben könnten, wenn es um Bürger*innenbeteiligung geht.  Auch die gilt es zu beachten, damit eine integrierte Partizipation möglich werden kann. In ihrem Wegweiser Breite Beteiligung führt die Allianz Vielfältige Demokratie drei maßgebliche Vorbehaltstypen auf:

  1. Persönliche Vorbehalte der Bürger*innen – das kann fehlende Motivation sein, aber auch Skepsis oder fehlende Ressourcen. Beispiele: Was soll meine Stimme schon bewirken? – oder: Für sowas fehlt mir die Zeit.
  2. Projektbezogene Vorbehalte – z. B. ist die Ansprache nicht verständlich oder die Zielsetzung nicht nachvollziehbar. Die Reaktionen darauf bspw.:  Ich kann das nicht gut verstehen oder: Ich glaube nicht, dass das etwas für mich/uns verbessern wird.
  3. Vorbehalte und Fehlerquellen auf der Seite der Organisator*innen. Beispiele: Lohnt sich die ganze Arbeit überhaupt? Wie sollen wir das schaffen? Das kostet zu viel!

Ob Bürger*innenbeteiligung erfolgreich werden kann, hängt also von vielen komplexen Faktoren ab. Das Gute: jedes Hindernis lädt zu Überlegungen für eine konkrete Maßnahme zur Überwindung desselben ein – Beispiel:

Problem: Lösung:
Für sowas fehlt mir die Zeit Beteiligungsoption zeit-, raumunabhängig und kompakt gestalten z. B. durch Online-Abstimmungen
Ich kann das nicht gut verstehen Einfache Sprache nutzen, Ansprache in verschiedenen Sprachen, Vermittler*innen / Multiplikator*innen einbinden

Es sind weniger die Menschen, die der Beteiligung fern sind, sondern es sind oftmals die Teilhabeangebote, die den Menschen fern sind.“

Jörg Sommer, Direktor Berlin Institut für Partizipation.

Voraussetzungen für qualitätsvolle, inklusive Beteiligung

Jetzt aber zu den konstruktiven Herangehensweisen für Ihre inklusive Beteiligung!
Was sind Voraussetzungen, damit auch marginalisierte Bevölkerungsgruppen in Beteiligungsangebote inkludiert werden – und breite Beteiligung gelingen kann? Wann machen die Menschen bei Beteiligung wirklich mit? Und welche Unterstützung brauchen Gruppen bei der Mitwirkung? 

Inspiriert von den zehn Qualitätskriterien für gute Beteiligungsverfahren des „Netzwerk Bürgerbeteiligung, teilen wir unsere

10 Empfehlungen, um schwer erreichbare Zielgruppen zu beteiligen:

  1. Bauen Sie Brücken zu Ihren vielfältigen Zielgruppen! Und sprechen Sie die Menschen so an, dass sie Sie verstehen! Inklusive Kommunikation – z. B. die Verwendung einfacher Sprache – bedeutet auch inklusive Bildsprache (z. B. wenn Menschen auf Flyern oder Webseiten Bilder von Menschen, wie sich selbst sehen, fühlen sie sich eher angesprochen).
  2. Bieten Sie hybride Formate an: Wählen Sie einen geeigneten Methoden-Mix, der von den Menschen akzeptiert und verstanden wird (Bürger*innenrat nach Zufallsauslosung, Ideenentwicklung im ‘World-Cafe’ u. v. m.).
  3. Bauen Sie persönliche, projektbezogene und organisatorische Vorbehalte ab.
  4. Agieren Sie auf Augenhöhe, betrachten Sie alle Zielgruppen als Expert*innengruppen und denken Sie generationenübergreifend.
  5. Seien Sie mit Ihrer Beteiligung beweglich: suchen Sie Orte auf, an denen sich gewünschte Zielgruppen aufhalten („aufsuchende Beteiligung“ – Vehikel können Nachbarschaftsgespräche, Orte der Begegnung sein) und finden Sie heraus, was Ihre Zielgruppe interessiert und bewegt!
  6. Führen Sie Beteiligungsverfahren in vertrauten Umgebungen durch (z. B. im Kindergarten, im Verein oder Schule) und gewährleisten Sie eine Barrierefreiheit der Partizipationsangebote (z. B. Dolmetsch-Service, Kinderbetreuung)
  7. Sorgen Sie dafür, dass digital nicht angeschlossene Menschen (Senior*innen, von Armut betroffene Menschen etc.) der Zugang zu Partizipation ermöglicht wird (In Deutschland haben, Stand 2022, 6 Prozent der Menschen zwischen 16 und 74 noch nie das Internet genutzt; das entspricht 3,4 Mio. Menschen) und erleichtern Sie es einkommensschwachen Personengruppen, Beteiligungsangebote wahrzunehmen (etwa indem Fahrtkosten übernommen oder Aufwandsentschädigungen gezahlt werden).
  8. Holen Sie Multiplikator*innen an Board und binden Netzwerke ein und ermuntern Sie bereits engagierte marginalisierte Gruppen zur Übernahme von Aufgaben
  9. Schaffen Sie Verlässlichkeit und Transparenz – so entsteht Vertrauen bei den Bürger*innen – für aktuelle Partizipationsangebote, aber auch für Beteiligung in Zukunft!
  10. Gestalten Sie Ihre Beteiligung nicht nach Schema F, sondern gehen Sie individuell, kreativ und auf Augenhöhe vor. Und nutzen Sie hybride Beteiligung! Schließen Sie die Menschen in Ihrer Stadt und Kommune systematisch ein. Dann erreichen Sie sogar Zielgruppen, die als besonders schwierig gelten.

