Schwieriger Auftakt der Partizipativen Endlagersuche

Am vergangenen Wochenende fand in Berlin die erste öffentliche Veranstaltung des Nationalen Begleitgremiums statt. Ziel war die Erörterung einer Formulierungshilfe für die Fortentwicklung des StandAG.

Bürgernanhörung des Nationalen Begleitgremiums, Foto: Susanne Possinger, Archiv.

Am 11. Februar 2017 fand in Berlin eine erste Beteiligungsveranstaltung des unlängst konstituierten Nationalen Begleitgremiums statt, das die Aufgabe hat, die partizipative Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland aus zivilgesellschaftlicher Sicht zu überwachen.

In der Einladung zu der sechsstündigen Veranstaltung in der Tagungsstätte Jerusalemkirche hieß es dazu vorab: „Die Suche kann nur gelingen und zum bestmöglichen Standort führen, wenn Bürgerinnen und Bürger daran von Anfang an mitwirken.“ Im Verlauf der Veranstaltung sollte sich jedoch schnell zeigen, dass längst noch keine Einigkeit darüber besteht, in welcher Weise und in welchem Umfang „richtige“ Beteiligung der Bürger*innen erreicht wird.

Einführende Worte und Vorstellung des NBG

Klaus Töpfer, früherer Umweltminister (CDU) und Vorsitzender des Nationalen Begleitgremiums (NBG), betonte die von der Endlagerkommission definierte Rolle der Bürger*innen im Verfahren als Subjekt, bezeichnete dies jedoch zugleich als eine „an Tollkühnheit heranreichende Entscheidung“.

Klaus Töpfer. Foto: Susanne Possinger, Archiv

Klaus Töpfer, Foto: Susanne Possinger, Archiv

Noch bevor die vom NBG vorgesehene Arbeitsphase an Runden Tischen begann, wurde deutlich, dass bei vielen Teilnehmenden aktuell Zweifel bestehen, ob das jetzt gestartete Verfahren tatsächlich die geforderte neue Qualität der Bürgerbeteiligung bei einem der brisantesten Themen der letzten Jahrzehnte in Deutschland erreicht. Sie äußerten die Befürchtung, dass das NBG lediglich ein zahnloser Tiger sei. Es sei, so die Kritiker, völlig unklar, welche konkreten Ziele, Rechte und Pflichten es in Zukunft habe.

Bereits im Vorfeld hatte es zudem Irritationen gegeben, weil das NBG selbst als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung auftrat, denn diese Rolle hatten die Experten in der Endlagerkommission eigentlich dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgung – kurz: BfE – zugedacht. Demgegenüber sollte das NBG als über dem Verfahren schwebendes, gemeinwohlorientiertes Gremium genau die Qualität dieser Beteiligung hinterfragen und nicht selbst operative Aufgaben übernehmen. So passte es auch, dass Miranda Schreurs in ihren Eröffnungsworten die zu erörternde Frage aufwarf „Was sind wir als NBG eigentlich?“

Miranda Schreurs. Foto: Susanne Possinger, Archiv.

Miranda Schreurs, Foto: Susanne Possinger, Archiv.

Im Anschluss an die so nicht geplante kritische und vom NBG Vorsitzenden rasch beendete Auftaktrunde informierte die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, das Auditorium über den aktuellen Stand des Gesetzesentwurfs in den Fraktionen des Bundestages. Mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf betonte sie in ihrer detaillierten Darstellung den Zeitdruck im Verfahren und legte dar, dass insbesondere weiterhin umstritten ist, in welcher Weise ein Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle verankert wird. Sie legte auch dar, dass der gegenwärtige Entwurf das vergleichende Prinzip berücksichtigt und im anstehenden ergebnisoffenen Verfahren die Einlagerung in Granit nicht ausgeschlossen sei. Da Ihre umfangreichen und komplexen Ausführungen, die sich teilweise auf einzelne Formulierungen in der gegenwärtigen Formulierungshilfe bezogen, nicht mittels Beamer oder Ähnlichem unterstützt wurden, fiel es leider gerade weniger mit dem Thema befassten Zuhörer*innen schwer, zu folgen.

Deutliche Kritik gab es jedoch vor allem mit Blick auf die anstehende Arbeitsphase, denn Kotting-Uhls Ausführungen zeigten, dass die Arbeitsgrundlage des Tages nicht mehr dem aktuellen Stand entsprachen und so entstand die  Befürchtung „man arbeite für die Tonne“. Für den weiteren ergebnisrelevanten Fortschritt wurde daher ein direkter Dialog mit den Berichterstatter*innen gefordert. Auch an anderen Punkten wie dem 100 Grad-Kriterium für die Einlagerungstemperatur von Behältern oder dem Anspruch einen sicheren Einschluss für 1 Million Jahre zu gewährleisten – ein Kriterium, das laut eines Kritikers lediglich einen fehlgeleiteten Machbarkeitswahn des Menschen repräsentiere – wurde Gesprächsbedarf deutlich. Leider wurde diesem regen Gesprächsinteresse mit Verweis auf den Zeitplan der Tagesordnung nicht genügend Raum gegeben, sodass die sich abzeichnende spannende Debatte im Keim erstickt wurde.

