Baden Württemberg: Reform für mehr Bürgerbeteiligung in der Kritik

Foto: Landesregierung von Baden-Württemberg via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Mitte Oktober beschloss der Baden Württembergische Landtag eine Reform, die die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene leichter machen soll. Der rot-grüne Gesetzesentwurf von Innenminister Reinhold Gall (SPD) sieht vor, dass die Hürden für Bürgerbegehren und -entscheide gesenkt und Bürgerinnen und Bürger stärker in die Ausweisung neuer Baugebiete einbezogen werden. Nicht nur die Opposition aus CDU und FDP, sondern auch Städte- und Gemeindetag äußern Kritik zum neuen Gesetz.

Mehr Beteiligung und Transparenz

Die Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger ist zentral im neuen Gesetz: Bürgerinitiativen haben künftig mehr Zeit um Unterschriften zu sammeln. Auch das Unterschriftenquroum, d.h. die für die Gültigkeit notwendige Anzahl von Stimmen, wird für Bürgerbegehren und -entscheide gesenkt.

Zudem soll die Transparenz kommunaler Entscheidungen erhöht werden, u.a. dadurch, dass

  • Gemeinderatsbesprechungen hinter verschlossenen Türen künftig der Vergangenheit angehören
  • Ausschussberatungen in der Regel öffentlich sind
  • Tagesordnungen, Sitzungsunterlagen und Beschlüsse kommunaler Gremien im Internet veröffentlicht werden

„Besser informierte Bürger können auch besser nachvollziehen, was, wann und wie in den kommunalen Gremien entschieden worden ist.“

Mehr Transparenz fördere die Demokratie, so Innenminister Gall, denn: „Besser informierte Bürger können auch besser nachvollziehen, was, wann und wie in den kommunalen Gremien entschieden worden ist.“

Über die genannten Punkte hinaus werden auch die Rechte für Jugendlichen, Minderheiten und Ausländern durch die Reform gestärkt: Jugendliche können zukünftig eine Jugendvertretung im Gemeinderat beantragen, die auch Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht sowie ein eigenes Budget erhält.

Kritik von vielen Seiten

Großes Lob wurde der rot-grünen Regierung Baden Württembergs für ihren Vorstoß jedoch nicht zuteil: Städte- und Gemeindetag, sowie Oppositionsvertreter von CDU und FDP werteten die Änderungen als Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung. So ist es Verbands-Dezernent Norbert Brugger vom Städtetag ein Dorn im Auge, dass Bauprojekte künftig Thema von Bürgerentscheiden werden dürfen. Komplexe Einzelheiten von Bebauungsplänen eigneten sich nicht für einen Bürgerentscheid, denn dabei gebe es kein einfaches Ja oder Nein. Stattdessen ginge es bei Bauvorhaben um das Abwägen und Finden von Kompromissen im Gemeinderat.

Auch CDU-Politiker Karl Klein betonte, dass die neuen Mitbestimmungsrechten der Bürger die Bauleitplanung in einer „nicht zu verantwortenden Weise“ erschwerten. Schließlich könne es dadurch nun auch schwieriger werden, Unterkünfte für die steigende Zahl von Flüchtlingen zu bauen.

Es gibt noch viel zu tun

„Was wir geändert haben, sind nur kleinste Schräubchen.“

Ist diese Kritik und Schwarzmalerei berechtigt? Die Wahrheit ist, dass Baden Württemberg bisher das Schlusslicht aller Bundesländer in punkto Bürgerbeteiligung darstellte. Durch die Reform ist das Ländle immerhin ins Mittelfeld gerückt. Dennoch musste Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Vorstoß seiner Regierung am Tag nach Gesetzesbeschluss verteidigten: „Was wir geändert haben, sind nur kleinste Schräubchen.“, sagte der Regierungschef unter Buh-Rufen aus dem Publikum beim Treffen des Gemeindetags in Ditzingen.

Dass die baden-württembergische Regierung nun immerhin einen kleinen Schritt zu mehr Bürgerbeteiligung gegangen ist, lobte der Verein „Mehr Demokratie e.V.“. Allerdings gebe es noch viel zu tun: Der Verein mahnte u.a. an, dass Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Landkreisebene – etwa zu Themen wie Krankenhäusern und Müll – immer noch nicht zulässig seien.

Die Reform für mehr Bürgerbeteiligung bedarf nun der schnellen Umsetzung, damit aus dem kleinen Schritt tatsächlich ein Schritt werden kann.

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