Bürgerinitiative für Divestment

Foto: Light Brigading via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC 2.0

Bürgerinitiative und -beteiligung an politischen Verfahren ist nicht erst seit Stuttgart 21 in der Öffentlichkeit angelangt. Zunehmend fordern Bürgerinnen und Bürger ihr Recht ein, sich in politische Entscheidungsprozesse einzubringen und pochen auf ihr Recht demokratischer Teilhabe, die über einen einmaligen Urnengang im mehrjährigen Turnus hinausgeht.

Unlängst findet sich ein weiteres – vielleicht richtungsweisendes – Beispiel in Münster. In dieser schönen westfälischen Stadt, die sonst als klimaschutzaktive Stadt bekannt ist, wurde publik, dass die öffentliche Hand Kapitalanlagen in Fonds hält, deren Mitglieder nicht im Einklang mit einem ökologisch-nachhaltigen Wertekanon stehen. Dies löste Proteste aus – immerhin war Münster wiederholt als ,,Bundeshauptstadt im Klimaschutz“ ausgezeichnet worden und belegte mehrfach gute Plätze beim European Energy Award. Zudem hat sich die Stadt das Ziel gesetzt, die eigenen Co2 Emissionen deutlich zu senken.

Kritische BürgerInnen gründen eine Divestment-Kampagne…

Mit der Divstment-Kampagne ,,Fossil Free Münster“ riefen BürgerInnen eine Beteiligungsinitiative ins Leben, die die Anlagestrategie der Stadt vor diesem Hintergrund kritisch hinterfragte. Im Detail ging es um einen zweistelligen Millionenbetrag im Rahmen der Pensionsvorsorge der Stadt, die in Investmentfonds u. a. mit Anteilen der Energieerzeuger RWE , OMV und Enel angelegt wurde. Sie bestreiten einen Großteil ihrer Stromerzeugung über den Einsatz kohlenstoffintensiver, fossiler Brennstoffe bzw. Atomkraft.

… und haben Erfolg

Die Stadt Münster verzichtet auf direkte oder indirekte Finanzanlagen bei Unternehmen, die ihre Rendite auf Basis ethisch und/oder ökologisch problematischer Geschäftspraktiken erzielt.

Ihre Bedenken bzgl. der bis dato verfolgten Anlagestrategie der Stadt blieben nicht folgenlos:

Unlängst beschloss eine Mehrheit aus SPD, Grüne und Linke, eine neue Anlagerichtline,  die zum 1. April 2016 in Kraft tritt und in der sich die Stadt Münster als erste Kommune in Deutschland selbstverpflichtet, auf klimaschädliche Kapitalanlagen zu verzichten.

Dazu wurde dem Kommunalparlament eine Beschlussfassung zur Abstimmung vorgelegt, die mehrere ethische und soziale Prinzipien enthält, welche zukünftig dafür sorgen sollen, dass die Stadt lediglich nachhaltige Anlagestrategien verfolgt. Insbesondere gilt demnach:

  • Die Stadt Münster verzichtet auf direkte oder indirekte Finanzanlagen bei Unternehmen, die ihre Rendite auf Basis ethisch und/oder ökologisch problematischer Geschäftspraktiken erzielt. Dies umfasst in ethischer Hinsicht Kinderarbeit, Militärwaffenproduktion und -export. Der Verpflichtung zu ökologisch-nachhaltiger Renditenerzielung soll entsprochen werden, indem auf Investitionen in Betriebe verzichtet wird, deren Geschäftsgrundlage mit Ausnahme von Erdgas auf dem Einsatz fossiler bzw. atomarer Energieträger ruht oder die Fracking betreiben. Dabei erfolgt die Umsetzung über die Anwendung des Best-in-Class Ansatzes in Kombination mit Negativkriterien. Darunter wird verstanden, dass aus einem Portfolio an möglichen Unternehmensanlagen zukünftig nur noch die Betriebe in Frage kommen, die über hohe Nachhaltigkeitsbewertungen verfügen in Verbindung mit der Möglichkeit generelle Ausschlusspunkte festzulegen.
  • Mittelfristig wird eine Ausweitung des Katalogs angestrebt, so dass auch Finanzanlagen in Unternehmen unterbleiben müssen, die Gentechnik in der Landwirtschaft einsetzen, Tierversuche bei Kosmetika durchführen oder in Korruptionsskandale verwickelt sind.

