Stadtplanung partizipativ und digital

2016 wurde von der Stadt Hamburg das Projekt „FindingPlaces“ ins Leben gerufen, um den Standortsuchprozess für Geflüchtetenunterkünfte partizipativ zu gestalten. Wichtiger Bestandteil des Verfahrens war eine digitale Plattform.

Foto: Andreas Issleib via flickr.com , Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Wie auch viele andere Städte wurde die Hansestadt Hamburg im Jahr 2015 mit der Problematik konfrontiert, ankommenden Geflüchteten ausreichend Unterkünfte zu stellen. Dabei stießen besonders die Verteilung und die Standortauswahl der Wohnplätze auf regen Widerstand bei den Bürgern. Deshalb wurde ein Projekt initiiert, das die Standortauswahl partizipativ und transparent machen sollte.

Im Rahmen von „FindingPlaces“ wurden Workshops mit engagierten Bewohnern der einzelnen Stadtbezirke veranstaltet. Ziel der Beteiligungsformate war es, das lokale Wissen der Bürger vor Ort einzubinden und auf diese Weise geeignete Bauflächen für neue Unterkünfte zu finden.

Das Projekt im Detail

Die Workshops wurden im Zeitraum vom 26. Mai bis 15. Juli 2016 mit Bewohnern verschiedener Stadtteile Hamburgs sowie Vertretern aus der städtischen Politik und Verwaltung veranstaltet. Das von der HafenCity Universität (HCU) initiierte Projekt wurde durch den digitalen Modelltisch „CityScopes“ – ein interaktives Stadtmodell zur Veranschaulichung städtischer Zusammenhänge – unterstützt. Die Teilnehmenden erhielten mithilfe des Tools wesentliche Kennzahlen wie die Einwohnerzahl in einem Gebiet oder bereits geplante Unterkünfte auf dem Monitor des digitalen Modelltisches angezeigt. Zudem lieferte es Details über mögliche Einschränkungen wie etwa Lärmbelästigung, Flutgefahr oder Landschaftsschutz. Auf diese Weise wurde eine gute Informationsbasis geschaffen. Dies stellt die Grundlage dar, um in einen sachlichen Dialog treten zu können und über die mögliche Nutzung freier städtischer Grundstücke im jeweiligen Bezirk zu diskutieren. Zusätzlich erleichterte die Visualisierung der Fakten die Nachvollziehbarkeit der bisherigen Entscheidungsprozesse von Verwaltung und Politik.

Sobald mögliche Flächen gefunden und alle damit verbundenen Vor- und Nachteile von den Teilnehmern besprochen wurden, erfolgte eine Prüfung der Areale durch die Stadt Hamburg. Diese überprüfte die Vorschläge der Teilnehmenden hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Restriktionen und publizierte die Ergebnisse inkl. einer Nutzungsempfehlung anschließend in einem Report für jedes Flurstück. Dieser Prozess ist komplex und diverse Faktoren sind zu berücksichtigen. Das vorgeschlagene Flurstück darf bspw. nicht vermietet sein, muss eine gute Infrastruktur aufweisen und frei von Altlasten sein, wie das folgende Video erklärt:

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Blick in die Workshops

Pro Stadtbezirk nahmen durchschnittlich 56 Personen an den Workshops teil, wobei die Zahl der Teilnehmenden in den Bezirken sehr unterschiedlich war. Während in Altona insgesamt 117 Personen den Beteiligungsformaten beiwohnten, nahmen in Bergedorf lediglich 13 teil.

In den Workshops wurden heterogene Argumente in den Diskurs eingebracht. Die Teilnehmenden berücksichtigten bei der Erarbeitung ihrer Empfehlungen u. a. die zunehmende Stadtverdichtung, durch welche die Aufrechterhaltung von innerstädtischen Kleingärten oder landwirtschaftlichen Flächen innerhalb der Stadtgrenzen in Frage gestellt werde. Gleichermaßen sei die Berücksichtigung der Verkehrsanbindung und der sozialen Infrastruktur wesentlicher Aspekt für eine gelingende Integration. Aber auch die gerechte Aufteilung auf die Stadtbezirke spielte eine signifikante Rolle in den Diskursen. Zudem kritisierten Bürger den Aufbau der Workshops, da das Thema einer Umnutzung bereits bestehender Gebäude nicht behandelt wurde und auch private Flächen in der Suche zu berücksichtigen seien.

Resultate und Einschätzung

Mittels des partizipativen Verfahrens konnten 44 Flächen mit einer positiven Ersteinschätzung ermittelt werden, von denen nach eingehender Prüfung sechs Areale als geeignet eingestuft wurden. Für fünf dieser Flächen gab es schließlich eine Umsetzungsempfehlung. Im Ergebnis sind insgesamt mehr als 600 Unterkunftsplätze entstanden.

Sicherlich ist die Aussage: „So kinderleicht, wie sich diese Echtzeitverschränkung von Bild, Information und Diskussion für öffentliche Entscheidungsfindungen nutzen lässt, stellt sie die Autonomie von Architekten und Stadtplanern grundsätzlich in Frage“ etwas überspitzt. Doch in jedem Fall zeigt das Projekt zweierlei: Zum einen ist es ein weiterer Beleg für die These, dass die Einbindung des lokalen Wissens der Bürger bei komplexen und konfliktreichen Planungsvorhaben möglich und sinnvoll ist. Zum anderen verdeutlicht es die vielfältigen und interessanten Möglichkeiten einer Integration digitaler Tools zur Entscheidungsfindung in deliberativen Verfahren.

Weiterführende Informationen zum Projekt finden sich auf der Internetseite „Finding Places“.

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