Partizipation als Teil der Digitalisierungsstrategie

In Zeiten von Corona wird die Bürgerbeteiligung auf eine große Probe gestellt. Vorhaben für Infrastruktur und Wirtschaft können nicht einfach gestoppt werden, sondern müssen weiterhin durchgeführt werden, um die Erhaltung von Strukturen und die Versorgung der Bürger zu gewährleisten.

Durch die Corona-Pandemie wurden geschäftliche und soziale Aktivitäten eingeschränkt und die Masken- und Abstandspflicht begleitet uns nach wie vor auf Schritt und Tritt. Gerade bei Bürgerbeteiligungsprozessen ist der Austausch mit Betroffenen eines der wichtigsten Standbeine für gute Beteiligung und damit auf lange Sicht entscheidend für einen guten Projektverlauf.

In Zeiten von Corona wird die Bürgerbeteiligung daher auf eine große Probe gestellt. Vorhaben für Infrastruktur und Wirtschaft können nicht einfach gestoppt werden, sondern müssen weiterhin durchgeführt werden, um die Erhaltung von Strukturen und die Versorgung der Bürger zu gewährleisten. Viele Veranstaltungsformen sind nicht mehr möglich und selbst kleine Veranstaltungen bedürfen extensiver Planung.

Zu Beginn der Krise stand zu befürchten, dass das Land zum Stillstand kommt und in vielen Branchen war das tatsächlich der Fall. Automobilwerke und Geschäfte wurden geschlossen, Flieger blieben am Boden. Deutschland stand still. Stillstand bedeutet jedoch nicht das Aus für die Kommunikation und schon gar nicht für die Bürgerbeteiligung. Straßen, Trassen und Leitungen müssen weiterhin gebaut und erneuert werden und Betroffene wollen weiterhin informiert werden.

Beteiligung wird digitaler

Bereits etablierte digitale Formate wie Informationen auf Webseiten, Livestreams von Veranstaltungen auf YouTube und Newsletter über E-Mail wurden in der letzten Zeit vielfach zur Information und zum Austausch verwendet und weiter ausgebaut. Zusätzlich werden nun Parlamentarische Abende, Fachkonferenzen und Pressegespräche über Zoom, Teams oder Webex zum Standard. Doch kann man diese Formate sinnvoll für Bürgerbeteiligung einsetzen, wenn gerade der direkte Dialog, welcher die Verbindung zwischen Betroffenen und Vorhabenträgern schafft, mit diesen Formaten nicht wie gewohnt möglich ist?

Gesellschaftlich und auch politisch sieht man sich unter Druck, den digitalen Ausbau und damit digitale demokratische Prozesse voranzutreiben. Corona kann in dieser Hinsicht als Chance gesehen werden, auch digital nicht den Anschluss an andere Länder zu verlieren. Gerade auf EU-Ebene werden Online-Beteiligungstools schon länger genutzt. Die Notwendigkeit, Prozesse flächendeckend ins digitale Zeitalter zu holen, wurde in den letzten Monaten offensichtlich. Eine solche Umstellung braucht jedoch seine Zeit.

Mittlerweile kommt es zu vielen Lockerungen. In einigen Bundesländern sind auch wieder Veranstaltungen und damit direkte Bürgerbeteiligung unter Auflagen möglich. Hier gilt es abzuwägen, was mit einer geplanten Veranstaltung erreicht werden soll. Digitale Veranstaltungsformate können im Einzelfall durchaus teurer sein als analoge Formate, sind jedoch risikobeständiger im Falle einer erneuten Verschärfung der Kontaktbeschränkungen und bieten den Vorteil, dass sie ortsunabhängig stattfinden können. Analoge Veranstaltungsformate erreichen hingegen auch wenig digital-affine Personengruppen. Daher ist es sinnvoll eine Abwägung der Formate und Maßnahmen vorzunehmen und möglicherweise Formate zu kombinieren, um die bestmögliche Art der Bürgerbeteiligung zu identifizieren und damit möglichst viele Interessengruppen einzubinden. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass gerade bei Bürgerbeteiligungen im Infrastrukturbereich gerne und immer noch auf den direkten Dialog gesetzt wird.

Direkter Dialog bleibt wichtig

Mit den momentanen Vorgaben ist das auch wieder möglich, man muss aber kreativ in der Umsetzung sein. Zukünftig ist damit zu rechnen, dass die neuen digitalen Möglichkeiten auch in der Bürgerbeteiligung einen höheren Stellenwert einnehmen werden. Gerade bei Projekten mit einer Vielzahl an Betroffenen oder sehr großen Einzugsgebieten stellen digitale Formate auch ohne Krise eine große Chance dar.

Der Schlüssel zu erfolgreicher Bürgerbeteiligung in der Zukunft und trotz Corona liegt daher zum einen sicherlich in der aktiven und flexiblen Nutzung neuer und bereits bestehender Angebote, als auch im Verständnis und dem Willen aller Beteiligten sich aktiv und trotz Einschränkungen im Prozess zu beteiligen – egal ob online oder offline.