Für eine Vertiefung empfehlen wir Ihnen unser kostenloses Handbuch Inklusion in der digitalen Demokratie

Die Autorin:

Eva Mayer leitet die Geschäftsentwicklung für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei CitizenLab. Nach ihrem Abschluss an der Wirtschaftsuniversität Wien arbeitete sie zuerst im Bereich Erneuerbare Energien, bevor es sie in die Welt der Digitalisierung zog. Sie bringt über 10 Jahre Erfahrung im europäischen Tech-Umfeld mit. Als Partizipationsexpertin bei CitizenLab begleitet sie Städte und Kommunen bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Bürger*innenbeteiligung.

Literaturhinweise

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Stefanie Lütters

Soziale Netzwerke und politische Partizipation. Eine empirische Untersuchung mit sozialräumlicher Perspektive Buch

2022, ISBN: 978-3-658-36753-4.

Abstract | Links | BibTeX

Christian Huesmann, Anna Renkamp, Wolfgang Petzold

Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

Bertelsmann Stiftung Gütersloh, 2022.

Abstract | Links | BibTeX

'Berlin Institut für Partizipation' (Hrsg.)

Bürgerbudgets in Deutschland. Formen, Bedeutung und Potentiale zur Förderung politischer Teilhabe und bürgerschaftlichem Engagements Forschungsbericht

Berlin Institut für Partizipation 2021, ISBN: 978-3942466-48-6.

Abstract | Links | BibTeX

People Powered – Global Hub for Participatory Democracy (Hrsg.)

Impacts of Participatory Budgeting on Governance and Well-Being (2021). Webinar and research brief. Forschungsbericht

2021.

Links | BibTeX

People Powered – Global Hub for Participatory Democracy (Hrsg.)

Impacts of Participatory Budgeting on Civil Society & Political Participation Forschungsbericht

2021.

Links | BibTeX

Christopher M. Brinkmann

Crossmediales Wissensmanagement auf kommunaler Ebene: Bürgerbeteiligung, Netzwerke, Kommunikation Buch

2021, ISBN: 978-3-658-35879-2.

Abstract | Links | BibTeX

Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

Abstract | Links | BibTeX

Arne Spieker

Chance statt Show – Bürgerbeteiligung mit Virtual Reality & Co. Akzeptanz und Wirkung der Visualisierung von Bauvorhaben Buch

2021, ISBN: 978-3-658-33081-1.

Abstract | Links | BibTeX

Jan Abt, Bianka Filehr, Ingrid Hermannsdörfer, Cathleen Kappes, Marie von Seeler, Franziska Seyboth-Teßmer

Kinder und Jugendliche im Quartier - Handbuch und Beteiligungsmethoden zu Aspekten der urbanen Sicherheit Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-88118-679-7.

Abstract | Links | BibTeX

Jascha Rohr, Hanna Ehlert, Sonja Hörster, Daniel Oppold, Prof. Dr. Patrizia Nanz

Bundesrepublik 3.0 Forschungsbericht

Umweltbundesamt 2019, (Ein Beitrag zur Weiterentwicklung und Stärkung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch mehr Partizipation auf Bundesebene).

Abstract | Links | BibTeX

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