Partizipation durch Aktionskunst

„politisch sein, heißt solidarisch sein“

Mit Radikale Töchter möchte Cesy Leonard Mut machen, sich politisch zu beteiligen. Im Interview mit uns spricht sie über die Philosophie hinter Radikale Töchter.

Wer sind die Radikalen Töchter und was macht ihr?

Ich habe die Radikalen Töchter 2019 mit der Idee gegründet, dass Kunst und vor allem Aktionskunst über diesen aktionskünstlerischen Raum hinaus gehen soll. In meiner Vergangenheit beim Zentrum für politische Schönheit ist das oft in Theaterräumen geschehen und der Diskurs hat dann viel in Feuilletons oder Politikressorts von Zeitungen stattgefunden. Da war der Wunsch, diese Aktionskunst nochmal viel direkter zu Menschen zu tragen, die davor noch nie etwas von Aktionskunst gehört haben oder tendenziell eher diejenigen wären, die davon abgestoßen sind.

Wir haben uns damals 2019 zum Ziel gesetzt, in drei Bundesländern (Brandenburg, Thüringen und Sachsen) mit jungen Menschen und vor allem Auszubildenden Aktionskunst zu machen, über Aktionskunst zu sprechen und so wirklich ins politische Handeln zu kommen. Wir haben damals eben diese Bundesländer genommen, weil kurz davor Landtagswahlen gewesen sind und die Wahlbeteiligung der jungen Menschen extrem niedrig war oder, wenn sie gewählt haben, dann verhältnismäßig sehr hoch populistisch, das heißt die AfD. Deswegen war es uns wichtig, dort in die Bundesländer zu gehen.

Du betonst immer wieder, dass du Mut machen möchtest, sich politisch zu engagieren. Kann denn wirklich jede*r etwas politisch bewegen und wenn ja, wie kann das gelingen?

Wir haben bei den Töchtern einen sehr weiten Politik-Begriff. Politisch bewegen heißt bei uns nicht, dass jede*r in eine Gewerkschaft eintreten muss oder sich lokal auf politischer Ebene engagieren muss. Etwas bewirken heißt vielleicht schon zu einem anderen Kinderbuch zu greifen, das beispielsweise inklusiver ist, das eine andere Sprache benutzt. Das ist schon ein politischer Akt. Wenn dieser Akt bewusst politisch passiert, auch im Sinne von „Was kaufe ich ein”, „Wie gehe ich mit meiner Umwelt um?“, „Was möchte ich in die Welt bringen?“, dann ist jede Person politisch handelnd und auf gesellschaftspolitische Aspekte oder Themen einwirkend. 

Da möchten wir ansetzen, denn was wir ansprechen, ist vor allem diese Politikverdrossenheit bei vielen jungen Menschen, die das Gefühl haben, sie könnten eh nichts verändern oder ausrichten. Wählen gehen ist da der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich einigen kann. Wenn ich aber das Gefühl habe, die Volksvertreter*innen vertreten gar nicht mich und was mir wichtig ist, weil die große Masse der Wähler*innen einfach älter als 50 ist, dann fängt da etwas an, was ein großes Problem für die Demokratie und vor allem auch für partizipative Prozesse in der Demokratie werden kann. Deswegen setzen wir viel früher an und sagen, die Auswahl, wie du in deiner Playlist bei Spotify hörst, das ist auch schon ein politischer Akt und das wirkt sich aus, weil du einen Unterschied machen wirst.

Ich war erst letztes Wochenende in Auschwitz und da hat der Guide etwas gesagt, was ich extrem wichtig fand. Der hat gesagt: Wir haben hier viel über die Opfer gehört und auch über die Täter, aber über die große Masse, nämlich die Menschen, die nichts gesagt haben, die Mitläufer, über die haben wir gar nicht gesprochen. Das ist für uns auch ein riesiger Aspekt mit den Töchtern, uns das irgendwie nochmal klar zu machen. Es geht eben nicht vermeintlich um die Menschen, die schon radikalisiert sind oder auch um die Opfer, sondern es geht um die große Masse, die das geschehen lässt und die möchten wir aufrütteln. In dem Sinne kann jede*r politisch sein und zivilcouragiert unterwegs sein.

Kunst spielt bei euch allgemein eine große Rolle. Was hat denn Kunst überhaupt mit Politik zu tun und wie kann durch Kunst Einfluss genommen werden?

Kunst war in der Geschichte der Menschheit und auch als Antagonistin zur Politik schon immer ein wahnsinnig wichtiges Feld. Die Kunst hat das, was Politik war, infrage gestellt, sich darüber lustig gemacht oder sie herausgefordert.

Das heißt, wir hatten immer durch die politische Kunst eine Herausforderung des bestehenden politischen Systems und auch ein Gegenbild. Kunst war auch schon immer gefährlich für die Machthabenden; das sehen wir auch heute noch. Künstler*innen sind die ersten, die exekutiert werden oder außer Landes gehen, wenn es zu autoritären Regimen kommt. Politische Kunst hat schon geschichtlich unfassbar viel mit Politik zu tun.

Was ich an Kunst spannend finde, ist, dass sie begeistern kann, politisch aktiv zu werden und dass sie Diskussionsräume öffnen kann. Politischen Aktionskunst ist sehr provokativ und sie fordert dich auch heraus, eine eigene Haltung zu dieser Kunstform einzunehmen. Das ist sehr spannend, weil Menschen dann durch diese Provokation anfangen, Lust zu bekommen, sich mit politischen oder gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen.

