Bürgerbeteiligung bei umweltrelevanten Großprojekten

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Autor: Cécile Marchand

Die Planung und Umsetzung von öffentlichen Großprojekten, wie derzeit im Rahmen der Energiewende, steht vor neuen Herausforderungen. So rufen Windkraftanlagen vielerorts Proteste hervor. 87 Prozent der Bundesbürger/innen sprechen sich für den Ausbau erneuerbarer Energien aus. Doch wenn es um konkrete Windräder oder Überlandleitungen geht, scheint das Prinzip NIMBY (Not In My Backyard: „Nicht in meinem Hof“) zu überwiegen. Stimmt das überhaupt? Wie können Entscheidungsträger/innen gesellschaftliche Akzeptanz für Großprojekte im Rahmen der Energiewende erreichen?

Zurück zum Thema NIMBY: Stellen sich die Bundesbürger/innen wirklich so häufig gegen den Ausbau erneuerbarer Energien in ihrer eigenen Nachbarschaft? Prof. Dr. Patrizia Nanz, Leiterin des Forschungsschwerpunktes Partizipationskultur im Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), gibt nähere Einblicke dazu: Befragt nach der Zustimmung zu Stromerzeugungsanlagen in der eigenen Nachbarschaft, bewertete auch in Bundesländern mit hoher Anlagendichte eine Mehrheit von bis zu 75 Prozent Erneuerbare-Energien-Anlagen in der Nähe des eigenen Wohnortes als positiv – und damit deutlich mehr als dies bei fossilen oder nuklearen Anlagen der Fall ist. Die Akzeptanzwerte für erneuerbare Energien sind noch höher, wenn die Menschen bereits solche Anlagen in ihrer Nähe haben. Eine Studie vom Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES) hat zudem gezeigt, dass die Akzeptanz einer erneuerbaren Stromerzeugungsanlage deutlich höher ist, wenn diese aufgrund einer bürgerlichen Initiative entstanden ist.

Vor diesem Hintergrund fragt man sich, ob die Proteste von einer Minderheit hervorgerufen werden. Es zeigt sich bei Protesten im Rahmen der Energiewende, dass die Bürgerinitiativen häufig von einem “harten Kern“ von ca. fünf bis zwanzig Personen geführt und somit stark beeinflusst werden. Zudem neigen die Massenmedien dazu, den Protest dieser Personen als die Meinung einer deutlich größeren „schweigenden Mehrheit“ darzustellen. Dieser „harte Kern“ besteht meistens Personen mit hohem Bildungsstand. Je höher der Bildungsstand einer Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich diese Person politisch beteiligt. Dies spiegeln auch die Protestaktionen wider: Bei Protesten gegen Windkraftanlagen kann beobachtet werden, dass viele der Protestierenden sehr gut ausgebildete Personen mit einem natur- oder ingenieurswissenschaftlichen Hintergrund sind. Außerdem weist sehr häufig das Engagement der Protestierenden einen starken Projektbezug auf. Sie konzentrieren sozusagen ihr Engagement auf ein ausgewähltes Projekt, und häufig wird die Forderung gestellt, stärker bei dieser bestimmten politischen Entscheidungen mitreden zu dürfen. 

Oftmals kommt es erst als Reaktion auf diese Proteste zu Öffentlichkeitsverfahren. Dies ist bedauerlich. Viel mehr Handlungsspielraum für alle Beteiligten ergibt sich, wenn der Bürgerbeteiligungsprozess bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt in Gang gesetzt wird. Diskursive Verfahren, die dem Anliegen der Protestierenden in politische Entscheidungsverfahren einbezogen zu werden entsprechen, eröffnen nicht nur die Möglichkeit eines Austauschs inhaltlicher Argumente, sondern auch die Bereicherung des Entscheidungsprozesses durch das häufig tiefgründiges Wissen der Laien. Bürgerbeteiligung darf weder gleichbedeutend mit dem Entscheid einer kleinen Gruppe über die Allgemeinheit sein, noch als kosmetische Maßnahme verstanden werden (zum Beispiel wenn die politische Elite bei dem Treffen der Entscheidung die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren ignoriert). Die Komplexität Bürgerbeteiligungsverfahren im Rahmen von Großprojekte wurde am 14. September während einer Anhörung von Experten der Endlager Kommission genauer analysiert. 

Wichtige Stichpunkte der Vorträge und der Diskussion zwischen den Experten und den Kommissionsmitglieder sind folgendes:

  • Die Beteiligung muss möglichst früh beginnen, damit die Teilnehmenden die Spielregeln der Beteiligung selbst erarbeiten.
  • Die Beteiligung sollte von einem externen Team, das keine einzelnen Interessen vertritt und das Vertrauen der Teilnehmenden hat, organisiert werden.
  • Es gilt, das Gleichgewicht der (oft sehr unterschiedlichen) Teilnehmenden immer wieder sicherzustellen.
  • Die Organisatoren müssen stets versuchen, Bürger/innen ins Beteiligungsverfahren einzubeziehen, die nicht in Protestgruppen aktiv sind. Gleichzeitig aber akzeptieren, dass einige Bürger sich nicht beteiligen wollen. In jedem Fall ist es wichtig, alle Informationen zum Verfahrensablauf transparent zu machen.
  • Information-Asymetrien beseitigen und Bereitschaft, Grundlagen der Beteiligung immer wieder darzulegen.
  • Das Verfahren muss ergebnisoffen sein: die Teilnehmenden müssen reale Wahlmöglichkeiten haben.
  • Konflikte nicht ausblenden sondern öffentlich austragen. Dialog mit Konfliktauslöser wie z.B Bürgerinitiative suchen und sie als Partner betrachten, da sie zur Informationsvermittlung beitragen.
  • Im Vorhinein müssen die Einflussmöglichkeiten der Ergebnissen auf eine politische Entscheidung klar definiert werden. Am Ende des Verfahrens besonders auf die Ergebnissicherung achten: Anmerkungen aus der Bürgerbeteiligung müssen in die Planung einfließen, und für nicht beachtete Anmerkungen müssen Begründungen geliefert werden.
  • Bürgernähe: keine Veranstaltung weiter als 20 km von den Betroffenen entfernt organisieren
  • Experten dürfen nicht als Ewigwissende auftreten. Dialog möglichst auf Augenhöhe gestalten (z.B Experten sitzen inmitten aller Beteiligten)
  • Prozesskontinuität, insbesondere wenn durch die Langfristigkeit von Verfahren die personelle Kontinuität nicht gewährleistet werden kann.

 

Literaturhinweise

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Massenmedien und lokaler Protest Buch

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Jürgen Habermas

Theorie des Kommunikativen Handelns Buch

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1981.

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