Allheilmittel Innovation?

Jugendbeteiligung erfolgreich gestalten

Eine Studie im Auftrag des Europarates befasst sich mit verschiedenen Partizipationsformaten für Jugendliche. Mittels einer Stakeholderbefragung wurde ermittelt, ob und wie Innovation und Effizienz dieser Formate miteinander zusammenhängen. Anhand von Fallbeispielen wird der innovative Charakter unterschiedlicher Formate veranschaulicht.

Foto: Jochen Zick via flickr.com , Lizenz: CC BY-ND 2.0

„There is no major disenchantment with politics on the part of young people, only a clear and growing disenchantment with politicians and political elites“. Dies ist eine prägnante Feststellung der 2017 erschienenen Studie „New and innovative forms of youth participation in decision-making process“ von Anne Crowley und Dan Moon. Sie beschäftigt sich mit der Frage, in welchen Formen sich junge Menschen an Entscheidungsfindungsprozessen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene beteiligen. Ziel der Studie ist es, Empfehlungen für die Förderung der Beteiligung junger Menschen in demokratischen Prozessen des Europarates aufzustellen. Dabei stehen zwei Leitfragen im Fokus: Was sind innovative Formen der Jugendbeteiligung? Was ist die Rolle von Innovation im Kontext der Jugendbeteiligung bei Entscheidungsfindungsprozessen?

Aktuelle Debatte über Jugendbeteiligung in Europa: Abkehr von traditionellen Formaten

Die Studie umfasst drei Teile. Zunächst untersuchten die Autoren die aktuelle Debatte zur Beteiligung junger Menschen in demokratischen Verfahren in Europa. Sie stellten fest, dass es einen Konsens darüber gibt, dass sich die Formen des politischen Ausdruckes junger Menschen (16 bis 30-Jährige) ändern. Junge Menschen wenden sich demnach verstärkt von den traditionellen Beteiligungsformaten wie Wahlbeteiligung und der Mitgliedschaft in politischen Parteien ab. Darin sehen die Autoren aber keine generelle Abkehr von der Politik. Stattdessen werden alternative Partizipationsformen bei jungen Menschen beliebter. Diese Entwicklung wird auch durch die wachsende Verbreitung neuer Technologien verstärkt. Die Mobilisierung der zahlreichen jungen Menschen, die am sogenannten Arabischen Frühling auf die Straßen gegangen sind, wurde beispielsweise durch die Nutzung sozialer Netzwerke erheblich begünstigt.

Stakeholderbefragung im Bereich der Jugendbeteiligung: Innovation als Mittel zum Zweck

Im zweiten Teil stellen die Autoren eine Stakeholderbefragung zum Thema Jugendbeteiligung in Europa vor. Die Teilnahme an der Befragung war offen zugänglich und der Begriff Stakeholder breit ausgelegt. Allerdings ist die Umfrage gezielt unter Personen verteilt worden, die im Bereich der Jugendarbeit und Jugendbeteiligung aktiv sind. Die betrachteten Beteiligungsformate waren formale Beteiligungsstrukturen wie Jugendgemeinderäte, deliberative sowie digitale Beteiligungsformate, das Engagement in politischen Kampagnen und demokratischem Protest sowie Co-Management und Co-Production. Letzteres bezeichnet Formate, in denen junge Menschen gemeinsam mit Erwachsenen Entscheidungen bezüglich einer öffentlichen Organisation oder einem öffentlichen Projekt treffen. Das findet beispielsweise im Joint Council on Youth des Council of Europe statt. Der Fokus der Befragung lag auf der Einschätzung der Stakeholder zum Grad der Innovation, zur Verbreitung und zur Effektivität dieser Beteiligungsformate. Außerdem wurden die Stakeholder nach Faktoren gefragt, die ihrer Einschätzung nach die Durchführung dieser Formate behindern beziehungsweise ermöglichen und stärken. Die Autoren legen ein besonderes Augenmerk auf den relativen und kontextspezifischen Charakter von Innovation. Wenn bestimmte Beteiligungsformate wie Jugendgemeinderäte in einem Land neu eingeführt werden, sind sie für dieses Land neu und innovativ. In einem anderen Land hingegen, in dem ein solches Format seit längerer Zeit verwendet wird, wird das Format nicht (mehr) als innovativ angesehen.