Was die Kunst im Gegensatz zur Politik auch kann, ist Utopien einzufordern. Kunst kann ganz anders kritisieren. Kunst kann weit über den braven Rahmen, in dem politische Diskussionen und Handlungen stattfinden soll, hinausgehen. Das ist unglaublich wichtig für eine Gesellschaft, damit sie weiterkommt und sich weiterentwickelt. Und deswegen ist die Kunstfreiheit auch so wichtig.

Ist Kunst ein Werkzeug, um Menschen zu erreichen, die weniger partizipieren oder sich weniger für Politik interessieren?

Das Schöne an Kunst ist, dass ich nicht unbedingt Vorwissen mitbringen muss. In der politischen Bildung ist es häufig so, dass ich exkludiert werde oder dass es exkludierende Sprache gibt. In der Kunst geht es vielmehr um einen emotionalen Zugang. Es geht darum, eine eigene Haltung zu etwas zu entwickeln. Kunst kann daher Werkzeug sein, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen, die einfach und sehr individuell sein darf.

Die eigene Haltung ist dann auch eine Voraussetzung, aus der heraus ich überhaupt Lust bekomme, mich zu beteiligen und einzubringen. Deswegen ist diese Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung so wichtig und da kann Kunst sehr helfen.

Bei einem Vortrag hast du das Bild der Politischen Verantwortung, die täglich „anruft“, benutzt. Tut man etwas Verwerfliches, wenn man diesen „Anruf“ ignoriert?

Als weiße*r Westeuropäer*innen überhaupt die Wahl zu haben, eine politische Verantwortung zu ignorieren oder nicht, ist ein Ausdruck von Privilegien. Menschen, die von Flucht bedroht sind oder täglich ums Überleben kämpfen, haben gar nicht die Wahl, sich zurückzulehnen, keine politische Verantwortung anzunehmen und sich damit nicht auseinanderzusetzen. Von daher würde ich mir wünschen, dass wir, die wir privilegierter sind, uns das immer wieder bewusst machen.

Ja, es ist schon auch eine Wahl, die wir gerade noch haben, zum Beispiel nicht für Klimaschutz auf die Straße zu gehen, weil wir nicht direkt davon betroffen sind. Aber politische Verantwortung hat auch immer was mit Solidarität zu tun und deswegen würde ich sagen, politisch sein, heißt solidarisch sein. Sich mit dieser Verantwortung auseinanderzusetzen heißt, die Augen aufzuhalten, dass es vielen anderen Menschen auf dieser Welt nicht so gut geht.

Zum Abschluss: Was bietet ihr bei den Radikalen Töchtern an und wer ist eure Zielgruppe?

Wir bieten Workshops mit einer Dauer von einem halben bis fünf Tage an. Unsere Hauptzielgruppe sind junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren, die von sich selber sagen würden, sie seien unpolitisch und Politik hätte mit ihnen nichts zu tun. Aber auch Jugendgruppen, die bereits sehr politisch aktiv sind und Werkszeug an die Hand haben wollen, wie sie kreativen Prozess auf die Straße bringen können.

Wir haben auch noch eine Zielgruppe von Gewerkschaftler*innen oder NGOs, mit denen wir zusammenarbeiten, wo es eher um Kampagnenarbeit geht. Das heißt, sie haben bereits ein politisches Thema, wollen dieses politische Thema aber nochmal wirkungsvoller und mit einer anderen Art und Weise in die Öffentlichkeit bringen.

 

Zur Person:

Cesy Leonard ist Aktionskünstlerin, Sprecherin und Gründerin von Radikale Töchter. Bis 2019 war sie fester Teil des künstlerischen Stabs des Zentrum für Politische Schönheit. Mit Radikale Töchter arbeitet sie an der Schnittstelle von Kunst, Politik und Bildung. Cesy Leonard ist Mutter zweier Kinder und lebt in Berlin.

 

Literaturhinweise

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Stefanie Lütters

Soziale Netzwerke und politische Partizipation. Eine empirische Untersuchung mit sozialräumlicher Perspektive Buch

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Abstract | Links | BibTeX

Christian Huesmann, Anna Renkamp, Wolfgang Petzold

Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

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Impacts of Participatory Budgeting on Civil Society & Political Participation Forschungsbericht

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Christopher M. Brinkmann

Crossmediales Wissensmanagement auf kommunaler Ebene: Bürgerbeteiligung, Netzwerke, Kommunikation Buch

2021, ISBN: 978-3-658-35879-2.

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Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

Abstract | Links | BibTeX

Arne Spieker

Chance statt Show – Bürgerbeteiligung mit Virtual Reality & Co. Akzeptanz und Wirkung der Visualisierung von Bauvorhaben Buch

2021, ISBN: 978-3-658-33081-1.

Abstract | Links | BibTeX

Jan Abt, Bianka Filehr, Ingrid Hermannsdörfer, Cathleen Kappes, Marie von Seeler, Franziska Seyboth-Teßmer

Kinder und Jugendliche im Quartier - Handbuch und Beteiligungsmethoden zu Aspekten der urbanen Sicherheit Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-88118-679-7.

Abstract | Links | BibTeX

Jascha Rohr, Hanna Ehlert, Sonja Hörster, Daniel Oppold, Prof. Dr. Patrizia Nanz

Bundesrepublik 3.0 Forschungsbericht

Umweltbundesamt 2019, (Ein Beitrag zur Weiterentwicklung und Stärkung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch mehr Partizipation auf Bundesebene).

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