Wie rechts denkt die Generation Z?

Warum junge Menschen sich vermehrt rechten Ideologien zuwenden und wie wir als Gesellschaft damit umgehen können

Ein Blick in die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen in Deutschland.

Alle zwei Jahre führt die Friedrich-Ebert-Stiftung die sogenannte Mitte-Studie durch, in der rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland untersucht werden (Zick, Küpper & Mokros 2023). Viel Aufmerksamkeit erhielt die Studie zuletzt durch das Ergebnis, dass 12 % der 18-34-Jährigen rechtsextreme Einstellungen aufweisen. Damit liegt die junge Altersklasse erstmals über dem Wert der 35-64-Jährigen (8 %), und überholt deutlich die 4 % der über 65-Jährigen. Das mag eine Überraschung für viele Leser*innen gewesen sein, für die Verfasser*innen der Studie ist das Ergebnis allerdings Ausdruck einer Trendumkehrung, die schon seit mehreren Jahren zu beobachten ist.

Befragt wurde eine zufällig gezogene Stichprobe (N = 2.024), die hinsichtlich Alter, Geschlecht und Bildung der deutschen Sozialstruktur entspricht.  Als rechtsextrem wurde eingeordnet, wer in mehreren Kategorien, wie bspw. Fremdenfeindlichkeit und Sozialdarwinismus, ein einheitliches, in sich kohärent rechtsextremes Antwortmuster gab. Die Befragungen fanden am Telefon statt. 

Für die steigende Neigung der Jugend zu rechtsextremen Weltbildern gibt es verschiedene Erklärungen. Am bekanntesten ist wohl der Sozialisierungsansatz, nach dem Familie und Freundeskreis die politische Entwicklung eines Menschen stark beeinflussen. Andere Erklärungsmodelle ziehen stärker psychologische Gründe heran. Entsprechend dieser Modelle ist die rechte Szene besonders für jene Menschen interessant, die ein geringes Selbstwertgefühl haben und Orientierung suchen. Gerade in jungen Jahren können eine Vielzahl von Stressfaktoren zusammenkommen, wie Leistungsdruck in der Schule oder eine unsichere Zukunftsperspektive. Unter diesen Bedingungen kann eine politische Strömung, die eine starke Gruppenzugehörigkeit verspricht, für Betroffene anziehend sein. Es wird die Chance geboten, auch unabhängig von schulischen Leistungen anerkannt zu werden. Zusätzlich wird das Gemeinschaftsgefühl gezielt durch exklusive  kulturelle Angebote der Rechten verstärkt. Die bewusste Verwendung von Medien, die unter jungen Leuten sehr beliebt sind, tragen zu einer niedrigen Einstiegsschwelle bei und sichern den Initiator*innen eine große Reichweite (Radke 2017).

Die Verfasser*innen der Mitte-Studie legen jedoch größeren Fokus auf den kollektiv wahrgenommenen Zustand der „multiplen Krisen“. Das bezeichnet die Überforderung durch die übermäßig häufigen Krisen der letzten Jahre. Die Klimakrise, die Corona-Pandemie, der  russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die steigende Inflation sind nur einige Beispiele. Daraus entsteht nicht selten Zweifel an der Kompetenz unserer aktuellen Regierung, wenn nicht sogar unseres demokratischen Systems. Andere Deutungen legen aus diesen Gründen nahe, dass die hohe Zustimmung der AfD auch dem simplen Umstand geschuldet sein kann, dass die Partei noch nie selbst an der Regierung beteiligt war, und so noch keine Erwartungen der Wähler*innen enttäuschen konnte (Spiegel, 11. Oktober 2023). 

So einfach scheint es allerdings nicht zu sein. Im Zuge der Studie wird tiefgehender auf die große Unsicherheit eingegangen, die die multiplen Krisen bei einem Großteil der Bevölkerung hinterlassen haben. Besonders betroffen sind jene, die vormals an neoliberalen Leitbildern festgehalten und von ihnen profitiert haben, sich aber nun aufgrund geringer finanzieller Rücklagen mit der (evtl. zukünftigen) Abhängigkeit vom Sozialstaat konfrontiert sehen. Wider Erwarten machen nicht nur Teile der Arbeiterklasse solche Erfahrungen, sondern vielmehr Angehörige der Mittelschicht. Deren bisherige Vorstellungen von Freiheit und Autonomie werden nun infrage gestellt. Junge Menschen haben besonders eingeschränkte Möglichkeiten, sich gegen die Auswirkungen der Krisen zu schützen und erfahren diese sehr direkt, wie zum Beispiel durch die Schulschließungen und die Inflation. Dabei kommt das Gefühl auf, von der Regierung nicht genug unterstützt und ernst genommen zu werden. Auch der Blick in die Zukunft verspricht gerade für junge Menschen keine Besserung der Verhältnisse. Viele betrachten sich daher als Verlierer des Neoliberalismus. Statt an den ideologischen Leitbildern selbst zu zweifeln, wird die Enttäuschung meist auf noch verletzlichere Gruppen, wie Geflüchtete und Angehörige anderer Religionen, projiziert. Durch einen empfundenen Kampf um Ressourcen und Chancen sehen sie ihren eigenen Status bedroht. 

