Buchbesprechung: „Kritische Bürger: Gefahr oder Ressource für die Demokratie“

Quelle: campus.de, eigener Bildausschnitt (07.03.2016)

Eine engagierte Zivilgesellschaft ist essentiell für eine funktionierende Demokratie. Über die Rolle und Wirkung des Individuums in einer wählenden Volksgemeinschaft sind schon viele Bücher geschrieben worden. Doch welchen Einfluss haben „kritische Bürger“, Protestler und „Anti-Bewegungen“? Hemmen sie die Demokratieförderung oder können sie sogar Chancen für die Fortentwicklung der Demokratie bieten? Dieser Frage geht die Professorin für Politikwissenschaft und politische Soziologie an der Goethe Universität in Frankfurt am Main Brigitte Geißel nach. Sie verfasste 2011 das Buch: „Kritische Bürger: Gefahr oder Ressource für die Demokratie?“, welches im Campus Verlag erschien. Ausgangspunkt der Publikation ist die grundlegende Beobachtung zweier divergierender Grundauffassungen hinsichtlich des Nutzens kritischen Bürgerengagements und guten Staatsbürgerverhaltens. Traditionell galt lange Zeit das Primat politischer Stabilität und die aktive Unterstützung der Demokratie hatte den Rank guter staatsbürgerlicher Tugend. Sukzessive hat sich in den 90er Jahren daneben eine Haltung etabliert, die die Wichtigkeit von kommunizierter Kritik und gelebter Kontrolle betont. Während in der alten Zeit Kritik als Krisenelement und stabilitätsbedrohend aufgefasst wurde, betonen Wissenschaftler heute die Innovationskraft, die kritischer Bürgerbeteiligung innewohnt. An dieser Stelle setzt Brigitte Geißels Studie an.

Inhalt

Der erste der insgesamt fünf Teile beschäftigt sich mit der Definition politischer Kritik. Es wird sowohl ein historischer Überblick gegeben, als auch die Konzeptualisierung einer Kritik-Typologie vorgenommen. Im anschließenden Teil werden die Termini „Kritikbereitschaft“ und „Unzufriedenheit“ eingeführt, erklärt und als Variablen für die empirischen Untersuchungen definiert. Die ersten beiden Teile dienen als Vorüberlegungen zu den folgenden Teilen drei und vier, welche die eigentliche Forschungsfrage behandeln. Dazu wird in einem ersten Schritt untersucht, welche Orientierungen der Bürgerinnen und Bürger überhaupt als demokratieförderlich gesehen werden können. Dabei fallen die Begriffe politische Informiertheit, politische Partizipation, Toleranz und die Befürwortung demokratischer Prinzipien. Nur wenn diese Eigenschaften bei Bürgerinnen und Bürger vorhanden sind, kann man von einem positiven Einfluss auf die Demokratieentwicklung sprechen. In ihrer Studie findet Brigitte Geißel heraus, dass es gerade die kritikbereiten Typen in ihrer Typologie sind, auf die diese Eigenschaften zutreffen.
Im abschließenden vierten Teil wird geschaut, ob eine ausgeprägte, kritische Bürgerschaft auch einen Einfluss auf das demokratische Niveau von Kommunen, Bundesländern und Staaten hat. Das Ergebnis ist eindeutig: Politische Einheiten, die eine niedrige Kritikbereitschaft in der Bürgerschaft aufweisen, sind anfälliger für Korruption.

Das Ergebnis der Studie unterstützt die Vermutung, dass die Kritikbereitschaft der Bürger ausschlaggebend für die Qualität einer Demokratie ist. Nur indem die Bürgerschaft ihre Regierung immer wieder überprüft und kontrolliert, kann sichergestellt werden, dass der Staat auch langfristig Problemen aller Art gewachsen ist. Natürlich müssen sich die kritischen Beobachter stets an demokratische Prinzipien halten und diese zur Grundlage ihrer Handlung machen. Geißel zieht den Schluss:

„Jene Bürger, die Kritik als Bürgerpflicht erachten, sind als Potenzial für eine demokratische Entwicklung zu werten“.

Fazit

Keine Frage: dieses Buch ist nicht für die allabendliche Bettlektüre geeignet. Ein gewisses Interesse für demokratietheoretische Themen sollte beim Leser vorhanden sein. Allerdings ist kein großes Vorwissen gefragt. Mit der Lektüre wissenschaftlicher Artikel sollte man jedoch vertraut sein. Man erhält einen tiefen und umfangreichen Überblick über Geschichte, Herkunft und Entwicklung von Demokratietheorien und Forschungsergebnissen. Geißel schreibt verständlich und nachvollziehbar. Der theoretische Teil wird sehr ausführlich besprochen und ausgeführt. Das ist jedoch auch notwendig, um die anschließenden Untersuchungen nachvollziehen und einordnen zu können.
Die anfänglich gestellte Forschungsfrage wird intensiv, aus verschiedenen Perspektiven und umfangreich bearbeitet und schließlich auch beantwortet. Die Schlussfolgerungen sind durch die detaillierte Beschreibung der Methoden und Veröffentlichung der Daten sehr gut nachvollziehbar. Wie bei jeder guten Forschung sollten die aufgestellten Hypothesen und Schlussfolgerungen regelmäßig kontrolliert sowie durch neue Aspekte ergänzt werden. Dadurch, dass Geißel sich Instrumenten der empirischen Sozialforschung bedient hat, ist dies auch gut umsetzbar.

Insgesamt lässt sich die Studie jedoch vor allem als Aufforderung an jeden Bürger und jede Bürgerin verstehen, sich aktiv und  kritisch mit den gewählten politischen Vertretern auseinanderzusetzen.

Geißel, Brigitte (2011): Kritische Bürger: Gefahr oder Ressource für die Demokratie? Campus Verlag,  ISBN: 978-3593393926. 

Zusätzliche Informationen zum Buchthema „Die Rolle kritischer Bürgerinnen und Bürger für die Demokratie“ finden sich hier.

Literaturhinweise

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Deliberative Democracy and Beyond: Liberals, Critics, Contestations Buch

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