Patrizia Nanz: „Akzeptanz kann nur durch Ehrlichkeit erlangt werden“

Foto: Stephan Röhl via flickriver Lizenz: CC BY SA 2.0
Atommüll ist ein extrem zugespitzer Ausdruck — oder besser — ein Brennglas, durch das wir den Umgang mit Externalitäten unseres derzeitigen Lebensstils  betrachten können. Die Beteiligung von Stakeholdern und einer breiten Bürgerschaft an der Kommissionsarbeit und später am ‘Endlagersuchprozess’ ermöglicht eine Reflexion darüber, was wir als Gesellschaft aus diesem Fall lernen können – auch für ähnliche Themen wie irreversible Umweltzerstörung. In der Hoffnung, daraus rechtzeitig Konsequenzen zu ziehen.“

Mit diesen Worten schloss Frau Professor Patrizia Nanz ihren Vortrag in der AG-Sitzung vom 22. Januar.

Seit 2013 ist sie Leiterin des Forschungsschwerpunktes PartizipationsKultur am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) und Gründerin des European Institute for Public Participation (EIPP). Sie ist Autorin des Handbuchs Bürgerbeteiligung in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung. In ihrer Forschungsarbeit und zahlreichen Publikationen analysiert sie demokratische Innovationen auf nationaler und transnationaler Ebene und zeigt einen Weg auf für politische Entscheidungsprozesse, die routinemäßig mit Bürgerbeteilung verknüpft werden (z.B. Zukunftsräte).

In ihrem Vortrag sprach sie erfreulicherweise wesentliche Punkte an, die von mir bereits zuvor immer wieder – bislang erfolglos – eingebracht wurden. Darunter u.a.: Akzeptanz kann nur durch Ehrlichkeit erlangt werden, die Legitimation durch das Verfahren. Doch was ist nötig, um ein solches Verfahren erfolgreich voranzubringen?

Frau Nanz betonte einige zentrale Faktoren:

Ein Beteiligungsprozess ohne Reflektion über Verantwortung ist zum Scheitern verurteilt. Woher stammen die Abfälle? Wer hat davon profitiert? Diese Fragen müssen gestellt und Fehler eingestanden werden. Somit ist die Verantwortungsfrage ein zentrales Thema. Einzelinteressen treten hinter dem Gemeinwohl zurück.  Ein aussöhnender Prozess bedeutet in der Kommissionsarbeit das Zulassen von Dissens, das Eingestehen von Fehlern und eine selbstkritische Haltung aller Beteiligten. Das werden die Vertreter der Atomkonzerne wohl erst noch lernen müssen.

Wir als Kommission sollten in der Lage sein, strittige Fragen im offenen Dissens zu bewältigen, Konflikten weder aus dem Weg gehen, noch sie unnötig zu provozieren. Erst das ermöglicht einen Startschuss für ein neues Miteinander. Danach ist ein gemeinsamer Blick in die Zukunft möglich.

Die Kommission muss daher eine konstruktive Haltung einnehmen. Bisher war dies leider nicht der Fall. Für Frau Nanz und die beiden anderen Experten liegt die Lösung auf der Hand: Wir brauchen externe Hilfe, wie neutrale Moderatoren, die eine konsequente Umsetzung eines Verfahrenplans voranbringen. Dies ist keine Bankrotterklärung, sondern vielmehr ein deutliches Zeichen, dass die Debatte innerhalb der Kommission nicht frei von Konflikten und Interessen ist  – alles andere wäre auch verwunderlich.

Das Thema der Jugendbeteiligung ist wichtig, spielt bislang trotz zahlreicher Interventionen meinerseits kaum eine Rolle. Im politischen System sind die zukünftigen Generationen nicht vertreten. Hierfür ließen sich entsprechende Szenarien entwickeln. Dazu ein sicher eher symbolischer, aber dennoch wirkungsvoller Vorschlag von Frau Prof. Nanz: Leere Stühle mit in den Saal zu stellen, um an die Anliegen zukünftiger Generationen zu erinnern.

Frau Prof. Nanz schilderte zudem ihre eigenen Erfahrungen mit Jugendbeteiligung. Die Endlagerfrage ist nach ihrer Beobachtung ein sehr gefragtes Thema auf politischen Veranstaltungen für Jugendliche.

Beteiligung kann laut Prof. Nanz parallel über Online-Formate und direkte Kontakte gelingen. Seit den neunziger Jahren sind zahlreiche kleine und große Formate entstanden. Sie betonte aber auch: Das bloße Abwickeln von Formaten, seien sie von kleinem oder großen Maßstab, ist kein Garant für gute Beteiligung.

Während des Verfahrens ist den Bürgern die Möglichkeit des Mitdiskutierens und Mitentscheidens einzuräumen und nicht (wie bisher) reine, obendrein unvollständige Informationspolitik zu praktizieren. Für die Mitgestaltung und Mitwirkung gibt es Grenzen, die es festzulegen, aber offen zu kommunizieren gilt. Wenn kommuniziert wird, solle dies auf Augenhöhe geschehen. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Ergebnisse jederzeit transparent abrufbar zu dokumentieren.

Frau Prof. Nanz brachte – ebenso wie die beiden anderen bei dieser Sitzung gehörten Experten – sehr viele wichtige Impulse in die Diskussion ein. Um so bedauerlicher war es, dass die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsbeteiligung der Kommission im Anschluss an die Vorträge nicht die Zeit fand, diese Impulse zu diskutieren.

Stattdessen beklagten sich einige Kommissionsmitglieder wie z.B. der RWE-Manager Jäger und der Ex-Vattenfall Manager Thomauske darüber, dass ich Ergänzungsvorschläge zu genau diesen Themen in das aktuell in der Diskussion befindliche Konzept zur Bürgerbeteiligung der Kommission eingebracht hatte. Schade, dass auch hierüber keine Debatte möglich war. So fand auch bei dieser Sitzung der überfällige inhaltliche Diskurs wieder einmal nicht wirklich statt. Immer noch herrscht in der Kommission die Praxis, sich um inhaltliche Konflikte möglichst herumzudrücken, kein gutes Beispiel für den angeblich gewünschten gesellschaftlichen Dialog.

Frau Dr. Nanz betont, dass zu einem guten Beteiligungsprozess verschiedene Ebenen gehören, deren Wirksamkeit auf den Prozess im Vorhinein deutlich festgeschrieben werden muss. Sie schlägt 3 Module vor: Zwei kleinformatige, moderierte Verfahren im direkten Kontakt. Zum einen mit zufällig ausgewählten Bürgern (wobei die Jugend aufgrund ihrer besonderen Betroffenheit hier überrepräsentiert sein sollte) und zum anderen mit Stakeholdern, also Aktivisten und Betroffenen. Ein drittes Modul wäre dann eine offene Online-Beteiligung, breit angelegt für alle Bürger offen.

Leider ist auch der Vortrag von Frau Prof. Nanz noch nicht über die Kommissionsseite veröffentlicht. Sobald er vorliegt, werde ich darüber informieren.

© Prof. Dr. Nanz/ European Institute for Public Participation EIPP

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