Beteiligungsräte auf Bundesebene

Wie können politische Entscheidungsfindungsprozesse bürgernäher werden? Dieser Frage widmet sich die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer jüngst veröffentlichten Studie, die das Konzept der Beteiligungsräte auf Bundesebene in den Mittelpunkt rückt.

Foto: Florian Pircher via flickr.com .

Im Rahmen des Projektes „Für ein besseres Morgen“ entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung Ideen und Vorschläge in sechs zentralen Politikbereichen (u. a. Demokratie, Europa, Integration). Teil davon sind Konzeptionen zur erweiterten Bürgerbeteiligung auf Bundesebene.  

Mit der jetzt veröffentlichten Studie „Mehr Mitsprache wagen – Ein Beteiligungsrat für die Bundespolitik“ leisten Brigitte Geißel und Stefan Jung (Institut für Politikwissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main) einen wichtigen Beitrag zum Diskurs über neue Formen der Partizipation auf Bundesebene.

Die Autoren beginnen mit einer Darstellung von vier grundlegenden Bausteinen deliberativer Bürgerbeteiligung: „Inklusive Partizipation“, „Gute Deliberation“, „Einbettung in den politischen Prozess“, „Demokratische Bildung der Bürger_innen“. Mit der Darstellung der Debatten zu deliberativen Verfahren auf nationaler Ebene (Kap. 3) und dem Vergleich von ausgewählten Beteiligungsverfahren (Kap. 4) arbeiten sie anschließend den gegenwärtigen Stand auf. Anschließend erläutern Geißel und Jung ihr deliberatives Beteiligungsmodell und betten es in rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen ein.

Hintergrund der Studie

Wir beobachten einen Vertrauensverlust in institutionalisierte Strukturen. Hier kann die Entwicklung und Etablierung neuer Elemente der Bürgerbeteiligung einen Weg darstellen, die repräsentative Demokratie zu revitalisieren. Da laut Studie das Vertrauen in den Deutschen Bundestag sowie die Bundesregierung zunehmend schwinde, sollen Beteiligungsräte auf Bundesebene eingesetzt werden können. Grundsätzlich sollen dadurch neue Beteiligungschancen geschaffen werden, um die Responsivität und Transparenz des politischen Prozesses zu erhöhen.

Das Konzept Beteiligungsräte

Sowohl auf Verlangen der Bürger als auch auf Verlangen der Regierung oder des Parlaments sollen themenspezifische Beteiligungsräte eingesetzt werden können (s. Abbildung 1). Mit einer rechtlichen Einfassung der Beteiligungsräte wird die Präsenz des Einflusses einerseits, die Kontinuität dessen über Legislaturperioden hinweg andererseits, gesichert. Eine Koordinationsstelle auf Bundesebene könnte zukünftig die Initiativen zu erweiterten Beteiligungsverfahren organisieren. Diese sollte in der Bundestagsverwaltung angesiedelt werden und somit eine Anlaufstelle für alle politischen Institutionen (u. a. Zivilgesellschaft, Parteien) darstellen.

Abb. 1: Das Beteiligungsmodell Beteiligungsrat (Geißel, Brigitte & Jung, Stefan (2019): Mehr Mitsprache wagen. Ein Beteiligungsrat für die Bundespolitik, S. 29).

Das Konzept sieht vor, dass themenspezifische Beteiligungsräte sowohl in Form von Online-Beratungen als auch Präsenz-Beratungstagungen durchgeführt werden. Der Beteiligungsrat soll unter inklusiven Kriterien zusammengesetzt werden (soziodemographische und -ökonomische Merkmale in Kombination mit der Abbildung politisch Marginalisierter sowie, bei bestimmten Themen, Minderheiten). Zudem ist angedacht, dass Bürger mindestens zwei Drittel der Teilnehmenden pro Rat darstellen, wobei die Auswahl über ein zweistufiges Verfahren mit Zufallsprinzip erfolgen kann. Festgelegte Kommunikationsregeln gewährleisten ein deliberatives Verfahren in den Räten.

Zentraler Output der Beteiligungsräte sind rechtlich nicht-verbindliche Empfehlungen in Form eines Beratungsberichts an die Bundesregierung oder das Parlament. Darauf folgt eine Stellungnahme der jeweilig adressierten Institution. Durch diesen kommunikativen Prozess werden Interessen der Bürger auf Bundesebene vertreten: Probleme werden definiert, Themen auf die Agenda gesetzt und Gesetzes- und Referentenentwürfe mitgestaltet.

Ausblick: Perspektive Beteiligungsräte?

Für eine Institutionalisierung von Beteiligungsräten muss eine parteiübergreifende und zivilgesellschaftliche Unterstützung für das Verfahren bestehen. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt den potentiellen Mehrwert des Konzeptes sowie die rechtliche und finanzielle Planbarkeit dessen auf. So bietet die Studie einen reichhaltigen Antwortvorschlag auf die Frage nach veränderter Beteiligung in der repräsentativen Demokratie in Deutschland und regt zur weiteren Diskussion an.

Sie steht in Sachen neuer Konzeptionen aber nicht alleine da: Just am 15. November 2019 erreichte das Praxisprojekt „Bürgerrat Demokratie“, initiiert von Mehr Demokratie e.V. und gefördert von der Schöpflin Stiftung, seine dritte und damit vorletzte Phase: In Berlin wurden Ergebnisse des Rates besprochen und das Bürgergutachten an die Politik übergeben. Für die Vernetzung beider Projekte ist bereits gesorgt: Das Autorenteam der vorliegenden Studie war mit der Evaluation des „Bürgerrat Demokratie“ beauftragt.

Literaturhinweise

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Urbane Interventionen - Impulse für lebenswerte Stadträume in Osnabrück Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Jan Korte; Michelle Ruesch

Bürgerbeteiligung an der Bürgerbeteiligung - Gedanken zu "Partizipativen Begleitgremien" in Beteiligungsprozessen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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Für und Wider der Partizipation in städtebaulichen Wettbewerbsverfahren Buchabschnitt

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Christina Denz

Voneinander lernen am Beispiel des Projekts "Der richtige Dreh" Buchabschnitt

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Das partizipative Reallabor - Gestalten Bürger ihre Energiewende? Buchabschnitt

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Konfliktlösungskonferenz
Die Konfliktlösungskonferenz ist ein Beteiligungsformat, bei dem in einem mehrgliedrigen Verfahren heterogene Standpunkte unterschiedlicher Interessengruppen transparent werden. Im Dialog werden Lösungsräume identifiziert und im Ergebnis entsteht ein Gutachten mit Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger.

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