Runde Tische zur Gruppenarbeit

In verschiedenen Arbeitsgruppen fanden sich nun die Teilnehmenden zusammen und debattierten wahlweise über eines der folgenden Themen:

  • Klärt der Gesetzesvorschlag, für welche radioaktiven Abfälle ein Endlagerstandort gesucht wird?
  • Ist die Rückholbarkeit ausreichend berücksichtigt?
  • Ermöglicht der Gesetzesvorschlag ein vergleichendes Verfahren, das alle möglichen Gebiete und Gesteine einbezieht?
  • Ist der Rechtsschutz für Bürger*innen ausreichend berücksichtigt?
  • Ist das Konzept der Öffentlichkeitsbeteiligung sinnvoll und ausreichend?
  • Rollen- und Funktionsklärung des NBG

Die große Relevanz des Themas wurde daran deutlich, dass die meisten Teilnehmenden sich zum Gespräch über das Öffentlichkeitsbeteiligungskonzept einfanden. Hier wurde allerdings auch deutlich, dass sich im Zuge der letzten Jahre eine „Familie“ gebildet hat, die sich regelmäßig bei den Veranstaltungen trifft.

Die „üblichen Verdächtigen“

Dieser Eindruck bestätigte sich auch bei der Auswertung einer Befragung, die der BBLOG im Rahmen der Veranstaltung durchgeführt hat. Überwiegend gaben die Befragten an, bereits Veranstaltungen der Endlagerkommission besucht zu haben und beruflich auf die eine oder andere Art mit dem Thema befasst zu sein. „Neulinge“ waren eher selten. Wie schon der Endlagerkommission ist es auch dem NBG in seiner ersten öffentlichen Veranstaltung nicht gelungen, die breite Masse zu mobilisieren. Daher überraschte es nicht, dass die Arbeitsgruppe zügig ihren Blick auf die Frage richtete, wie diesem Problem zukünftig effektiver begegnet werden könnte. Umfassende Informationskampagnen wurden dabei als zweischneidiges Schwert betrachtet, denn neben der Mobilisierung können sie auch in Verdacht geraten, lediglich akzeptanzbeschaffend zu wirken. Dennoch fand der Einwurf Zustimmung, dass die Beteiligung in die Regionen gebracht werden müsse, auch um die finanziellen Belastungen für die Teilnehmenden gering zu halten und so eine effektive Beteiligungshürde abzubauen.

Ein erfolgreiches Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung müsse zudem lernend sein und auf einer ehrlichen sowie schonungslosen Fehleranalyse vorangegangener Beteiligungsverfahren stattfinden, ansonsten würde nur wieder ein herkömmlicher Top-Down-Prozess mit den altbekannten Fehlern implementiert.

Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsbeteiligung. Foto: Susanne Possinger, Archiv.

Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsbeteiligung, Foto: Susanne Possinger, Archiv.

Ein Schlüsselfaktor ist dabei die Zeit. Es bestand zwischen den Diskursteilnehmenden weitgehende Einigkeit, dass Beteiligungsprozesse keinem Zeitdruck ausgesetzt werden dürften und folglich die gegenwärtig angedachten Fristen für Anhörungen oder Nachprüfungen nicht haltbar seien. Auch während der Arbeit innerhalb der Arbeitsgruppe setzte sich die Unsicherheit hinsichtlich der aktuellen Rollen- und Funktionszuweisungen fort.

Während einerseits kritisch debattiert wurde, wie der vermeintliche Evaluator NBG selbst evaluiert werden kann, wurden andererseits intensiv mögliche Aufgaben für das NBG besprochen und die Befürchtung laut, dass das Gremium letztlich überfrachtet werden könne. In diesem Zusammenhang gab es immer wieder kritische Fragen zur (noch nicht besetzten) Rolle des Partizipationsbeauftragten zu hören. Ob und wann diese wichtige Instanz die Arbeit aufnehmen und wie sie besetzt werden soll, blieb jedoch unklar.

Rollenkonfusion: Moderatoren in eigener Sache

Moderiert wurde der Runde Tisch durch die beiden NBG-Mitglieder Bettina Gaebel und Monika Müller. Leider wurde es versäumt, spontan kleine Arbeitsgruppen zu bilden, sodass die Verbindung aus reger Beteiligung, engem Zeitrahmen und dem weitläufigen Thema Öffentlichkeitsbeteiligung eine tiefgreifende Debatte nicht ermöglichte und sich teilweise Frust bei den Teilnehmenden wegen der vermeintlich zu geringen eigenen Redezeit über Zwischenrufe entlud: „Och nö, die hatte schon mehrfach das Wort. Wann kommen wir dran?!“

So löblich der Anspruch des NBGs war, selbst den Dialog mit den Bürger*innen zu gestalten, so erkennbar war auch, dass eine Unterstützung durch ein externes Moderatorenteam der Veranstaltung nicht geschadet hätte. Nicht umsonst ist es gerade bei kritischen Themen gängige Praxis, den Träger der Beteiligung nicht die eigene Veranstaltung moderieren zu lassen. Dies führt rasch zu Konflikten und Manipulationsvermutungen – was sich auch bei dieser Veranstaltung zeigte. Dies wurde insbesondere in Fällen deutlich, in denen die Rolle der/des Moderator*in mit der des NBG-Mitglieds kollidierte und zur Folge hatte, dass Wortbeiträge nicht bloß aufgenommen, sondern selbst umgehend eingeordnet und bewertend kommentiert wurden.

