Generation Online

Ein Interview mit Jürgen Ertelt über E-Partizipation für Jugendliche

Jugendliche sind nicht per se unpolitisch, wie Jürgen Ertelt erklärt, sie müssen nur mit den richtigen Mitteln zur politischen Teilhabe motiviert werden. Über Entwicklung und Möglichkeiten der digitalen (Jugend-) Beteiligung sprechen wir mit dem Sozial- und Medienpädagogen im Interview.

Foto: freeimage4life via flickr.com , Lizenz: CC0 1.0 Universal (CC0 1.0)

Neben den herkömmlichen Offline-Beteiligungsverfahren finden sich immer häufiger E-Partizipationsangebote. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung allgemein?

Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich durch digitale Medien und Internet stark erweitert. Viele Informationen lassen sich durch multimediale Aufbereitung, vom Erklärclip bis zur Virtual Reality-Simulation, verständlicher vermitteln. Jederzeit frei zugängliche, qualitätsgesicherte Informationen als Basis von Beteiligung können in dialogische Verfahren einfließen, die strukturierte und transparente Aushandlungen auf einladende Online-Plattformen ermöglichen. Der mediale Kommunikationswandel erfordert verschiedene Zugänge und eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit. Offene netzbasierte Interaktionsangebote und Social Media sind geeignet, mehr Menschen anzusprechen und zu motivieren, für ihre Anliegen einzutreten und ihre Interessen zu argumentieren. Dabei muss nicht explizit eine spezielle E-Partizipationssoftware die Bürger*innenbeteiligung abbilden, – verschiedene, dem Aushandlungsgegenstand entsprechende, passgenaue (Online-) Werkzeuge können den Beteiligungsprozess optimierend begleiten. Produktive digitale Medien wie 360 Grad – Kameras oder Foto-Drohnen können diverse Perspektiven, Aneignungen und Meinungen elektronisch befördern. Kommunikation unterstützende digitale Produktionstechnik sollte m. E. zu einem erweiterten Portfolio der E-Partizipation zählen, das sich nicht auf Software und Online begrenzt. Gleichwohl sind weiterhin hybride Zugänge und Verfahren der Beteiligung notwendig: Formate wie z. B. das „Barcamp“ oder „Hackathons“ sind geeignet, on- und offline gewinnbringend zu verknüpfen. Bürger*innenbeteiligung ohne „E“ geht an den digitalen Potenzialen und am medialen Alltag des Souveräns vorbei und verspielt sträflich weitere Optionen der Demokratiestärkung.

  

Junge Menschen gelten als besonders digital affin. Gleichzeitig kursiert bisweilen der Vorwurf einer unpolitischen Jugend. Ist E-Partizipation ein probates Mittel zur politischen Aktivierung junger Menschen?

Die Jugend ist per se nicht unpolitisch, sie muss nur mehr auf ihren Kommunikationsebenen gefragt werden.

E-Partizipation im Verständnis einer Prozessunterstützung durch digitale Medien und Internet entspricht den Anforderungen der Alltagskommunikation. Gerade Jugendliche interagieren selbstverständlich mit elektronischen Kommunikationsgeräten und vernetzenden Softwareangeboten. Der Weg über ihre Kommunikationskanäle erleichtert wieder den Zugang von Akteuren aus Politik und Verwaltung zu einer sonst schwer einzubeziehenden Ansprechgruppe. Die junge Generation hat, nicht nur aus demografischen Gründen, einen Anspruch, mehr Raum für ihre Anliegen nutzen zu können. Sie brauchen Platz für ihre audiovisuellen Mitteilungsformate – von Youtube bis Snapchat – um eine jugendgerechte Lautstärke zu erzeugen. Spielerische Zugänge über z. B. in „Minecraft“ entworfene Städteplanungen oder selbst programmierte Lösungen für Herausforderungen der digital geprägten Gesellschaft sollten Teil einer ernsthaften Jugendbeteiligung sein. Weiterhin sind im jungen Experimentierfeld einer wachsenden Beteiligungskultur verlässliche Regeln und wirksame Abläufe notwendig, um keine ansteigende Politikverdrossenheit zu provozieren. Thematische Betroffenheit, regionaler Bezug und ehrliche Anerkennung der digitalen Initiativen der Jungen sind tragende Faktoren für gelingende Beteiligung Heranwachsender. Wo es leichtzunehmende Zugänge für die Anliegen junger Menschen gibt, steigt deren Interesse, sich meinungsstark einzubringen. Die Jugend ist per se nicht unpolitisch, sie muss nur mehr auf ihren Kommunikationsebenen gefragt werden. Somit wird Jugendbeteiligung gleichwohl zum Beschleuniger von politischer Bildung und bürgerschaftlichem Engagement. Das Projekt jugend.beteiligen.jetzt setzt auf mehr Multiplikator*innen für mehr digitale Jugendbeteiligung.

