Der “Design Award” für Partizipation
Im Beitrag Mehr Partizipation denken schlägt Jörg Sommer eine Denkfabrik für Partizipation vor. Sie soll gesellschaftlich praktikable Vorschläge entwickeln, wie Beteiligung nicht nur konfliktreiche Entscheidungen reparieren, sondern demokratische Entscheidungsprozesse konstruktiv bereichern kann. Ich unterstütze diesen Vorschlag und denke, dass ein solcher Think Tank seine Themen nicht unterschätzen kann. Es geht um nicht weniger als die Auseinandersetzung mit den großen gesellschaftlichen Trends, welche die Demokratie herausfordern:
1) Globalisierung und ihre Gegenbewegungen: Wie ändern sich die Lebenswelten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und warum entstehen durch diese Verunsicherung populistische, “neu-rechte” Ideen von Partizipation?
2) Wettbewerb der politischen Systeme: Wie immunisiert man eine demokratische Gesellschaft gegen die zermürbenden Methoden aus anderen Governance-Systemen, die Demokratie in westlicher Ausprägung ablehnen?
3) Nachhaltigkeitsherausforderungen: Wie können die enormen Aufgaben, insbesondere der Umbau der Industriegesellschaft für den Klimaschutz und die Generationenaufgabe zur Einlagerung von Atomabfällen mit demokratischen Beteiligungsmethoden erfüllt werden?
4) Informationskriege: Was passiert, wenn globale Analysesysteme dazu beitragen, dass kein politischer Diskurs im Verborgenen blühen kann? Und wenn gleichzeitig die Auswertung der globalen Kommunikation asymmetrisch nur denen zur Verfügung steht, die über social Bots und professionelle Trolle den Diskurs beeinflussen können?
5) Informationsrevolution: Wie schnell dürfen wir eine demokratische Gesellschaft auf ein neues Betriebssystem umstellen, ohne sie zu beschädigen? Die Institutionen der politischen Bildung sind in einem rapiden Umbauprozess begriffen. Das papiergebundene Geschäftsmodell schreibender Journalisten ist verschwunden und entsteht im Internet neu. Die Gesellschaft lernt mit den Effekten von Echokammern in sozialen Medien umzugehen und verbessert die Algorithmen zur Filterung von Information. All diese Entwicklungen haben eine positiven Kern. Die schnellen Umbauprozesse bergen aber auch die Gefahr, dass alte Sicherungssysteme verschwinden, bevor die neuen funktionsfähig sind.
Viele Formen heutiger Partizipation sind nicht robust genug, um der Wucht dieser Großtrends zu widerstehen. So scheitert die oft praktizierte Form der nachträglichen Beteiligung (“die Menschen mitnehmen”), wenn die Initiatoren auf tiefgreifendes gesellschaftliches Misstrauen stoßen. Die Form der vorausschauenden Partizipation (“gemeinsam Leitbilder entwickeln”) scheitert vielerorts daran, dass die Informations- und Bildungsmedien der Beteiligten und der Entscheidungsträger zu sehr auseinanderklaffen.
Ich denke darüber nach, ob wir einen “Design Award” für Demokratie und Partizipation brauchen. So wie im Produktbereich der reddot award Kunden eine Orientierung gibt, wäre es Aufgabe eines “Participation Design Award” Beteiligungsprojekte in das größere Bild einzuordnen und zu hinterfragen, ob angemessene Antworten auf die oben genannten Herausforderungen gefunden wurden.
Es geht dabei nicht um kleinteilige Methodenkritik — das bleibt Aufgabe der Evaluation — sondern um die Frage, welche Rolle das einzelne Beteiligungsprojekt im langfristigen Zusammenhang erfüllt. Denn jedes Einzelvorhaben trägt dazu bei, entweder eine vertrauensvolle Grundlage für das nächste Beteiligungsprojekt zu schaffen oder diese Basis der Zusammenarbeit zu beschädigen. Ein solches Denken im Gesamtprozess zu fördern, wäre die wichtigste Aufgabe des Think Tanks.
Autor: Hans Hagedorn. Er arbeitet für die DEMOS Gesellschaft für E-Partizipation mbH.
Literaturhinweise
Bürgergesellschaft als Projekt: Eine Bestandsaufnahme zu Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2008, ISBN: 978-3531162669.
Vom Rand in die Mitte? Perspektiven der Bürgergesellschaft Buchabschnitt
In: Ingo Bode; Adalbert Evers; Ansgar Klein (Hrsg.): Bürgergesellschaft als Projekt: Eine Bestandsaufnahme zu Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2008, ISBN: 978-3-531-16266-9.
Gesellschaftliche Akzeptanz von CO2-Abscheidung und -Speicherung in Deutschland Artikel
In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 2008.
Anmerkungen zur Partizipation des Bürgers in der bundesdeutschen Demokratie Buchabschnitt
In: Daniel Dettling (Hrsg.): Die Zukunft der Bürgergesellschaft: Festschrift für Warnfried Dettling , VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2008, ISBN: 978-3-531-16198-3.
Postdemokratie Buch
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2008, ISBN: 978-3518125403.
Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: Ein Handbuch Sammelband
Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2008, ISBN: 978-3593383729.
Erfolgsbedingungen lokaler Bürgerbeteiligung Sammelband
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2008, ISBN: 978-3531157283.
Die Anti-Atomkraftbewegung Buchabschnitt
In: Roth; Rucht (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Campus, Frankfurt am Main, 2008.
Demokratische Partizipation in der Schule Buchabschnitt
In: Angelika Eickel; Gerhard de Haan (Hrsg.): Demokratische Partizipation in der Schule: ermöglichen, fördern, umsetzen, S. 7-39, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts., 2007.
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Deutschland Artikel
In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. Band 10, S. 25-31, 2006.