Digital unterstützte Partizipation

Ein Interview mit Claudius Lieven zum Projekt Civitas Digitalis

Der Leiter der Stabsstelle Stadtwerkstatt und Partizipation der Stadt Hamburg, Claudius Lieven, spricht über das dreijährige Projekt Civitas Digitalis, das Methoden und Tools digital unterstützter Co-creation entwickelte und erprobte.

Foto: StartupStockPhotos via Pixabay .

Das Projekt Civitas Digitalis hat kürzlich die Ergebnisse seiner dreijährigen Tätigkeit in einer Abschlusskonferenz vorgestellt. Welche Alleinstellungsmerkmale hat Civitas Digitalis im Vergleich zu anderen Konzepten der Bürgerbeteiligung, die zurzeit diskutiert werden?

Im Fokus des Projektes Civitas Digitalis steht die digital unterstützte (facilitierte) Co-creation. Co-creation ist ein Konzept, das international im Diskurs über Citizen Participation viel diskutiert wird. Für Co-creation werden Methoden bzw. Formate wie z. B. Design Thinking, Living Labs u. a. herangezogen, die eine starke Kreations- und Outcome orientierte Kollaboration ermöglichen.

Gleichzeitig breiten sich digitale Innovationsplattformen z. B. in internationalen Großkonzernen aus, weil man dort erkannt hat, dass dies ein Weg sein kann, die Kreativität der Mitarbeiter auf neue Weise für die Unternehmensentwicklung fruchtbar zu machen. Civitas Digitalis zielt nun auf die Entwicklung „digitaler und crowd-basierter Dienstleistungssysteme für die Smart-Service Stadt der Zukunft“ ab. Der eingeschlagene Entwicklungspfad fokussiert auf die (Weiter)Entwicklung kommunaler Beteiligungsplattformen. Diese eröffnen, vereinfacht gesagt, einen plattformbasierten Rückkanal vom Bürger zur Verwaltung.

Dieser Rückkanal wird hier als Innovationsplattform ausgeprägt, die es der Verwaltung ermöglicht, in einen konstruktiven und kreativen Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treten. In unserem Hamburger Teilprojekt haben wir uns auf die Weiterentwicklung bestimmter Features unseres digitalen Partizipationssystem (DIPAS) konzentriert, insbesondere eine Art Wizard für die mobile Beitragseingabe, die im WhatsApp Stil durch einen Chat-Bot angeleitet wird, sowie KI beziehungsweise ML (Machine Learning) Funktionen zur automatischen Schlagwortanalyse in den Beiträgen.

Beide Aspekte setzen unseres Erachtens an wichtigen „Baustellen“ in der digitalen Partizipation an: Zum einen an intuitiven touch-optimierten GUI’s (Graphical User Interface) für den Nutzer, zum anderen an Features zur Arbeitserleichterung für die Empfänger der Informationen, also i.d.R. die auswertenden planungsverantwortlichen Stellen. Das Civitas Projekt hat uns auf dem Weg zur Lösung dieser Fragen ein gutes Stück vorangebracht.

Welche Chancen sehen Sie in der Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Bürgerbeteiligung?

Prinzipiell große Chancen. Digitale Beteiligungsplattformen haben viel Potenzial zur Erhöhung der Reichweite und Tiefe von Beteiligungsverfahren. Damit diese erschlossen werden kann, braucht es, neben konkurrenzfähigen Applikationen für den Endnutzer, in starkem Maße auch Hilfe für die professionellen Anwender. Denn Beteiligungsverfahren produzieren viele Informationen.

Nach unserer Erfahrung werden diese Informationen häufig unzureichend aufbereitet und verdichtet, was die Wirksamkeit der Verfahren insgesamt beeinträchtigt. KI, insbesondere NLP (Natural Language Processing) ist in der Lage große Textmengen in beeindruckender Qualität zu analysieren und die enthaltenen Informationen zu extrahieren und zu verdichten – nach wissenschaftlichen und transparenten Kriterien.

Dies Potenzial gilt es meines Erachtens nach für die Partizipation zu erschließen, denn wenn wir das „Wissen der Vielen“ abfragen und „Crowdsourcing of Ideas“ betreiben wollen, müssen wir diese Informationsmengen auch schnell und gut verarbeiten können.

Inwiefern kann nach Ihrem Verständnis Civitas Digitalis einen Beitrag leisten, um politische Prozesse demokratischer zu gestalten?

Civitas Digitalis zielt, wie oben erwähnt, auf die digitale Facilitierung von Co-Creationsprozessen ab. Diese können als ein Ansatz partizipativer Governance Formen verstanden werden; oder anders ausgedrückt, als das boosten der User-Perspektive in kommunalen Entwicklungsprozessen. Auf der EU Ebene, bspw. im EuroCities und EIP SCC Kontext, werden diese Ansätze als „citizen centric approach“ bezeichnet und Städte als „citizen driven open innovation systems“ verstanden.

Im deutschen Diskurs sprechen wir oft von der „Stadt der Bürger“ und das „Bürger Stadt machen“ (können) sollen. Diesem Oberziel sollen die Co-Creationswerkzeuge und Methoden, die in Plattform-Software Lösungen wie Civitas Digitalis oder DIPAS eingeschrieben sind, dienen und so insbesondere die kommunale demokratische Willensbildung unterstützen.

Wie stark schätzen Sie das Interesse anderer Kommunen ein, die Ergebnisse des Projektes aufzugreifen?

Das Interesse der Kommunen dürfte grundsätzlich hoch sein. Allerdings ist der Entwicklungsstand der Kommunen im Hinblick auf die Digitalisierung insgesamt und auf plattformbasierte Kommunikationssysteme im Besonderen höchst unterschiedlich.

Für Kommunen, die sich mit der Thematik beschäftigen hat Civitas Digitalis meines Erachtens nach einige interessante Aspekte und Impulse herausgearbeitet und auch transferfähige Ergebnisse produziert. Als öffentlich gefördertes FuE Projekt werden die entstandenen Applikationen bzw. „Software-Bauteile“, nach Projektabschluss im Frühjahr 2020, als Open Source verfügbar und nachnutzbar sein. Schon jetzt sind viele Informationen und Demo-Anwendungen hier verfügbar.

Zur Person

Claudius Lieven, Jahrgang 1968, dipl. Politologe. Nach seiner Tätigkeit in der Stadterneuerung ab 2001 war er Referent für Stadtentwicklung bei der Grünen Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. In den Jahren 2004-2008 war Lieven Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen Bürgerschaftsfraktion. Ab 2008 arbeitete er in der Behörde für Stadtentwicklung u. Umwelt, ab 2009 war er zuständig für die Entwicklung und Aufbau des RISE (Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung) Programms und des Hamburger Sozialmonitorings. Aktuellste Stationen sind ab 2011 die Entwicklung und der Aufbau der Stadtwerkstatt, seit 2017 die Leitung des Projekts DIPAS (Digitales Partizipationssystem) und seit 2019 die Co-Leitung des Internationalen Bauforums Magistralen.

 

Literaturhinweise

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Jan-Hendrik Kamlage; Henrike Knappe

Eine Frage der Beteiligung? Die Herausforderung Endlagersuche Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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