Hindernisse bei Bürgerbudgets

Eine Untersuchung anhand des Bürgerbudgets von Konstanz

Im Gastbeitrag stellt Ben Boblenz seine Forschungsergebnisse zu Barrieren bei der Beteiligung an Bürgerbudgets am Beispiel von Konstanz vor.

In den letzten 25 Jahren erlebten Beteiligungsformate zur Mitwirkung an der kommunalen Haushaltsaufstellung einen rasanten Aufschwung. Mittlerweile führen immer mehr Städte und Gemeinden in ganz Deutschland kreative Varianten von Bürgerhausalten und Bürgerbudgets ein. Befürworter*innen sehen darin eine Möglichkeit, um kommunale Ressourcen gerechter auf alle zu verteilen. Doch in der Realität zeigt sich häufig ein differenzierteres Bild: So können partizipative Haushalte sogar bestehende Ungleichheiten reproduzieren und verstärken (Roecke & Herzberg, 2021).

Eine viel diskutierte Ursache liegt in der mangelnden Repräsentation von marginalisierten Gruppen. So wurde in empirischen Studien zu partizipativen Haushalten festgestellt, dass sehr junge und sehr alte Menschen, bildungsferne Personen, Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Geflüchtete, Menschen mit geringem Einkommen und Frauen bei partizipativen Haushaltsprozessen häufig unterrepräsentiert sind (Gerlit et al. 2017; Zepic et al. 2017; Najemnik 2021).

Eine vergleichende Betrachtung von Beteiligungsformaten zur Mitwirkung an der kommunalen Haushaltsaufstellung verdeutlicht, dass es bemerkenswerte Unterschiede zwischen Beteiligungsformaten gibt: Der vorherrschende Bürgerhaushalt konzentriert sich auf die beratende Rolle engagierter Bürger*innen und deren Vorschläge zur Verteilung von kommunalen Mitteln. Auf der anderen Seite konzentriert sich das deutsche Bürgerbudget hauptsächlich auf kleinere individuelle Projekte mit vordefinierten maximalen Projektbeträgen. Bürgerbudgets bieten im Vergleich zu Bürgerhaushalten tendenziell umfangreichere Möglichkeiten zur Stärkung der Bürgerbeteiligung, indem sie die endgültige Entscheidungsbefugnis über die Mittelvergabe auf die Bürger übertragen.

Durch die große Variation von Beteiligungsformaten zur Mitwirkung an der kommunalen Haushaltsaufstellung ist es schwer Aussagen zur Inklusion von marginalisierten Gruppen zu generalisieren.

Die Ergebnisse meiner eigenen wissenschaftlichen Untersuchung verdeutlichen, dass bildungsferne Personen, Menschen mit geringem Einkommen und Frauen auch beim Bürgerbudget der süddeutschen Stadt Konstanz unterrepräsentiert sind. Das Bürgerbudget von Konstanz ist ein interessantes Forschungsobjekt, da es eine umfassende Beteiligung der Stadtgesellschaft an der Haushaltsaufstellung ermöglicht. Das Bürgerbudget wird gezielt bei Vereinen und Initiativen beworben, mit dem Ziel, nicht nur Einzelbeiträge, sondern auch kollektive Projektideen von Gruppen zu fördern, die in Vereinen und Initiativen organisiert sind.

Ziel ist neben der Einbeziehung eines breiten Spektrums an Menschen auch die Förderung des Gemeinschaftssinns und Demokratisierung der Gesellschaft durch politische Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Um herauszufinden, ob ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand, dem Einkommen und dem Geschlecht einer Person und ihrer Teilnahme am Bürgerbudget Konstanz besteht, wurde eine Umfrage an alle Vereine und Initiativen versandt, die im Jahr 2022 Ideen für eine Finanzierung durch das Bürgerbudget eingereicht haben. Ziel dieser Umfrage war es, Informationen über die Bildungsniveaus, Einkommensverhältnisse und Geschlechterverteilungen der Mitglieder und der Einzelpersonen, die innerhalb Ihrer Vereine und Initiativen die Idee hatten, gemeinsam eine Projektidee einzubringen, zu sammeln. Diese Daten wurden im Anschluss mit den entsprechenden Informationen zur Bevölkerung von Konstanz verglichen.

Zusätzlich wurden Interviews mit zwei Expert*innen geführt. Mit dem Verantwortlichen für Bürgerbeteiligung der Konstanzer Verwaltung und eines mit einer Mitarbeiterin eines privaten Unternehmens, das an der Gestaltung des Projekts teilweise beteiligt war.  Der Schwerpunkt dieser Interviews lag darauf, festzustellen, ob und aus welchen Gründen bestimmte Gruppen unterrepräsentiert sind, sowie potenzielle Wege, um das Projekt in Zukunft inklusiver gestalten zu können.