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie bei dem Versuch, die Bürger stärker digital in politische Prozesse auf europäischer Ebene einzubinden?

Leider ist Europa für viele Menschen weiterhin ein sehr abstraktes Gebilde. Mein Arbeitgeber IJAB.de bemüht sich seit Jahrzehnten um mehr Angebote für Fachkräfte und Jugendliche, die Europa erfahrbar machen. Dazu gehören u. a. Auslandsaufenthalte, Begegnungen und Workcamps. Abgesehen von Sprachbarrieren gilt es Vorurteilen und nationalistischen Tendenzen entgegenzuwirken, die sich mit unverhältnismäßiger Präsenz im Netz zeigen. Sprache wird durch helfende Angebote im Internet leichter anwendbar; (politischer) Austausch auf Augenhöhe mit bürokratischen Gebilden scheitert eher an emotionaler Ferne und nüchternen Kommunikationsrahmen. Tatsächlich ist mehr digitale Jugendbeteiligung ein europäisches Thema, das in EU-Netzwerken und auf internationalen Konferenzen Diskurs und Förderung findet. Bei europäischer Bürger*innenbeteiligung wird es noch schwieriger unterschiedliche Services für unterschiedliche Zugänge für verschiedene Mentalitäten und Erwartungen zu offerieren. Hier fallen der Transparenz des Verfahrens und eine valide Informations- und Öffentlichkeitsarbeit eine voraussetzende Rolle zu. Ein „open government“ kann gerade europäisch nur durch die frühe (politische) Einbeziehung der nachwachsenden Generationen erreicht werden. Das ist anstrengend anspruchsvoll, aber unverzichtbar.

Zur Person

Literaturhinweise

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Diana Gallego-Carrera

Viele unterschiedliche Wege - ein gemeinsames Ziel: Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle Buchabschnitt

In: Monika Müller (Hrsg.): Endlagersuche - gemeinsam mit den Bürgern! Information, Konsultation, Dialog, Beteiligung, Evangelische Akademie Loccum, Rehburg-Loccum, 2013, ISBN: 978-3817221134.

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Patrizia Nanz; Claus Leggewie

Der schwierigste Fall: Bürgerbeteiligung bei der Endlagersuche Buchabschnitt

In: Monika Müller (Hrsg.): Endlagersuche - gemeinsam mit den Bürgern! Information, Konsultation, Dialog, Beteiligung, Evangelische Akademie Loccum, Rehburg-Loccum, 2013, ISBN: 978-3817221134.

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Viola Schetula; Diana Gallego-Carrera

Möglichkeiten und Grenzen der Öffentlichkeitsbeteiligung. Loccumer Protokolle Buchabschnitt

In: Monika Müller (Hrsg.): Endlagersuche auf ein Neues? Der Weg zu einem gerechten und durchführbaren Endlager, Bd. 25/12, S. 125-136, Rehburg-Loccum, 2012.

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Rainer Knauber

Neinsagerland: Wege zu einem Konsens für Fortschritt Buch

Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft, Berlin, 2011, ISBN: 978-3866024366.

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Felix Ekardt

Theorie der Nachhaltigkeit: Rechtliche, ethische und politische Zugänge - am Beispiel von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Welthandel Buch

Nomos , Baden-Baden, 2011, ISBN: 978-3832960322.

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Monika Böhm

Bürgerbeteiligung nach Stuttgart 21: Änderungsbedarf und -perspektiven Artikel

In: Natur und Recht, 2011.

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Wolfgang Hinte; Maria Lüttringhaus; Dieter Opelschlägel

Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit: Ein Reader zu Entwicklungslinien und Perspektiven Buch

Beltz Juventa, Weinheim, 2011, ISBN: 978-3779918240.

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Dirk Jörke

Bürgerbeteiligung in der Postdemokratie Artikel

In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. Band 1-2, S. 13-18, 2011.

Abstract | Links | BibTeX

Diana Gallego Carrera; Ortwin Renn; Marion Dreyer; Walter Schenkel

Sachplan geologische Tiefendlager. Forschungsprojekt "Kommunikation mit der Gesellschaft": Wissenschaftlicher Schlussbericht Forschungsbericht

2009.

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Thomas Olk

Engagementpolitik: Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe Buch

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009, ISBN: 978-3531162324.

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