Gespaltene Gesellschaft

Seit den Landtagswahlen 2016 ist der Spalt zwischen demokratisch und antidemokratisch eingestellten Gruppierungen nicht zu übersehen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung gibt Einblicke in die gespaltene Mitte Deutschlands.

Deutliche Spaltung bei den Landtagswahlen 2016

Neben Thüringen soll nun auch Berlin von einer rot-rot-grünen Koalition unter Führung der SPD regiert werden. Dass sich der Berliner Senat aus der sogenannten R2G zusammensetzt und nicht aus einer großen Koalition von SPD und CDU, ist keine große Überraschung. In Anbetracht der Tatsache, dass beide Parteien sich in den letzten Jahren immer wieder den Vorwurf gefallen lassen mussten, sich inhaltlich zu sehr einander angenähert zu haben, war es nun an der Zeit, ein Zeichen der Abkehr setzen.

Da viele Bürgerinnen und Bürger keine großen Unterschiede mehr zwischen SPD und CDU ausmachen können, bekam vor allem die Partei, die schon das Wort ‚Alternative‘ im Namen trägt, regen Zulauf. Nicht nur das – die AfD schaffte es sogar, viele Nicht-Wähler für sich zu gewinnen, wie die diesjährigen Landtagswahlen in Berlin, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, aber vor allem auch Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zeigen. In all diesen Bundesländern hatte sie oft weit über 10 Prozentpunkte erreicht, in den beiden letztgenannten über 20 Prozent.

Raus aus der Mitte

Um möglichst viele der AfD-Wähler bei der Bundestagswahl 2017 für sich zu gewinnen, setzen SPD und CDU nun darauf, wieder an Profil zu gewinnen. Das Modell Rot-Rot-Grün steht exemplarisch für diese Bewegung. Aber auch in Angela Merkels Rede vor ihrer Wiederwahl zur CDU-Parteichefin wurde deutlich, dass sie von ihrem liberalen Kurs etwas abrückt und sich den Konservativen zuwendet. Besonders ersichtlich wird dies in ihren Worten zum Thema Burka-Verbot: „Bei uns heißt es: Gesicht zeigen, deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht, sie sollte verboten sein.“ Vorausgesetzt ein solches Verbot wäre auf Grundlage „der Gesetze unseres Landes“ rechtlich möglich.

Diese Bewegung weg von der Mitte hin zum linken und rechten Rand — aber dennoch in Abgrenzung zur äußersten Linken und Rechten seitens der traditionellen Volksparteien — ist Abbild der Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Die „Landtagswahlkämpfe des Jahres 2016 haben deutlich gemacht, wie weit sich menschenfeindliche Bilder in den Bereich der Normalität verschoben haben, denn inzwischen können Wahlkämpfe fast ausschließlich mit dem Thema ‚Sorgen und Ängste‘ vor gesellschaftlichen Minderheiten gewonnen werden“, so lautet eines der Resümees der aktuellen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die repräsentative Studie untersucht seit 2002 die Einstellung der der Deutschen gegenüber Demokratie und rechtsextremen Gedankengut.

Der aktuelle Studienbericht Gespaltene Mitte — Feindselige Zustände zeigt, dass innerhalb der gesellschaftlichen Mitte ganze 84 Prozent der Befragten zwar der Meinung sind, „die deutsche Demokratie funktionier[e] im Großen und Ganzen ganz gut“, aber 40 Prozent andererseits die Demokratie als gefährdet betrachten. Ein durchaus ambivalentes Ergebnis. Die meisten der sich um die Demokratie Sorgenden sympathisieren mit dem rechtspopulistische bzw. -extremen Lager, was einem erhöhten Demokratiemisstrauen unter diesen geschuldet ist. Das Misstrauen rührt beispielsweise aus der Ansicht, die gegenwärtigen Politiker würden nicht auf die Wünsche der Bevölkerung eingehen und die Medien in der Art manipulieren, dass diese nur noch ‚Lügen‘ verbreiten.

Bad Civil Society

Trotz eines ansteigenden Demokratiemisstrauens wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass dies zu einer geringeren Wahlbeteiligung führe, wie Anna Klein und Michael Müller in ihrem Kapitel Demokratische Mitte oder Bad Civil Society? darlegen. Ganz im Gegenteil, die Wahlbeteiligung hat stetig zugenommen. So zum Beispiel in Berlin, wo sie 2011 bei 60,2 Prozent und dieses Jahr schon bei 66,9 Prozent lag. Dieses Mehr an Beteiligung stellt für sich genommen eine positive Entwicklung dar, jedoch mit fahlem Beigeschmack. Es zeugt von einem verqueren und sogar antidemokratischen Demokratiebegriff unter der Mehrheit derjenigen, die zur Neuen Rechten tendiert.

Merkmal dieser bad civil society sei nämlich eine menschenfeindliche Haltung, die mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft einherginge, was in erschreckender Weise an der hohen Anzahl in Brand gesetzter Asylheime zu sehen sei. Sie verstehen Demokratie als bloßes Mittel, um den Willen der Mehrheit durchzusetzen und zwar auf Kosten der Minderheit. Es ist das Schwarz- und Weißdenken, das nicht auf ein Miteinander aus ist, sondern Exklusion. Demokratie bedeutet aber, Minderheiten zu schützen – „mehr noch, in einer in einer demokratisch konstituierten Gesellschaft gilt der zentrale Wert der Gleichwertigkeit der Menschen unabhängig von der ihnen zugewiesenen sozialen Gruppenzugehörigkeit“.

Nur Bildung hat letztendlich das Zeug dazu, die gesellschaftlichen Gruppen, „die den antidemokratischen Reflex zu ihrem gemeinsamen Identitätsmerkmal erkoren haben“, von einem menschenrechtsgemäßen Demokratieverständnis zu überzeugen. Mehr und bessere Bildung, so die Mitte-Studie, helfe Menschen sich „nicht als Objekt staatlichen Handelns, sondern als Subjekt aktiv gelebter Demokratie zu verstehen“.

Trotz der immer deutlich werdenden Spaltung der deutschen Gesellschaft dürfe aber nicht übersehen werden, dass die Mehrheit immer noch „explizit demokratische Grundwerte vertritt“, auch wenn die Stimme der Minderheit lauter zu klingen scheint. Es ist wichtig, dass sich beide Seiten um Dialog bemühen, um nicht weitere Vorurteile und somit die Fronten zu verhärten.

 

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