Der “Design Award” für Partizipation

Hans Hagedorn, Experte für ePartizipation, begrüßt Jörg Sommers Vorschlag eines Think Tanks für Partizipation. In seinem Gastbeitrag stellt er seine Idee eines Design Awards für Demokratie und Partizipation vor.

Foto: Philipp Reiss, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Foto: Philipp Reiss, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Im Beitrag Mehr Partizipation denken schlägt Jörg Sommer eine Denkfabrik für Partizipation vor. Sie soll gesellschaftlich praktikable Vorschläge entwickeln, wie Beteiligung nicht nur konfliktreiche Entscheidungen reparieren, sondern demokratische Entscheidungsprozesse konstruktiv bereichern kann. Ich unterstütze diesen Vorschlag und denke, dass ein solcher Think Tank seine Themen nicht unterschätzen kann. Es geht um nicht weniger als die Auseinandersetzung mit den großen gesellschaftlichen Trends, welche die Demokratie herausfordern:

1) Globalisierung und ihre Gegenbewegungen: Wie ändern sich die Lebenswelten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und warum entstehen durch diese Verunsicherung populistische, “neu-rechte” Ideen von Partizipation?

2) Wettbewerb der politischen Systeme: Wie immunisiert man eine demokratische Gesellschaft gegen die zermürbenden Methoden aus anderen Governance-Systemen, die Demokratie in westlicher Ausprägung ablehnen?

3) Nachhaltigkeitsherausforderungen: Wie können die enormen Aufgaben, insbesondere der Umbau der Industriegesellschaft für den Klimaschutz und die Generationenaufgabe zur Einlagerung von Atomabfällen mit demokratischen Beteiligungsmethoden erfüllt werden?

4) Informationskriege: Was passiert, wenn globale Analysesysteme dazu beitragen, dass kein politischer Diskurs im Verborgenen blühen kann? Und wenn gleichzeitig die Auswertung der globalen Kommunikation asymmetrisch nur denen zur Verfügung steht, die über social Bots und professionelle Trolle den Diskurs beeinflussen können?

5) Informationsrevolution: Wie schnell dürfen wir eine demokratische Gesellschaft auf ein neues Betriebssystem umstellen, ohne sie zu beschädigen? Die Institutionen der politischen Bildung sind in einem rapiden Umbauprozess begriffen. Das papiergebundene Geschäftsmodell schreibender Journalisten ist verschwunden und entsteht im Internet neu. Die Gesellschaft lernt mit den Effekten von Echokammern in sozialen Medien umzugehen und verbessert die Algorithmen zur Filterung von Information. All diese Entwicklungen haben eine positiven Kern. Die schnellen Umbauprozesse bergen aber auch die Gefahr, dass alte Sicherungssysteme verschwinden, bevor die neuen funktionsfähig sind.

Abbildung: Fünf gesellschaftliche Großtrends, die unsere demokratischen Umgangsformen beeinflussen.

Abbildung: Fünf gesellschaftliche Großtrends, die unsere demokratischen Umgangsformen beeinflussen.

Viele Formen heutiger Partizipation sind nicht robust genug, um der Wucht dieser Großtrends zu widerstehen. So scheitert die oft praktizierte Form der nachträglichen Beteiligung (“die Menschen mitnehmen”), wenn die Initiatoren auf tiefgreifendes gesellschaftliches Misstrauen stoßen. Die Form der vorausschauenden Partizipation (“gemeinsam Leitbilder entwickeln”) scheitert vielerorts daran, dass die Informations- und Bildungsmedien der Beteiligten und der Entscheidungsträger zu sehr auseinanderklaffen.

Ich denke darüber nach, ob wir einen “Design Award” für Demokratie und Partizipation brauchen. So wie im Produktbereich der reddot award Kunden eine Orientierung gibt, wäre es Aufgabe eines “Participation Design Award” Beteiligungsprojekte in das größere Bild einzuordnen und zu hinterfragen, ob angemessene Antworten auf die oben genannten Herausforderungen gefunden wurden.

Es geht dabei nicht um kleinteilige Methodenkritik — das bleibt Aufgabe der Evaluation — sondern um die Frage, welche Rolle das einzelne Beteiligungsprojekt im langfristigen Zusammenhang erfüllt. Denn jedes Einzelvorhaben trägt dazu bei, entweder eine vertrauensvolle Grundlage für das nächste Beteiligungsprojekt zu schaffen oder diese Basis der Zusammenarbeit zu beschädigen. Ein solches Denken im Gesamtprozess zu fördern, wäre die wichtigste Aufgabe des Think Tanks.

Autor: Hans Hagedorn. Er arbeitet für die DEMOS Gesellschaft für E-Partizipation mbH.

Literaturhinweise

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