Eine mögliche Erklärung für die geringere Beteiligung von Personen mit niedrigerem Bildungsniveau könnte in fehlenden Ressourcen und einem begrenzten Bewusstsein über die Teilnahmemöglichkeiten am Projekt liegen. Ein Interviewpartner wies darauf hin, dass „jemand, der sich sprachlich nicht gut ausdrücken kann oder zumindest denkt, dass er es nicht kann, wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten hat.“ Ebenso wurde festgestellt: „Was wir nicht schaffen, ist, Initiativen zu mobilisieren, die eher aus Milieus kommen, die weit von der Verwaltung der Stadt entfernt sind.“

Obwohl die Verteilung von Frauen innerhalb der Vereine und Initiativen mit der Verteilung der Stadtbevölkerung übereinstimmte, wurde festgestellt, dass eine überwältigende Mehrheit der Personen, die innerhalb der Vereine die Idee hatten, gemeinsam ein Projekt zu initiieren, männlich war. Nur 17 % dieser Gruppe waren weiblich, im Gegensatz zu 52 % in der Stadtbevölkerung. Diese Beobachtung deckt sich mit den Aussagen der Expert*innen: „In der ersten Reihe sind vielleicht mehr Männer, aber in der zweiten Reihe sieht man auch die Frauen, die das Projekt unterstützen.“

Der Vergleich der Umfrageergebnisse mit den Daten zur Einkommensverteilung in der Stadt ergab keinen klaren Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Teilnahme am Bürgerbudget. Dennoch äußerten die Expert*innen die Vermutung, dass die Teilnehmer*innen größtenteils zur Mittelschicht gehören, möglicherweise zur gebildeten Mittelschicht und daher über die nötigen Ressourcen und die Freizeit verfügen, sich über das Bürgerbudget zu informieren. Anders verhält es sich, wenn finanzielle Sorgen den Alltag bestimmen, was zur Folge haben kann, dass die Ressourcen und die Zeit für eine aktive Beteiligung fehlen.

Basierend auf diesen Erkenntnissen lassen sich einige Empfehlungen formulieren, um das Konstanzer Bürgerbudget und ähnliche partizipative Haushalte inklusiver zu gestalten. Die Stadt Konstanz bewirbt das Bürgerbudget derzeit über verschiedene Kanäle, wie ihre Social-Media-Präsenzen und Zeitungsanzeigen. Allerdings führt diese Werbestrategie zu einer gewissen Auswahlverzerrung: Nur diejenigen, die bereits formell in Vereinen und Initiativen organisiert sind oder ein Interesse an der Lokalpolitik haben, erfahren von der Möglichkeit zur Teilnahme. Um Menschen zu erreichen, die „eher aus Milieus kommen, die weit von der Verwaltung der Stadt entfernt sind“, sollte die Stadt eine breitere Palette an Werbemaßnahmen nutzen. Sie könnte beispielsweise informative Veranstaltungen in Stadtteilen durchführen, die oft von unterrepräsentierten Gruppen besucht werden, oder Partnerschaften mit informalen Organisationen eingehen, die diese Gemeinschaften vertreten, um die Wahrnehmung und die Zugänglichkeit des Bürgerbudgets zu verbessern.

Um die Hürde „Zeitmangel“ effektiv zu überwinden, schlug eine*r der Expert*innen folgende Idee vor: „Vielleicht müssen wir Regelungen schaffen, damit die Arbeitgeberseite die Sache anders betrachtet. Eine Idee wäre, den Arbeitnehmern einen festen Termin in der Woche zur Verfügung zu stellen, damit sie sich aktiv in ihrem Verein engagieren können.“ Ein solcher Ansatz könnte Einzelpersonen dabei helfen, berufliche Verpflichtungen und bürgerschaftliches Engagement besser miteinander in Einklang zu bringen und die zeitlichen Hürden für die Teilnahme an Bürgerbeteiligungsprojekten zu verringern.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Förderung von Inklusion besteht darin, das kommunale Haushaltsverfahren an die Realitäten und Präferenzen der Bürger*innen anzupassen. Die Expert*innen erwähnten: „Eine Hürde ist ganz bestimmt, dass unser Bürgerbudget so langfristig läuft. Das heißt, man stellt jetzt Anträge und kann sein Projekt 2024 durchführen. Das ist aus Sicht von zum Beispiel Jugendlichen eher schwierig, weil die eher spontaner sind.“ Das derzeit langfristige angelegte Konstanzer Bürgerbudget könnte beispielweise flexible Haushaltsaufstellungsprozesse erproben, die kürzere Projektlaufzeiten beinhalten. Hier kann der Bürgerhaushalt aus Lansing, Michigan, USA, als positives Beispiel dienen. Dort werden die Einwohner*innen zunächst über den städtischen Haushalt informiert und anschließend dazu ermutigt, mit Legobausteinen ein ideales Budget aufzustellen. Dieser innovative Ansatz führte zur Umstellung von einer abteilungsbezogenen Finanzierung auf eine programmorientierte Finanzierung, die besser eher den Wünschen der Bürger*innen im Rahmen der kommunalen Finanzierung entspricht (Fedorowicz, 2020). Durch die Anwendung ähnlicher kreativer Strategien könnte Konstanz das Bürgerbudget für ein breiteres Publikum attraktiver und vielfältiger gestalten.

