Ortwin Renn: Kommunikation statt Partizipation?

Foto: Ortwin Renn (eigenes Bild)
Professor Dr. Dr. hc. Ortwin Renn doziert an der Universität Stuttgart Techniksoziologie. Neben seinem Engagement an der Universität Stuttgart gründete Renn das Forschungsinstitut DIALOGIK, eine gemeinnützige GmbH, deren Hauptanliegen in der Erforschung und Erprobung innovativer Kommunikations- und Partizipationsstrategien in Planungs- und Konfliktlösungsfragen liegt.

Professor Renn war zur vergangenen Sitzung der AG Öffentlichkeitsbeteiligung der Endlagerkommission geladen – und räumte dort eine Menge Un- und Halbwissen ab.

Zunächst führte er noch einmal die theoretischen Ansätze und Voraussetzungen für Partizipation vor Augen, aus denen sich zentrale praktische Anforderungen ergeben. Gleich zu Beginn thematisierte er den Vertrauensverlust in die Politik. Ein deutlicher Fingerzeig in Richtung der Kommissionsmitglieder, die diese Erkenntnis noch immer nicht wahrhaben wollen.

Unmittelbar zuvor hatten diese meine Aussage:

„Der tiefe Vertrauensverlust, den unsere politischen und wirtschaftlichen Eliten gerade im Umgang mit Kritik und Widerstand aus der Bevölkerung erfahren haben, bedarf eines Umgangs mit dem Thema, der das tiefe Misstrauen der Menschen gegenüber allen standortrelevanten Entscheidungen und Prozessen als begründet anerkennt, politische und ökonomische Verantwortung dafür übernimmt und gemeinsam Vertrauen erarbeitet …“

noch heftig bekämpft. In einer seltenen und merkwürdigen Allianz von Atomwirtschaft (Thomauske/Jäger) und Grünen-Vertreterin Kotting-Uhl wurde versucht, diese Feststellung aus dem vorgelegten Konzept zur Beteiligung zu tilgen.

Doch Prof. Renn präsentierte noch weitere wichtige Überlegungen: Verfahren würden schwieriger, je länger sie laufen. Bei der Endlagersuche gehe es um zehntausende Jahre, wodurch Belastungen auftreten, die auch durch Ausgleichsmaßnahmen nur schwer kompensiert werden könnten. Prof. Renn konstatierte außerdem: Neutralität in der Endlagerdebatte sei rar. Für jeden Experten fände sich ein passender Gegenexperte. Kriterien, die für den einen offensichtlich erschienen, seien es für den anderen noch lange nicht. Persönliche oder unternehmerische Interessenlagen würden stets das Urteil Beteiligter beeinflussen.

Kommunikation statt Partizipation?

Partizipation setze deshalb voraus, dass wir den Bürgern Optionen zur Verfügung stellen, auf Entscheidungen aktiv Einfluss zu nehmen. Wenn versucht würde, nur Akzeptanz zu schaffen, ohne die Möglichkeit der Mitentscheidung zu gewährleisten, wäre das laut Professor Renn lediglich Kommunikation statt Partizipation.

Damit warf Prof. Renn eine ganz zentrale Frage der Bürgerbeteiligung auf, die auch ich bislang vergebens in der Kommission zu thematisieren versuchte:

Wer denkt, dass wir auf diese Weise Vertrauen schaffen, der täuscht sich. Sobald eine durch Kommunikation statt Partizipation scheinlegitimierte Entscheidung auf dem Weg ist, werden die Menschen dagegen protestieren.

Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht dazu da, Entscheidungen abzusegnen, betonte auch Professor Renn. Auf diese Situation laufen wir derzeit allerdings unmittelbar zu, wobei der angebliche Zeitdruck als Scheinargument herhalten muss, um sich mit den zentralen Vorbedingungen gelingender Bürgerbeteiligung nicht befassen zu müssen.

Die zentrale Frage für mein weiteres Engagement in Sachen Beteiligungsprozess:

Wie glaubhaft ist diese Kommission, wenn sie auch nach fast einem Jahr Tätigkeit weder aktive Beteiligungsmöglichkeit bietet noch auch auch nur deren Grundlagen geschaffen hat?

Dieser Frage müssen wir uns endlich stellen. Seit Monaten kämpfe ich dafür, die von den Experten vorgetragenen Grundbedingungen zu diskutieren und zur Grundlage einer gelingenden Partizipation zu machen. Noch immer wird dieses Forderung ignoriert oder gar als „Ideologie“ abqualifiziert.

Wenn Experten wie Prof. Renn oder Prof. Nanz dann dieselben Forderungen noch einmal wissenschaftlich untermauern, widerfährt ihnen Ähnliches: Nach deren Vorträgen hatte die zuständige Arbeitsgruppe leider keine Zeit, um diesen Input zu diskutieren.

Leider muss ich an dieser Stelle konstatieren: Eine Legitimierung der nach aktuellem Stand der Entwicklung auf uns zukommenden Bürgerbeteiligungssimulation durch die Kommission durch meine Beteiligung an der verantwortlichen Arbeitsgruppe wird es nicht geben. Am kommenden Montag tagt die Kommission – von den Ergebnissen dieser Sitzung werde ich meine weitere Mitarbeit abhängig machen.

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