„Postdemokratie“ aktueller denn je

Merkel Puppen Direkte Demokratie Mitbestimmung Foto: Mehr Demokratie via Flickr.com, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Mit Veröffentlichung des Essays „Postdemokratie“ vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch von 2004 wurde eine breite Diskussion zum Verhältnis zwischen Politik und Bürgerwille ausgelöst.

Crouch stellt in seiner Publikation die These auf, dass die westliche Form der Demokratie zwar strukturell gesehen noch intakt sei, aber die gewählten Volksvertreter in ihren Beschlüssen und Vorhaben immer weniger den Wünschen der Bürger*innen entsprächen. Vielmehr würden sie auf Kosten des Allgemeinwohls ihre Partikularinteressen durchsetzen und sich so mehr und mehr ihrer eigenen, von den Wählern verliehene Legitimation berauben.

Mehr Beteiligung

Auch 12 Jahre später hat diese Thematik nichts an Relevanz eingebüßt. Der öffentliche Ruf nach mehr Teilhabemöglichkeiten des Bürgers an politischen Entscheidungen scheint heute lauter denn je zu ertönen. Die allerorts bekundete Politikverdrossenheit der Bürger*innen gibt einher mit der ‚Geburt‘ des Wutbürgers. Viele erachten daher die direkte Demokratie als geeignetes Mittel, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Es wäre jedoch verfehlt, diese als den Heiligen Gral gelingender Bürgerbeteiligung zu verstehen, denn ohne Einschränkungen ist auch sie untragbar. Wer beabsichtigt, für alles Mögliche Bürgerentscheide durchzuführen, übersieht, dass es auf diese Weise zu gravierenden Fehlentscheidungen kommen kann, bei denen das Wohl und die Interessen von Minderheiten gänzlich übergangen werden.

Im Rahmen eines repräsentativen Demokratiesystems, wie es in Deutschland verankert ist, ist eine vollkommen direkte Demokratie schon allein aufgrund der Verfassung nicht möglich. Doch sich der ihr innewohnenden Chancen und Risiken bewusst zu sein, ist für jeden in einer Demokratie lebenden Bürger wichtig. Erst am 10. November 2016 kam der Bayrische Landtag zusammen, um über die Möglichkeiten direkter Demokratie zu sprechen. Alle Fraktionen waren sich darin einig, dass der Bürger mehr Mitspracherecht erhalten soll. Nur bei der genauen Umsetzung gibt es Differenzen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Leseempfehlung: Aus Politik und Zeitgeschichte – „Postdemokratie?“

Wer mehr zum Thema erfahren möchte, sollte sich dazu das APuZ-Heft „Postdemokratie?“ der Bundeszentrale für politische Bildung durchlesen. In sieben Essays wird auf Aspekte und Hintergründe des Postdemokratie-Gedankens eingegangen und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

So stellt beispielsweise Dr. Paul Nolte den historischen Weg der repräsentativen zur multiplen Demokratie in seinem Essay detailliert dar, während Dr. Dirk Jörge über Bürgerbeteiligung in der Postdemokratie informiert und Dr. Birgit Sauer die Position der Frau im politischen System zur Debatte stellt. Sie wirft unter anderem die Frage auf, ob „eine geschlechtergerechte … Demokratie“ möglich wäre (S. 35) und steckt die dafür notwendigen Rahmenbedingungen ab.

Die übrigen Artikel behandeln die Themen der zunehmenden Entpolitisierung, ungleichen Verteilung politischer Partizipation und der Rolle der Medien. Zuletzt stellt sich Dr. Axel Honneth die Frage, inwiefern der Drang nach Anerkennung zur jetzigen Demokratiesituation beigetragen hat. Obwohl das Heft bereits 2011 erschien, sind seine Inhalte nach wie vor äußerst aktuell.

Literaturhinweise

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Friedhelm Neidhardt (Hrsg.)

Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen Buch

Springer VS, Wiesbaden, 1994, ISBN: 978-3-531-12650-0.

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