Ausblick

Die Zeit wird zeigen, ob Münster lediglich eine Divestment-Ausnahme darstellt oder Ausgangspunkt einer breiten nationalen ,,Fossil Free-Bewegung“ ist, der sich öffentliche Hand und Unternehmen nicht entziehen können und so eine Verbindung zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und unternehmerischer Geschäftspraxis konstituiert wird. Immerhin gebe es – wie die Deutschland-Koordinatorin von der internationalen  Klimaschutz-NGO 350 Tine Langkamp jüngst in einem Artikel auf National Geographic betonte – bereits eine gesellschaftlich breit verankerte Bewegung, die sich in diversen nationalen ,,Fossil Free-Initiativen“ niederschlägt und von prominenten internationalen Städten wie Melbourne oder Oslo begleitet werde.

 

Nachtrag, 25.11.2015:

Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, üben seit mehreren Wochen studentische Klimaaktivisten durch gut organisierte Proteste Druck auf die Universitätsleitung der amerikanischen Eliteuniversität Stanford aus. Sie fordern, dass sich die Universität umgehend aus allen finanziellen Anlagen zurückzieht, die sich auf dem Einsatz fossiler Brennstoffe gründen. Ihre Proteste sind insofern erfolgreich gewesen, als dass es Ihnen gelungen ist, ein Gespräch mit dem Universitätspräsidenten John Hennessy zu erreichen. Die im Video anschaubaren Proteste stellen aus Sicht der Demonstranten den logisch nächsten Schritt einer konsequenten Marschroute auf dem Weg eines fossilfreien Anlageportfolios dar.

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Im vergangenen Jahr hat die Universität bekanntgegeben, zukünftig keine Beteiligungen an Unternehmen zu erwerben, deren Geschäftstätigkeit auf dem Einsatz von Kohle beruht.

Im nun folgenden Dialog zwischen „Fossil Free Stanford“-Aktivisten und dem Präsidenten der Universität hat letzterer deutlich gemacht, dass er eine vollständige Aufgabe von Investitionen in fossile Brennstoffe zum derzeitigen Zeitpunkt nicht in Aussicht stellen könne. Grund dafür seien zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzureichende Belege und Studien seitens der Universität, um eine strategisch derart weitreichende Entscheidung zu treffen. Allerdings sollen die Bedenken der Studenten im beratenden Gremium der Universität Berücksichtigung finden

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Bekanntgabe des Versicherungsriesen und weltweit aktiven Finanzinvestors Allianz. Wie im Spiegel nachzulesen ist, wolle das Unternehmen zukünftig nicht mehr in Unternehmen investieren, die mehr als ein Drittel ihres Umsatzes oder ihrer Energieerzeugung durch den Einsatz der fossilen Resource Kohle erzielen. Stattdessen verfolge der Konzern die Strategie, seine Beteiligungen in Windenergieprojekten auszubauen, da hier größere Renditeerwartungen bestünden.

Literaturhinweise

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Webbasierte Medien in der Stadtentwicklung: Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement in der digitalen Gesellschaft Artikel

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Britta Oertel; Carolin Kahlisch; Steffen Albrecht

Online-Bürgerbeteiligung an der Parlamentsarbeit Forschungsbericht

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Wolf Schluchter

Atommüllendlagersuche und Zivilgesellschaft Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Gisela Erler

Baden-Württemberg auf dem Weg zu einer dynamischen Mitmachdemokratie Buchabschnitt

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Patrick Léon Gross

Partizipation und Nachhaltigkeit - Warum wir die repräsentative Demokratie in Deutschland reformieren müssen Buchabschnitt

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Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit; Umweltbundesamt (Hrsg.)

Wie gelingt Bürgerbeteiligung auf Bundesebene? Erfahrungen aus dem Bürgerdialog „GesprächStoff: Ressourcenschonend leben“ Online

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Jan Korte; Michelle Ruesch

Bürgerbeteiligung an der Bürgerbeteiligung - Gedanken zu "Partizipativen Begleitgremien" in Beteiligungsprozessen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Jan-Hendrik Kamlage; Henrike Knappe

Eine Frage der Beteiligung? Die Herausforderung Endlagersuche Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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