Alle zurück im Plenum: Fishbowl

Die letzten knapp zwei Stunden waren der gemeinsamen Arbeit im Plenum gewidmet. Gewählt wurde dazu die Fishbowl Methode, bei dem die Mitglieder*innen des NBGs die Ergebnisse der Runden Tische vorstellten. Interessierte konnten anschließend Redebeiträge einbringen, indem sie sich in den innersten Stuhlkreis setzten. Das Verfahren ist zwar für Großgruppen konzipiert, birgt jedoch das Problem, dass eher zurückhaltende und schüchterne Menschen von einer Meinungsäußerung abgehalten werden, während redefreudige Partizipanten häufig zu Wort kommen.

Erfreulicherweise kam es zu diversen inhaltlichen Einwürfen, auch weil sich Vertreter*innen der atomkritischen Bewegung rund um die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg intensiv beteiligten. Sie verwiesen unter anderem darauf, dass Kritik in der gegenwärtigen Form nur innerhalb des Verfahrens möglich sei, jedoch nicht gegen das Verfahren an sich oder seine Entstehung. Das Mitglied des NBGs Miranda Schreurs erklärte in diesem Zusammenhang allerdings die begrenzten Möglichkeiten des NBGs. Zwar nehme Sie gerne den Arbeitsauftrag einer notwendigen, umfassenden Aufarbeitung der Vergangenheit mit, jedoch sei auch klar definiert, dass ein Rücksprung hinter das StandAG nicht mehr möglich sei. Bemerkenswert war der methodische Einwand eines Mediators, dass Transparenz ein wichtiges Kriterium ist, jedoch nicht in jeder Phase eines Verfahrens zielführend sei. Das NBG müsse sich daher bewusst werden, wann und zu welchen Themen nicht offene Arbeitsphasen dem Verfahren zuträglich seien, deren Ergebnisse natürlich am Ende kommuniziert werden müssten und so dem eigenen Transparenzanspruch Genüge getan ist. Hier schwebt ihm offensichtlich die Anwendung einer in anderen politischen Kontexten üblichen Chatham House Rule vor.

Fazit

Es mag wie eine flapsige Floskel klingen, aber es bleibt viel zu tun. Das hat der Tag gezeigt. Zweifelsohne nahm man den Mitglieder*innen des NBG ab, dass sie Ihre Rolle ernsthaft ausfüllen wollen. Doch gleichzeitig wurde auch deutlich, dass sie aktuell zunächst ihre Rolle und die damit verbundenen Ziele und Aufgaben klären müssen. Darüber hinaus wird dieser Prozess wesentlich vom Ausgang der Arbeit der Fraktionen am Gesetzesentwurf auf Basis der Formulierungshilfe abhängen. Von der notwendigen Orientierung betroffen, sind gleichermaßen Fragen des Verfahrensdesigns wie die notwendige Vergangenheitsbewältigung und Fehleranalyse sowie neue Maßnahmen zur Vertrauensbildung.

Immer noch gibt es eine große Anzahl an Menschen, die Zweifel an der Gemeinwohlorientierung des Endlagersuchverfahrens haben und an der Fähigkeit des NBGs, zukünftig eben diese zu gewährleisten. Die durchgeführte Veranstaltung hat vor allem gezeigt, dass das NBG noch weit davon entfernt ist, seine Rolle gefunden zu haben und sich aktuell eher als Mitträger des Verfahrens, denn als gesellschaftliches Wächtergremium sieht. Ob die Rolle eines dritten Trägers neben dem Bundesamt für Entsorgung (BFE) und der bundeseigenen Trägergesellschaft BGE sinnvoll ist, und wer stattdessen die zivilgesellschaftlichen Interessen im Verfahren vertreten soll, wird sich zeigen. Auch, ob durch diese Mehrfachstruktur die benötigte Qualität in der konfliktgetriebenen Bürgerbeteiligung, sichergestellt werden kann, bleibt spannend. Ob und wann die Qualitätssicherungsinstanz „Partizipationsbeauftragter“ ihre Arbeit aufnimmt – auch das ist offen.

So stehen am Ende der eintägigen Veranstaltung eher mehr Fragen als zuvor im Raum. Erfolgreich war sie, weil sie diesen Fragen eine Stimme gegeben hat. Es bleibt spannend, welche Schlüsse die Beteiliger*innen im NBG aus dieser Veranstaltung selbst ziehen. Wir werden darüber berichten …

Nachtrag: An dieser Stelle finden Sie ein Interview mit dem Mitglied des Nationalen Begleitgremiums Armin Grunwald.

 

Literaturhinweise

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