Soziale Selektivität in der Bürgerbeteiligung

Bettina Walther richtet in ihrem Beitrag den Blick auf die Menschen, die allzu oft bei Beteiligungsprozessen außen vor bleiben. Sie gibt Hinweise aus der Praxis, wie niedrigschwellige Beteiligung gelingt und sich nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ beteiligen.

Foto: gruppe F Landschaftsarchitekten

Bürgerbeteiligung ist derzeit in aller Munde und maßgeblich für den Erfolg von Projekten verantwortlich – spätestens seit den Protesten um verschiedene deutsche Großprojekte in den vergangenen Jahren. Beteiligung kann dabei mehr als nur Akzeptanz generieren. BürgerInnen bringen Input in Planungs- und Gestaltungsprozesse ein, der das Fachwissen der Planer um lokales Wissen ergänzt.

Wer jedoch schon einmal eine klassische Bürgerwerkstatt besucht hat, der weiß, dass dabei vor allem die Interessen und das Wissen einer Gruppe vertreten ist: vor allem beteiligt sich dort der gebildete, weiße, männliche Mittelstand im mittleren bis fortgeschrittenen Alter. In den Plenums-Veranstaltungen kommen zudem oft nur die Kommunikationsstärksten tatsächlich zu Wort. Die Interessen von BürgerInnen mit Migrationshintergrund, Kindern und Jugendlichen, Frauen, Alleinerziehenden und Schichtarbeitenden sowie Personen mit niedrigem Bildung- und Einkommensniveau kommen meist zu kurz. Diese soziale Selektivität in der Bürgerbeteiligung stellt Organisatoren und Moderatoren von Partizipationsprozessen vor eine Herausforderung in puncto Prozessdesign. Wie kann Beteiligung inklusiver gestaltet werden?

Foto: gruppe F Landschaftsarchitekten, Besuch beim Frauenfrühstück

Um Orte zu gestalten, die den Wünschen aller späteren Nutzergruppen entsprechen, beziehen wir von gruppe F Landschaftsarchitekten seit über 15 Jahren BürgerInnen in dialogorientierten Prozessen in die Freiraumplanung ein. Aus dieser Erfahrung haben wir Leitlinien entwickelt, an denen wir unsere Methoden zur Adressierung aller Nutzergruppen, auch schwer erreichbarer Zielgruppen, orientieren.

Arbeit vor Ort und niedrigschwellige Angebote

Große Veranstaltungen können eine abschreckende Wirkung haben, viele schwer erreichbare Zielgruppen suchen diese nicht gezielt auf. Finden Veranstaltungen direkt auf der betroffenen Fläche statt, können nicht nur Wünsche und Probleme direkt vor Ort markiert sowie überprüft werden – auch die Schwellenangst, an einer Veranstaltung in einem geschlossenen Raum teilzunehmen, kann so überwunden werden. Viele Passanten halten gerne für einen Moment an und äußern sich in einem kurzen Bürgersteiggespräch oder im Rahmen eines niedrigschwelligen Planungsworkshops auf der zu beplanenden Fläche.

Natürlich können nicht alle Veranstaltungen draußen stattfinden, manchmal machen Jahreszeit oder Witterung einem einen Strich durch die Rechnung. In diesem Fall bietet sich an, Nachbarschaftszentren oder Schulen anstelle von Räumen in Gebäuden der öffentlichen Verwaltung, Kongresszentren oder schicke Veranstaltungssäle zu nutzen. Das Betreten eines bekannten Ortes stellt oft eine kleinere Hürde dar.

Visualisierung und leicht verständliche Darstellung

Wie bereits erwähnt, kommen auf Plenums-Veranstaltungen vor allem die kommunikationsstärksten Teilnehmenden zu Wort. Dazu gehören neben gebildeten BürgerInnen auch Menschen, die von Berufs wegen viel sprechen, wie z. B. Akteure aus der Politik. Um diese Kommunikationsmuster aufzubrechen, eignet sich ein Wechsel des Mediums, z. B. durch die Wahl der Methodik des Mental Mappings. Dabei skizzieren die Teilnehmenden ihre Vision für einen Ort innerhalb weniger Minuten – im Anschluss werden Übereinstimmungen und Unterschiede in den gezeichneten Karten gemeinsam herausgearbeitet. So bekommen alle Teilnehmenden, auch stille oder schüchterne Personen und jene mit mangelnden Sprachkenntnissen, die Möglichkeit sich zu artikulieren. Außerdem können auf diese Art bestehende Hierarchien aufgebrochen werden – wer gut reden kann, kann nicht immer auch schön zeichnen.