Was könnte also unternommen werden, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken? 

Ein wichtiger Schritt wäre es, die Probleme der Jugend in der Politik ernster zu nehmen, und so viele Auffangnetze und sicherheitsgebende Strukturen wie möglich zur Verfügung zu stellen. Die Vermittlung über den Umgang mit Medien und Fake-News muss zudem auf den aktuellen Entwicklungsstand abgestimmt sein, sodass die Tücken von Social Media tiefgreifend behandelt werden können. 

Bei Vermittlung und Bildung setzt auch die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung an; genauer gesagt an der politischen Bildung. Diese hätte weitaus mehr Potenzial als bisher, wenn in Zukunft folgende fünf Punkte umgesetzt würden:

  1. Politische Bildung darf nicht erst eingesetzt werden, wenn die Stimmung bereits am Kippen ist. Erhalten Menschen den Eindruck, dass ihnen nicht mehr unvoreingenommen begegnet wird und sie belehrt werden sollen, droht eine weitere Distanzierung. 
  2. Dementsprechend muss politische Bildung als Daueraufgabe verstanden werden, wofür jedoch ausreichend Mittel zur Verfügung stehen müssen. Der Inhalt darf dennoch nicht vom Staat vorgeschrieben sein, denn nur so können die Akteure spontan, kritisch und reflektiert agieren. 
  3. Politische Bildung muss niedrigschwellig zugänglich sein. Dafür muss stärker Rücksicht darauf genommen werden, wie unterschiedlich Ressourcen verteilt sind, die Menschen für Bildung aufbringen können. Besonders bisher nicht erreichte Bürgerinnen und Bürger müssen aktiviert werden. 
  4. Fachkräfte an (Berufs-)Schulen, Universitäten, Vereinen und Einrichtungen sozialer Arbeit sollten im Umgang mit rechten Ideologien und Angriffen professionell geschult werden, um junge Menschen auf ihrem Meinungsbildungsprozess zu begleiten. Politische Bildung muss strukturelle Ungleichheiten beleuchten und einen kritischen Blick auf die Probleme der globalen Politik-, Wirtschafts- und Machtsysteme ermöglichen.

Die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt, die auch den sozialen Sektor betreffen (Spiegel, 05. September 2023), stehen somit den Empfehlungen entgegen. Vielversprechend scheinen jedoch die aktuell breit diskutierten unmittelbaren Formen der Partizipation. Diese gleichen mehrere Aspekte der geschilderten Misslagen aus: Begegnung auf Augenhöhe, niedrigschwelliger Zugang zu fachlichen Inputs, Förderung von Solidarisierung, sowie die Chance, sich einzubringen und gehört zu werden. Ähnliche Möglichkeiten der Partizipation für junge Menschen zu schaffen, verspricht somit höchst positive Auswirkungen. 

Literatur

Radke, J. (2017). Was macht rechtsextreme Jugendkulturen für junge Leute attraktiv? Internview mit Chrsitoph Schulze. Bundeszentrale für politische Bildung.  https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/256077/was-macht-rechtsextreme-jugendkulturen-fuer-junge-leute-attraktiv/ (Abgerufen am 24.10.23)

Zick, A., Küpper, B., & Mokros, N. (Hrsg, 2023). Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: J.H.W. Dietz 

 

Literaturhinweise

'Berlin Institut für Partizipation' (Hrsg.)

Bürgerbudgets in Deutschland. Formen, Bedeutung und Potentiale zur Förderung politischer Teilhabe und bürgerschaftlichem Engagements Forschungsbericht

Berlin Institut für Partizipation 2021, ISBN: 978-3942466-48-6.

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Stefan Löchtefeld, Jörg Sommer

Das Prinzip Haltung: Warum gute Bürgerbeteiligung keine Frage der Methode ist Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): KURSBUCH BÜRGERBETEILIGUNG #3, Republik Verlag, Berlin, 2019, ISBN: 978-3942466-37-0.

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Sebastian Schiek

Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik Forschungsbericht

SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Berlin, 2019, ISBN: 1611-6372.

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Jan Korte; Michelle Ruesch

Bürgerbeteiligung an der Bürgerbeteiligung - Gedanken zu "Partizipativen Begleitgremien" in Beteiligungsprozessen Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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