Nach Ansicht der Stakeholder sind digitale Partizipation, deliberative Beteiligungsformate sowie Co-Management und Co-Production innovativer als die anderen beiden betrachteten Formate. Die Verbreitung der Beteiligungsformate wurde in der Befragung differenziert nach nationaler, regionaler und lokaler Ebene betrachtet. Nach Angaben der Stakeholder sind Co-Management und Co-Production sowie deliberative Beteiligungsformate auf allen Ebenen am wenigsten vertreten. Mit Blick auf die Verbreitung war für die Autoren besonders die Frage interessant, ob die innovativeren Formate auch die am wenigsten verbreiteten Formate sind. Das trifft auf Co-Management und Co-Production sowie auf deliberative Beteiligungsformate zu. Digitale Beteiligungsformate werden allerdings unter relativ weit verbreitet eingeordnet, vermutlich aufgrund der Möglichkeit digitaler Plattformen, viele junge Menschen zu beteiligen. Die Durchführung der Beteiligungsformate wird laut Einschätzung der Stakeholder vor allem durch unzureichende (finanzielle) Ressourcen, fehlende politische Unterstützung und mangelndes Verständnis der Behörden für die Beteiligungsformate gebremst. Die drei wichtigsten Faktoren, die die Durchführung ermöglichen und verbessern, sind erhöhte politische Unterstützung und erhöhtes Bewusstsein sowie Akzeptanz für die Art der Beteiligung von Seiten der Behörden. Die Effektivität der Formate korreliert nach Ansicht der Stakeholder nicht mit dem Maß an Innovation. In der Befragung wurde Effektivität am Einfluss auf den Entscheidungsprozess der Behörden, der Möglichkeit der Einbindung benachteiligter Gruppen sowie der Eignung des Formates, in größerem Maßstab oder an anderen Orten repliziert zu werden, gemessen. Bezüglich der Einflussmöglichkeit auf den öffentlichen Entscheidungsfindungsprozess wird Co-Management und Co-Production als effektivstes Format angesehen. Die anderen vier Formate werden als relativ gleich effektiv eingeschätzt. Die Studie geht darüber hinaus nicht auf mögliche Gründe für diese Einschätzungen ein. Mit Hinsicht auf die Einbindung benachteiligter Gruppen gibt es kein eindeutiges Ergebnis und die Wiederholbarkeit ist nach Ansicht der Stakeholder bei digitalen Beteiligungsformaten am größten.

Innovation führt also nicht automatisch zu mehr Effektivität. Daraus schließen die Autoren, dass Innovation nicht an sich anzustreben ist, sondern ein Mittel zum Zweck ist. Ein Beteiligungsprojekt für junge Menschen muss nicht innovativ sein, um die erfolgreiche Beteiligung von Jugendlichen zu ermöglichen. Wenn also Innovation für die Jugendbeteiligung von Nutzen sein soll, muss diese in Verbindung mit Verbesserung und damit der Effektivitätssteigerung bestehender Formate verstanden werden.

Europäische Fallbeispiele von Jugendbeteiligung: Innovation ist kontextspezifisch

Im dritten Teil untersuchten die Autoren Projekte zum Thema Jugendbeteiligung aus verschiedenen europäischen Ländern. Dazu gehört zum Beispiel ein Projekt aus Island zur Einbindung junger Menschen in den Prozess zur Überarbeitung der isländischen Verfassung. Auch das Projekt „Ichmache>Politik“ des Deutschen Bundesjugendrings wird vorgestellt. Dabei geht es um die digitale Beteiligung junger Menschen an der Politikgestaltung. Die Fallbeispiele illustrieren den kontextspezifischen Charakter von Innovation.

Empfehlung: Innovation als Verbesserung

Die Autoren betonen, dass es wichtig sei, zwischen alternativen Ansätzen der Beteiligung und Ansätzen zur Innovation von Jugendbeteiligung zu unterscheiden. Ersteres bezeichnet Beteiligung, die nicht in Wahlen oder Parteimitgliedschaft besteht. Diese Formate sind nicht notwendigerweise neu. Ansätze zur Innovation von Jugendbeteiligung hingegen zielen darauf ab, Beteiligungsformate zu verbessern. Innovation ist dabei ein graduelles Konzept. Die Autoren schlagen drei Stufen einer strategischen Herangehensweise an eine solche Weiterentwicklung der Jugendbeteiligung vor. Zunächst muss ein bestimmtes Ziel festgelegt werden. Im zweiten Schritt werden dann Pilotprojekte entwickelt, um dieses zu erreichen. Schließlich werden dann die erfolgreichen Projekte repliziert.

Wer die Ergebnisse und Vorgehensweise der Studie im Detail nachlesen möchte, findet hier den gesamten Bericht.

Literaturhinweise

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Bundesrepublik 3.0 Forschungsbericht

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Mitreden: So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung - ein Ratgeber aus der Praxis Buch

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Dörte Bieler, Dr. Laura Block, Annkristin Eicke, Luise Essen

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KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3 Buch

Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Jörg Sommer, Bernd Marticke

Status quo und Potentiale der innerbetrieblichen Partizipation Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Jörg Sommer, Hans Hagedorn

Gute Beteiligungskultur – auf dem Weg zu einem praxisorientierten Qualitätsmanagement in der Bürgerbeteiligung Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Stefan Löchtefeld, Jörg Sommer

Das Prinzip Haltung: Warum gute Bürgerbeteiligung keine Frage der Methode ist Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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