Verbesserte Gesetzgebung durch Bürgerbeteiligung

Immer häufiger fordern Bürgerinnen und Bürger bei Gesetzesvorhaben stärker beteiligt zu werden. Welche Vorteile eine solche Öffnung der Gesetzgebung bedeuten, zeigen zwei kürzlich erschienene Studien.

Foto: Marie-Christine Schindler via flickr.com, Lizenz: CC BY-NC 2.0

Immer häufiger fordern Bürger*innen mehr Beteiligungsmöglichkeiten bei politischen Verfahren. Zwei kürzlich veröffentlichte Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung haben partizipative Gesetzgebung genauer betrachtet. Die Resultate der beiden Studien belegen, dass die Beteiligung der Bürger*innen geeignet ist, um die Akzeptanz von Gesetzesbeschlüssen zu erhöhen und ihre inhaltliche Qualität aufzuwerten. Untersucht wurden Beteiligungsverfahren in Rheinland-Pfalz (RLP) und in Baden-Württemberg (BW).

Vorgehensweise der beiden Studien

Die umfassende Studie aus BW mit dem Titel „Partizipation Gesetzgebungsverfahren“ stellte sechs Gesetzgebungsverfahren des Bundeslandes in den Fokus und analysierte sie im Hinblick auf Anwendung, Mehrwert und „partizipativen Fußabdruck“. Ein solcher Fußabdruck beschreibt laut den Autor*innen den Einfluss eines Beteiligungsprozesses auf politische oder planerische Entscheidungen. Auch Gesetze können einen solchen Fußabdruck hinterlassen. Methodisch hat die BW-Studie allerdings vornehmlich die Sicht der Minister*innen und Landtagsabgeordneten erfragt und analysiert. Die Perspektive der Bürger*innen wurde lediglich durch die Auswertung von Online-Kommentaren berücksichtigt.
Die Studie aus RLP trägt den Titel „Das Beteiligungsverfahren zum Transparenzgesetz Rheinland-Pfalz„. Hierbei handelt es sich um eine wissenschaftliche Evaluierung des Beteiligungsverfahrens zum besagten Transparenzgesetz. Befragungen während des Verfahrens schlossen Abgeordnete sowie Bürger*innen ein. Ferner wurde mithilfe einer Online-Umfrage auch die Meinung der rheinland-pfälzischen Bevölkerung erhoben. Zusätzlich erfolgte eine Medienanalyse.

Verbesserte Gesetzgebung durch Bürgerbeteiligung

Obgleich der methodisch unterschiedlichen Herangehensweisen, stimmen die Studien in ihren Schlussfolgerungen jedoch weitgehend überein. Ein zentrales Ergebnis beider Untersuchungen ist die diagnostizierte Qualitätssteigerung der Gesetzesentwürfe durch den Expertiseeinbezug der Bürger*innen. Interessant ist, dass die Befragungen der Landesminister*innen aus BW zeigen, welchen Mehrwert sogenannte Face-to-Face-Beteiligungen bei der Formulierung von Gesetzesvorlagen ermöglichen. Hiermit sind etwa Workshops, Bürger-Panels oder andere Gruppenveranstaltungen gemeint. Diese ermöglichen den direkten Austausch und die ergebnisorientierte Arbeit an gemeinsamen Lösungsvorschlägen. 

Weitere wichtige Faktoren bilden die frühzeitige Einbindung der Betroffenen. Auch die genaue Auswahl von Face-to-Face-Formaten, die alle Beteiligten gleichermaßen ansprechen sowie das Miteinbeziehen zufällig ausgewählter Bürger*innen ist zentral. Ein gelungenes Beteiligungsvorhaben fand etwa beim sogenannten integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept in BW statt. Dort wurden ca. 25 Prozent der Bürgervorschläge inhaltlich in den Gesetzestext mit aufgenommen. Letztlich wird die gezielte Ansprache von Interessierten als erfolgsrelevanter Faktor hervorgehoben. Diese erhöhe die Anzahl der Beteiligten und sorge so für vielfältige Sichtweisen und Meinungen.

Akzeptanz gegenüber Gesetzgebung fördern

Ein zweites wichtiges Ergebnis der Studien stellt der Nachweis zunehmender Akzeptanz von partizipativ erarbeiteten Gesetzen dar. Akzeptanzfördernd, so die RLP-Studie, ist auch die Möglichkeit des offenen Zugangs zu Inhalten der Debatte durch Online-Beteiligung. Eine professionelle und neutrale Moderation gewährleiste außerdem sachliche Debatten und zufriedene Teilnehmende. Die BW-Studie stellte zudem heraus, dass aufgrund von Partizipationsprozessen bei Gesetzesvorhaben die repräsentative Demokratie nachhaltig gefördert wird.

Die Studien zeigen einmal mehr, dass sich Bürger*innen nicht nur in komplexe Sachlagen und Debatten einarbeiten können. Sie belegen auch, dass sie zu der oft als schwer zugänglich empfundenen Gesetzgebung Wertvolles beitragen können und frühzeitige, ergebnisrelevante Beteiligung sich positiv auf die Stabilität der repräsentativen Demokratie auswirkt. Im Übrigen stellen die Autor*innen der BW-Studie fest, dass entgegen der landläufigen Meinung, Bürgerbeteiligungsverfahren zögerten Beschlüsse meist endlos hinaus, die befragten Ministeriumsmitarbeiter*innen zu einem anderen Urteil gelangten: „Durch frühzeitige Beteiligung könnten etwaige Probleme aus dem Weg geräumt werden, die zu einem späteren Zeitpunkt ohne Beteiligung tatsächlich zu einem Verzug geführt hätten“ (Studie-BW, S. 40).

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