Mitarbeiterbeteiligung: Viel Luft nach oben

Interview mit dem Gewerkschafter Volker Weber

Unsere Demokratie verändert sich. Die Menschen begnügen sich nicht mehr mit einer Wahlteilnahme in großen Abständen. Sie wollen bei der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes mitbestimmen.

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Die Politik hat dies längst erkannt. Seit Jahren gibt es immer mehr und immer neue Angebote der Bürgerbeteiligung (Partizipation) auf allen Ebenen. Die Mitwirkungsmöglichkeiten haben sich deutlich erweitert, und diese Entwicklung gewinnt weiter an Dynamik. Insbesondere junge und überdurchschnittlich gebildete Menschen verlangen nach partizipativen Strukturen. Dies bleibt auch nicht ohne Wirkung auf die Arbeitswelt.

Wie die Erwartungen der Beschäftigten aussehen und ob die Arbeitgeber hierauf bereits reagieren, das untersucht eine kürzlich veröffentlichte Studie des Berlin Institut für Partizipation im Auftrag der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Befragt wurden über 1.000 Mitglieder der IG BCE in verschiedenen Firmen und Branchen. Die Ergebnisse belegen bereits deutlich erkennbare Entwicklungen.

Herr Weber, nahezu 90% der Befragten wünschen sich eine stärkere Einbeziehung in innerbetriebliche Entscheidungsprozesse. Für knapp 60% der Umfrageteilnehmer sind Mitwirkungsmöglichkeiten sogar „sehr wichtig“. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Grundsätzlich nicht. Wir sind als Gewerkschaft ja in ständigem Kontakt mit unseren Mitgliedern und unseren betrieblichen Vertrauensleuten. So ist auch unsere Sensibilität für das Thema erst entstanden, eben weil es entsprechende Rückmeldungen aus den Belegschaften gab. In seiner Deutlichkeit ist das Ergebnis dann aber schon beeindruckend. Es belegt eindeutig, dass die Beschäftigten sich deutlich mehr Mitwirkungsmöglichkeiten als in der Vergangenheit wünschen. Für uns heißt das, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht.

Diesen Erwartungen stehen laut Studie noch relativ geringe Angebote gegenüber. Zwar haben rund 90% der Befragten in den vergangenen zwei Jahren an klassischen Formaten wie Betriebsversammlungen teilgenommen, immerhin rund 40% an Mitarbeiterbefragungen. Die Erfahrungen mit modernen Beteiligungsformaten sind allerdings bislang noch überschaubar: Workshops, Arbeitsgruppen oder andere Beteiligungsformate kennen jeweils nur rund 20% der Befragten aus eigener Erfahrung.

Das deckt sich mit unseren Beobachtungen. Man muss ja sagen, dass in Betrieben mit Mitbestimmung durchaus Formen der Beteiligung existieren. Gute Betriebsräte arbeiten ja nicht an der Belegschaft vorbei. Da gibt es Infoveranstaltungen zu bestimmten Themen und speziellen Zielgruppen, auch mal Umfragen, viel Gespräche im Alltag. Und auf der formellen Ebene gibt es die ja auch im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Betriebsversammlungen. Da berichten die Betriebsräte über ihre Arbeit, auch der Arbeitgeber steht in der Regel als Gesprächspartner zur Verfügung. Problematisch ist nur, dass in Deutschland immer mehr Betriebe und auch öffentliche Verwaltungen ohne Betriebs- bzw. Personalrat sind, und damit oft auch ohne gewerkschaftliche Anbindung. Da sieht es dann schlecht mit den Rechten der Beschäftigten aus. Es geht darum, diese elementaren Strukturen nicht abzuschaffen, sondern durch echte Beteiligungsangebote sogar noch zu stärken. Denn beteiligte Mitarbeiter werden selbstbewusster und kompetenter. Sie trauen sich dann auch eher mal auf einer Betriebsversammlung aktiv aufzutreten. Aber die Entwicklung geht ja schon in die richtige Richtung: Jeder fünfte Teilnehmer unserer Umfrage hat sich in den letzten drei Jahren bereits intensiv beteiligen können. Es sind also ohne Zweifel erste Entwicklungen zu registrieren. Es bleibt aber noch viel Luft nach oben, insbesondere wenn man die Erwartungen mit den tatsächlichen Angeboten abgleicht.

Sehen Sie eine Gefahr für die Rolle der Betriebsräte? Wenn ein Unternehmen intensive Beteiligung anbietet, könnte das die Betriebsräte schwächen?

Das sehe ich nicht so. Eine Ausnahme besteht da, wo durch Beteiligung die vorgesehenen rechtlichen Strukturen der Interessenvertretung verhindert werden sollen und arbeitgebergefügige Beteiligungsrunden dann Interessenvertretung simulieren. Das ist in unseren Branchen aber faktisch nicht der Fall. Da, wo es Betriebsräte gibt, stellt die Entwicklung zu mehr Beteiligung diese natürlich vor gewisse Herausforderungen. Auch zwischen den Betriebsratswahlen müssen und werden wir in Zukunft Möglichkeiten zu aktiver Mitwirkung anbieten, gerade im Kontext der aktuellen Digitalisierungswelle und der damit verbundenen neuen Arbeits- und Organisationsformen werden wir zur Industrie 4.0 auch eine Betriebsratsarbeit 4.0 entwickeln müssen.

Was würden Sie den Unternehmern sagen, die die Meinung vertreten, Demokratie habe im Unternehmen nichts verloren?

Manche Manager sind da sicher noch skeptisch. Auch die Betriebsräte sind ja nicht von den Arbeitgebern erfunden worden, sondern wurden historisch von der Arbeiterbewegung durchgesetzt. Doch immer mehr Managementexperten weisen zu Recht darauf hin, dass das Konzept „Untergebene“ keine Kreativität und Innovation fördert. Diese aber sind Schlüsselfaktoren für einen Erfolg in der digitalisierten Industrie 4.0. Die Arbeitgeber sind gut beraten, mehr Mitdenken, und damit auch mehr Mitentscheiden zu fördern.

Sie appellieren also an die Arbeitgeber, mehr Demokratie zu wagen?

Auf jeden Fall. Wir werden aber auch als Gewerkschaft selbst mehr Angebote machen. Zukunftswerkstätten, Barcamps, Planungszellen – diese und viele andere Formate können auch unsere Vertrauensleute und Betriebsräte initiieren. Wir haben in einigen Unternehmen erste Erfahrungen gesammelt – durchweg mit positiver Resonanz. Es liegt im Interesse beider Sozialpartner, wenn Demokratie nicht am Werkstor endet. Das trägt letztlich auch zur Stabilität unserer Gesellschaft bei. Und das ist bitter nötig.

Zur Person

Volker Weber ist Landesbezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Hessen/Thüringen und Mitglied mehrerer Aufsichtsräte großer Aktiengesellschaften.

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