Partizipation als Teil der Digitalisierungsstrategie in Deutschland

Mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) in Deutschland rücken auch die Umsetzung von digitalen Beteiligungsangeboten in den Fokus. Wesentliche Voraussetzung ist, wie auch bei anderen Online-Diensten, ein interoperables Servicekonto, welches eine eindeutige Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Mit der eID-Strategie gibt es nun auch eine technische Basis, die für sichere Identitäten sorgen wird.

Die OZG-Umsetzung wird in 14 Themenfeldern durchgeführt. Die Themenfeldführer sind ein oder zwei Länder sowie eines der Bundesministerien. Im Themenfeld „Engagement & Hobby”, welches durch das Land Nordrhein-Westfalen, den kommunalen Spitzenverbänden und dem Bundesministerium für Inneres und Heimat als Themenfeldführer bearbeitet wird, finden sich auch priorisierte Leistungen, die E-Partizipation ermöglichen werden. Hier wurden bereits Digitalisierungslabore durchgeführt, so dass zu erwarten ist, dass im nächsten Jahr konkrete Online-Dienste nach dem „Einer für Alle“-Prinzip für Bund, Länder und Kommunen zur Verfügung stehen werden.

Das Bürgerbeteiligungsportal kommt

Ein Beispiel für einen solchen Online-Dienst ist das Einrichten eines Bürgerbeteiligungsportals, in welchem unter anderem Einwohnerfragestunden, Bürgerbegehren oder schlussendlich auch Volksentscheide digital beantragt und durchgeführt werden können. Dadurch sollen sowohl die Hürden für eine Beteiligung und damit ein breiteres Spektrum an Zielgruppen erreicht, als auch der personelle Aufwand innerhalb der Verwaltung deutlich gesenkt werden.

Auf der Suche nach Vorbildern zu „E-Partizipations“-Projekten stößt man unweigerlich auf Estland. Der nördlichste der baltischen Staaten ist weltweit das einzige Land, in dem ein flächendeckendes und über alle Ebenen institutionalisiertes E-Voting-System bereits umgesetzt ist. Seit 2005 können die etwa eine Million Wahlberechtigten Estlands mithilfe einer elektronischen Identität per Klick abstimmen, statt am Wahltag in die Kabine zu gehen. Bei der Parlamentswahl 2019 nutzten mehr als 28 Prozent der Wahlberechtigten diese Möglichkeit.

Deutschland – das wird durch das estnische Beispiel nur noch deutlicher – steckt bei der Einführung von „E-Partizipation“ noch in den Kinderschuhen. Erste Elemente einer digitalen Demokratie wie E-Petitionen, also das Einreichen von Online-Petitionen oder die digitale Einflussnahme von Bürgern bei Bauvorhaben oder Planungsprozessen, sind bereits möglich und wurden im Zuge der Corona-Krise stark genutzt. So sind 2017 immerhin 33 Prozent der 11.507 beim Petitionsausschuss eingereichten Petitionen auf elektronischem Wege eingegangen.

Digitalisierung von Partizipation ist ein komplexer Prozess

Die hohe Anfälligkeit der bisherigen E-Voting-Systeme für Wahlmanipulation und das mangelnde Vertrauen in diese Technologien lässt viele Sicherheitsexperten davon ausgehen, dass es noch ein paar Jahre dauern wird, bis sichere Abstimmungssysteme zum Einsatz kommen. Estlands Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid hingegen sieht das deutlich optimistischer. Alles, was man für die Digitalisierung von größeren Nationen brauche, so erklärte sie jüngst in einem Interview mit dem Tagesspiegel, sei ein freizügiger Rechtsraum, einen universell verwendbaren und für jeden zugänglichen digitalen Personalausweis und die Einsicht, dass nicht die technologischen Wege, sondern die technologischen Ergebnisse reguliert werden müssen.

Deutschland wird seinen Weg zur Digitalisierung demokratischer Prozesse nun zunächst mit der OZG-Umsetzung bis Ende 2022 gehen und dabei ein Großteil der 575 OZG-Leistungen digitalisieren. Bei allem Enthusiasmus über den Einsatz von Technologie sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass bei all diesen Prozessen Bürgerinnen und Bürger sowie Akteure in den verschiedenen Ebenen der deutschen Verwaltung miteingebunden werden müssen. Somit hängt der Erfolg der Digitalisierung auch maßgeblich daran, ob es gelingt, aktives Kommunikations- und Stakeholdermanagement zu betreiben.

Der Autor

Die von Heiko Kretschmer 2001 gegründete Kommunikationsberatung Johanssen + Kretschmer (J+K) hat heute rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Er arbeitet auch als Mediator und ist im Vorstand der DialogGesellschaft, einem Think Tank für Dialog und Beteiligung, der Partizipation für die Wirtschaft neu denkt. Heiko Kretschmer ist Mitglied der Allianz Vielfältige Demokratie.

Literaturhinweise

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Die schweizerische Endlagersuche als gesellschaftlicher Prozess Buchabschnitt

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