Um während der Veranstaltungen nicht in Fachjargon zu verfallen und die Kommunikation auf Augenhöhe zu sichern, bieten sich einfache und gut verständliche Visualisierungen der Ideen an, so z. B. durch Modellbauaktionen mit Kindern. Visualisierungen helfen außerdem, Vorschläge und Ergebnisse leicht verständlich darzustellen. Vieles ist auf einem Plan oder einer Skizze leichter zu verstehen als in Worten. Die Wahl von einfacher Sprache und Alltagsbegriffen sowie die Erläuterung von planerischen Prozessen sollte dies begleiten.

Kooperation mit lokalen Akteuren und Initiativen

In jeder Nachbarschaft gibt es sie: die Akteure, die gefühlt jeden kennen und alles wissen. Auf diese Multiplikatoren und ihre Netzwerke zurückgreifen zu können, ist Gold wert. Daher machen wir diese wichtigen Akteure und Initiativen in unseren Beteiligungsprojekten gerne zu unseren lokalen Kooperationspartnern: seien es Streetworker, Familienzentren oder engagierte BürgerInnen. Sie können Veranstaltungen bewerben und mit der Zurverfügungstellung von Infrastruktur wie z. B. Räumlichkeiten unterstützen.

Foto: gruppe f Landschaftsarchitekten, Arbeit im Vor-Ort-Büro

Umfassende öffentliche Kommunikation

Mit Artikeln in Zeitungen und Werbung in Veranstaltungskalendern von Kommunen erreicht man viele Zielgruppen nicht. Wir legen daher ergänzend einen großen Wert darauf, im öffentlichen Raum mit Plakaten und Flyern möglichst gut sichtbar zu sein – bei Bedarf auch mehrsprachig. Um in einem Urban Gardening Projekt Personen zu erreichen, die im öffentlichen Raum ehrenamtlich gärtnern, haben wir beispielsweise Pflanzschildchen mit wichtigen Informationen und Kontakt in alle nachbarschaftlich bepflanzten Beete und Baumscheiben gesteckt. Am besten funktioniert aber natürlich der persönliche face-to-face-Kontakt. Daher empfiehlt es sich, z. B. auf lokalen Straßenfesten BürgerInnen direkt anzusprechen.

Mitmachmöglichkeiten mit Spaßfaktor, Verstetigung und Wertschätzung

Was oft vergessen wird: Wer sich in einem Beteiligungsverfahren einbringt, opfert wertvolle Freizeit. Dieses Engagement sollte belohnt werden, eine finanzielle Entschädigung ist in der Regel jedoch nicht im Budget vorgesehen. Es bedarf daher anderen Anreizen. Viele BürgerInnen, vor allem Kinder und Jugendliche, können aber mit Spiel und Spaß zur Teilnahme an Beteiligungsverfahren animiert werden. Mit Methoden wie dem Schildwuchs, bei dem Ideen und Wünsche der Teilnehmenden in Form von beschrifteten Schildern auf der Fläche „heranwachsen“, können den Teilnehmenden Mitmachmöglichkeiten mit Spaßfaktor geboten werden. Gleichzeitig können Flächen erkundet sowie wahrgenommene Stärken, Schwächen und Visionen artikuliert und vor Ort markiert werden.

Und auch nach der Planung eines Spielplatzes, Schulhofs, Parks oder Gemeinschaftsgartens muss die Beteiligung noch lange nicht vorbei sein. Hochbeete oder Sitzpodeste können in Workshops gemeinsam mit den BürgerInnen gebaut werden. Das macht nicht nur Spaß und hat einen Lerneffekt, auch das Verantwortungsgefühl der Teilnehmenden wird gestärkt, die Vandalismusgefahr geht zurück. Auf diese Art und Weise können manchmal sogar Paten gefunden werden, die sich auch nach Fertigstellung eines Elements oder einer ganzen Freifläche um Pflege und Sauberhaltung kümmern.

Foto: gruppe f Landschaftsarchitekten, Kinder beim Ideen zeichnen

Jede Art von Engagement, die BürgerInnen für einen Beteiligungsprozess einbringen, sollte auch ausreichend wertgeschätzt werden. Daher feiern wir am Ende eines erfolgreichen Beteiligungsprozesses gerne das gemeinsam Erreichte – natürlich vor Ort.

Mit Orientierung an diesen Leitlinien versuchen wir, unsere Beteiligungsprozesse und Methoden möglichst inklusiv zu gestalten. In gut konzipierten Prozessen mit niederschwelligen Angeboten wie z. B. dem Schildwuchs werden auch schwer erreichbare Zielgruppen für die Beteiligung gewonnen. Durch eine gute Vor-Ort-Präsenz mit ungezwungener Atmosphäre werden auch Passanten erreicht. So kann ein hohes Maß an Inklusivität realisiert und damit auch eine höhere Repräsentativität der Beteiligungsergebnisse gesichert werden.

Zur Autorin:

Bettina Walther studierte Soziologie sowie Politik- und Sozialforschung und arbeitet bei gruppe F Landschaftsarchitekten schwerpunktmäßig im Bereich Beteiligungsverfahren.

 

 

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