Zur Qualität der Demokratien

Zwischen autokratisierenden Entwicklungen und demokratischen Hoffnungen

Der Demokratie Bericht 2024 des V-Dem Instituts zeigt die globale Entwicklung von Demokratien und Autokratien auf.

Seit sieben Jahren misst das V-Dem Institut die Demokratiequalität aller Länder weltweit und veröffentlicht seine Ergebnisse im jährlichen Demokratie Bericht. Anhand des Liberal Democracy Index werden die Staaten hinsichtlich ihrer Wahl- und liberalen Elemente gemessen und entsprechend eingestuft: 

  1. Die Kategorie Liberale Demokratie wird als höchste Ebene der Demokratie verstanden und wird Ländern zugeschrieben, die dem liberalen Prinzip am stärksten nachkommen. Unter dem liberalen Prinzip versteht man nicht nur das Abhalten regelmäßiger unabhängiger Wahlen, sondern auch den Schutz der Rechte des Einzelnen und der Minderheiten vor einer staatlichen Unterdrückung. Dies wird durch verfassungsmäßig geschützte bürgerliche Freiheiten, eine starke Rechtsstaatlichkeit und eine gegenseitige Kontrolle erreicht.  
  2. Die zweite Kategorie handelt von der Wahl-Demokratie. Hierbei erfüllt ein Land zwar das Kernelement einer Demokratie, indem sie regelmäßig freie und faire Wahlen durchführen, aber sie halten sich nicht an alle liberalen Prinzipien.  
  3. Sogenannte Wahl-Autokratien halten regelmäßige Scheinwahlen für die Exekutive ab. Allerdings sind die Grundvoraussetzungen wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sowie freie und faire Wahlen nicht ausreichend gewährleistet. 
  4. Die Kategorie der (Geschlossenen) Autokratie bezeichnet Staaten, in denen es keine Mehrparteienwahlen gibt und es an grundlegenden demokratischen Elementen fehlt.

Rückläufige Demokratien

Democratic Backsliding beschreibt den Prozess einer rückläufigen Demokratie, bei denen autokratische Tendenzen steigen. Grund dieser Entwicklung kann ein Machtmissbrauch der Exekutive sein, bei dem die demokratischen Institutionen schleichend geschwächt werden. Darüber hinaus kann ebenfalls ein politischer Coup eine Autokratie auslösen. Laut des V-Dem Institutes liegt die Anzahl an Menschen, die derzeit in einer (Wahl- und geschlossenen) Autokratie leben, bei 71 %. Im Vergleich dazu lagen die Zahlen vor 20 Jahren bei genau 50 %. Der Bericht benennt diese Tendenz als eine weltweit anhaltende Neigung zu Autokratien. Besonders in Osteuropa und Zentral-/Südasien zeigt sich aktuell ein Rückgang demokratischer Prinzipien. Belarus und Russland sind prominente Beispiele autokratischer Staaten in Osteuropa. Die regelmäßigen Wahlen dieser Länder tragen dazu bei, dass sie sich in der Kategorie der Wahl-Autokratien befinden. Aber auch die osteuropäischen Länder Ungarn, Serbien, Kroatien und Rumänien entfernen sich immer weiter von einer liberalen Demokratie. Somit leben im Jahr 2023 66 % der osteuropäischen Bevölkerung in Wahl-Autokratien. Auch Israel ist das erste Mal nach 50 Jahren nicht mehr in der Kategorie der liberalen Demokratien, sondern in der der Wahl-Demokratien. In diesem Fall werden bestimmte Voraussetzungen für den Status einer liberalen Demokratie nicht mehr erfüllt. Dies ist in erster Linie auf erhebliche Rückgänge bei den Indikatoren zur Messung der Transparenz und Rechtssicherheit, sowie auf Angriffe der Regierung auf die Justiz zurückzuführen. Insgesamt erleben heutzutage besonders bevölkerungsstarke Länder deutliche Verluste in ihrem Demokratie Status, darunter z.B. Indien, Mexiko, Russland und die Türkei.

Laut der Studie gibt es allerdings auch erste Anzeichen, dass der negative Kurs von Demokratien zuletzt etwas abflachte.

Demokratiesierende Tendenzen

In 18 Ländern, also in 5 % der globalen Bevölkerung, findet eine Demokratisierung statt, d. h. dass diese Länder Schritte in Richtung eines demokratischen Systems machen. Dort verbessert sich vor allem die Lage der Meinungs- und Medienfreiheit. Weitere 60 Länder befinden sich derzeit in einem politischen Transformationsprozess, der entweder in eine autokratische oder demokratische Richtung verläuft. In Lateinamerika und in der Karibik beispielsweise wächst der demokratische Standard, was anhand der liberal-demokratischen Werte gemessen wird. Auch Brasilien kann seit kurzem wieder der Gruppe, der sich demokratisierenden Länder zugewiesen werden und versucht sich von der autokratischen Phase zu erholen.

Ausblick auf die Wahlen im Jahr 2024

Der Clean Elections Index ermittelt das Ausmaß, in dem Wahlen frei und fair sind. Dieser Kernaspekt der Demokratie – die Freiheit, Fairness und Unabhängigkeit von Wahlen – hat sich seit 2013 in 23 Ländern verschlechtert und in zwölf verbessert. Diese Kerninstitution der Demokratie war zuvor eher unangetastet und stellt somit eine bedenkliche Entwicklung dar. Der Bericht macht außerdem deutlich, dass Wahlen sogenannte kritische Ereignisse markieren. Wahlen können einerseits zur Stärkung einer Demokratie beitragen, aber andererseits auch eine Autokratisierung ermöglichen oder autokratische Regime stabilisieren. In diesem Jahr haben ca. 60 Länder nationale Wahlen, d. h. mehrere Milliarden Menschen sind dazu aufgerufen in diesem Jahr wählen zu gehen. Die Hälfte dieser Länder weist bereits autokratische Tendenzen auf. Ein besonderes Augenmerk liegt daher auf den potenziellen Veränderungen jener Staaten im Zuge der anstehenden Wahlen.

Insgesamt zeigt der Bericht einen alarmierenden Rückgang demokratischer Systeme und ein Erstarken von Autokratien weltweit. Wir befinden uns letztlich in einem Jahr, in dem, aufgrund der vielen Wahlen, große Veränderungen politischer Systeme bevorstehen, die entweder eine Stärkung von Demokratien oder Autokratien bedeutet. Obwohl es in einigen Regionen erste Anzeichen einer Demokratisierung gibt, verdeutlicht diese Studie die Relevanz und Notwendigkeit, demokratische Prinzipien zu schützen und zu stärken.

 

Die gesamten Ergebnisse des Demokratie Berichts können Sie hier lesen: Democracy Report 2024 –Democracy Winning and Losing at the Ballot

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