Hermann Kerler: Eine Region wird aktiv

Der Vorsitzende der Nahversorgungsinitiative ProNah e.V. spricht im Interview mit BBLOG über die Relevanz von kommunalen Initiativen und die Beziehung zwischen politischer und ziviler Bürgerbeteiligung.

Hermann Kerler. Foto: privat.

Herr Kerler, der Verein ProNah im Unterallgäu existiert bereits seit mehr als 10 Jahren. Was waren die damaligen Beweggründe, ProNah ins Leben zu rufen und welche Ziele verfolgen Sie heute?

Der Landkreis Unterallgäu hat 1998 eine Leitbildstudie erstellt. Hierzu wurden Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, sich aktiv bei der Erarbeitung zu beteiligen. Ich hatte mich zu dem Arbeitskreis “Landwirtschaft und Naturschutz“ angemeldet. Für mich und weitere Akteure aus verschiedenen Arbeitsgruppen war der Aufruf zur Bürgerbeteiligung letztendlich Motivation auch nach der Fertigstellung der Studie weiter aktiv zu wirken. Wir gründeten zunächst die Projektgruppe Nahversorgung und in 2004 dann ProNah e. V. Die Ziele von ProNah liegen bei der Bewusstseinsbildung über die Vorteile und den Nutzen funktionierender Nahversorgungseinrichtungen für die Region.

Ihr Engagement reicht vom Bereich Umwelt und Natur über Wirtschaft, Kultur, Gesundheit bis hin zu Freizeitgestaltung und Verbraucherfragen. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern einen Eindruck von den derzeit laufenden Projekten vermitteln?

Bewusstseinsbildung bedeutet für uns hauptsächlich Projektarbeit, wenn möglich mit Partnern aus der Region. In den vergangenen Monaten haben wir folgende Projekte umgesetzt:

  • „Beliebtester Betrieb“: Auf Vorschlag von Konsumenten wurden regionale Betriebe in den Tageszeitungen vorgestellt. Eine Jury wählte schließlich die beliebtesten Betriebe im Unterallgäu aus, die von ProNah ausgezeichnet wurden.
  • „Bewegter Wandertag“: Wettbewerb für alle Schulklassen im Unterallgäu. Aufforderung an die Klassen, die Schulausflüge in der Region durchzuführen und die Besonderheiten des Landkreises zu entdecken und zu dokumentieren.
  • „Spurensuche“ zum Tag der Regionen: Konsumenten wurde aufgefordert, vorgeschlagene Nahversorgungsbetriebe, die besondere Leistungen im definierten Zeitraum anbieten, im Landkreis zu suchen. Die Teilnehmer, die mindestens fünf Betriebe aufgesucht hatten, konnten Einkaufsgutscheine gewinnen.

In Deutschland gibt es eine Vielzahl an Nahversorgungsinitiativen. Die Wiederbelebung von Dorfläden in den letzten Jahren ist nur ein Beispiel dafür. Findet im Sinne eines gemeinsamen Lernprozesses und Erfahrungsaustauschs eine Vernetzung statt?

ProNah ist auch Mitglied beim Bundesverband der Regionalbewegung e. V. Der Bundesverband informiert regelmäßig über aktuelle Themen zur Nahversorgung und zu den Aktivitäten des Vereins. Beim Bundestreffen, das alle zwei Jahre stattfindet, ist ein reger Gedankenaustausch möglich. Das Kennenlernen und der Meinungsaustausch werden durch Vorträge und Workshop gefördert, wo auch gemeinsame Positionen und Ziele erarbeitet werden. Ferner knüpfen wir von ProNah regelmäßig auch eigene Kontakte mit interessanten Einrichtungen, mitunter auch durch Exkursionen.

Geben Sie den Leserinnen und Lesern bitte einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten, Grenzen und Herausforderungen der Zusammenarbeit zwischen Ihrem Verein und der örtlichen Kommunalpolitik.

Da wir aus einer politischen Initiative heraus entstanden sind und wir im Interesse der Kommunalpolitik agieren, ist die Zusammenarbeit sehr positiv. Wir pflegen regelmäßig den Kontakt zu kommunalpolitischen Entscheidungsträgern. Zwei Drittel der 52 Kommunen sind auch Mitglied beim Verein ProNah, somit basiert die Zusammenarbeit auf einer guten Grundlage. Wir können jedoch nur Impulse und Anregungen geben. Wie zum Beispiel beim Club 52ProUnterallgäu, der von ProNah gegründet wurde. Die Intensität und die Form der Zusammenarbeit hängen natürlich vom Bedarf und der Bereitschaft der örtlichen Entscheidungsträger ab.

Bisweilen liest man von einer wachsenden Entpolitisierung der Gesellschaft. Haben Sie den Eindruck, dass durch das Engagement in Ihrem Verein die Menschen auch ein größeres Interesse an politischen Fragen und politischer Teilhabe entwickeln?

Eine schwierige Frage. Mit unseren Aktivitäten bieten wir regelmäßig Anknüpfungspunkte zu konkreten Themen, wodurch sich auch Dialoge ergeben. Je konkreter und regionaler ein Projekt ist, desto größer ist das Interesse an der Mitwirkung. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir eine spürbare Bürgerbeteiligung wahrgenommen und konnten auch diverse Gründungen von Energiegenossenschaften mit begleiten.

In ProNah beteiligen sich Menschen, um Ihre Lebensumwelt aktiv zu gestalten. Glauben Sie, dass ein Ausbau informeller Beteiligungsangebote in Deutschland zu gesellschaftlich besseren Lösungen führt?

Bei uns im Verein funktioniert diese Bürgerbeteiligung hervorragend. Da wo die Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung vorhanden ist, sehe ich die Potentiale zu besseren Lösungen. Im Dialog mit unterschiedlichen Interessenvertretern erkennt man, was machbar und umsetzbar ist und gewinnt ein Gespür für gute und zielführende Entscheidungen.


Hermann Kerler ist Vorstandsvorsitzender der Nahversorgungsinitiative ProNah Unterallgäu e.V. sowie bei der Raiffeisenbank Pfaffenhausen eG. Darüber hinaus ist er u. a. Aufsichtsratsvorsitzender der Dorfenergie eG, stellvertretender Vorsitzender der Lokalen Aktionsgruppe Kneippland Unterallgäu und Mitglied der Vollversammlung der IHK Schwaben.

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