Die Untersuchung am Beispiel des Konstanzer Bürgerbudgets verdeutlicht, dass Bildungsniveau, Einkommen und Geschlecht eine entscheidende Rolle bei der Mitwirkung am kommunalen Haushaltsverfahren spielen. Für den Konstanter Kontext wurden Hürden identifiziert, die insbesondere marginalisierte Gruppen daran hindern, aktiv an der Haushaltsaufstellung teilzunehmen.

Um diese Hürden zu überwinden und partizipative Haushalte inklusiver zu gestalten, ist es wichtig, dass die Politik und Verwaltung das Problem der fehlenden Inklusion anerkennt und dementsprechend handelt. Eine Vielzahl an kreativen Möglichkeiten, um inklusivere partizipative Haushalte zu gestalten, ist denkbar und nötig. Eine Diversifizierung von Werbemaßnahmen, Stärken von individuellen Ressourcen und Anpassung des kommunalen Haushaltsverfahrens an die Lebensrealität der Bürger*innen sind hierbei nur drei Möglichkeiten von vielen.

Literatur

Fedorowicz, M. (2020). Why spending time teaching residents about city budgets pays off. Apolitical. https://apolitical.co/solution-articles/en/why-spending-time-teaching-residents-about-city-budgets-pays-off

Gerlit, R., Dapp, M & Krcmar, H. (2017). Reasons for low Participation in German Participatory Budgeting: A Public Administration Perspective.

Najemnik, N. (2021). Frauen im Feld kommunaler Politik: Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung (1. Aufl.). Springer VS.

Roecke, A., & Herzberg, C. (2021). Participatory Budgeting in Europe: Democracy and public governance. ROUTLEDGE.

Zepic, R., Dapp, M., & Krcmar, H. (2017). Participatory Budgeting without Participants: Identifying Barriers on Accessibility and Usage of German Participatory Budgeting. In 2017 Conference for E-Democracy and Open Government (CeDEM).

Zur Person

Ben Boblenz studiert Politik- und Verwaltungswissenschaft im Master an der Universität Konstanz. In seinem Bachelorstudium an den Universitäten Konstanz und Ljubljana beschäftigte er sich schwerpunktmäßig mit den Themen Bürgerbeteiligung und New Governance. Im Rahmen von Pflichtpraktika beim Berlin Institut für Partizipation und openPetition gGmbh konnte er sein theoretisches Wissen erweitern und praktische Insights in das Thema Bürgerbeteiligung erhalten.

Literaturhinweise

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Stiftung Mitarbeit (Hrsg.)

Engagiert für Integration - Demokratische Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft Buch

2019, ISBN: 978-3-941143-38-8.

Links | BibTeX

Susanne Menge

Bürgerbeteiligungsverfahren in Großbauprojekten am Beispiel "Dialogforum Schiene Nord" Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Adrian Vatter; Claudia Alpiger

Evaluationskriterien zur Bewertung von regionalen Bürgerbeteiligungsverfahren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Elisabeth Leicht-Eckardt; Marcia Bielkine; Daniel Janko; Daniel Jeschke; Kathrin Kiehl; Dirk Manzke

Urbane Interventionen - Impulse für lebenswerte Stadträume in Osnabrück Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Christina Denz

Voneinander lernen am Beispiel des Projekts "Der richtige Dreh" Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Ute Bertrand

Wie Unternehmen Protest managen und Beteiligung simulieren Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

Abstract | Links | BibTeX

Deutsche Sportjugend im DOSB e.V. (Hrsg.)

Positionspapier der dsj: Eine junge engagierte Zivilgesellschaft ist kein Selbstläufer. Online

2017.

Links | BibTeX

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit; Umweltbundesamt (Hrsg.)

Wie gelingt Bürgerbeteiligung auf Bundesebene? Erfahrungen aus dem Bürgerdialog „GesprächStoff: Ressourcenschonend leben“ Online

2017.

Links | BibTeX

Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.)

Werkzeugkasten Dialog und Beteiligung Online

2017.

Links | BibTeX

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Die Bürgerbeteiligung zum Klimaschutzplan 2050: Ergebnisse der Evaluation Online

2017.

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