Partizipation inklusiv

Wie die Beteiligung von Menschen mit Behinderung gelingen kann

Aufgrund mangelnder Infrastrukturen haben viele Menschen mit Behinderung nicht die Möglichkeit, sich in partizipative Prozesse einzubringen. Das Projekt Partii – Partizipation inklusiv versucht dies durch die Entwicklung einer barrierefreien Partizipationsplattform zu verändern.

Partizipative Prozesse sollen den Austausch zwischen Personengruppen und die Berücksichtigung breiter Interessensspektren ermöglichen. Während viele Personen hier prinzipiell zwischen verschiedenen Formaten der Einbringung wählen können, sind für Menschen mit Behinderung die meisten Wege nicht zugänglich. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine Partizipationsinitiative ins Leben gerufen, welche den Dialog zwischen Bürger*innen und Wissenschaft stärken möchte. Im Rahmen dieser untersucht das Projekt Partii – Partizipation inklusiv, welche Barrieren hierbei für Personen mit verschiedenen Behinderungen vorliegen und wie es gelingen kann, die partizipativen Räume von diesen zu befreien.

Unsichtbarkeit betroffener Gruppen 

Die Sensibilisierung für die Notwendigkeit, barrierefreie Konzepte zur Beteiligung zu erarbeiten, ist ein zentrales Anliegen von Partii. Aufgrund der erschwerten oder sogar gänzlich hemmenden Bedingungen fühlen sich Menschen mit Behinderung nicht von Partizipationsangeboten angesprochen – eine Personengruppe, die laut Partii zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht, wird somit zu großen Teilen von Kommunikationsprozessen ausgeschlossen und findet nur schwer Ansatzpunkte, um eigene Bedürfnisse und Interessen einzubringen. 

Genau die Perspektive der Betroffenen sollte aber in der barrierefreien Ausgestaltung von Partizipationsprozessen im Fokus stehen. Andere Personen können sich zwar an Richtlinien für behindertengerechte Angebote und Gestaltung orientieren, das Nutzungserlebnis von Betroffenen kann jedoch abweichend und nuancierter ausfallen. 

Digitale Barrierefreiheit 

In dem Bestreben, eine barrierefreie Partizipationsplattform entstehen zu lassen, richtet Partii den Fokus insbesondere auf den digitalen Raum. Zeitlich und örtlich ungebundene Formate schaffen hinsichtlich praktischer Umsetzung bezüglich Infrastruktur niedrigschwelligere und flexiblere Bedingungen. Dies betrifft etwa Anfahrtswege, Raumgestaltung sowie Personal wie Gebärdendolmetschende.

Hinzu kommt, dass trotz vielerlei Barrieren unter Menschen mit Behinderung dennoch großes Interesse an der Nutzung digitaler Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten besteht und soziale Medien bereits ein wichtiges Instrument zum Austausch von Erfahrungen und Generierung öffentlicher Aufmerksamkeit und Sensibilität darstellen. Die Einrichtung einer Internetanwendung zur Eintreibung von Bürgerfragen an die Wissenschaft bietet somit einen guten Anknüpfungspunkt und die Möglichkeit, verschiedene Behinderungsformen innerhalb einer Plattform zu berücksichtigen.

Individuelle Bedürfnisse 

Im Detail berücksichtigt Partii für die Umsetzung des Projektes Menschen, die von Sehbehinderung oder Blindheit betroffen sind, Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen sowie taube Gebärdensprachnutzende. 

Diese Gruppen haben unterschiedliche Anforderungen an die Funktionen einer digitalen Anwendung, welche durch die konventionelle Gestaltung oft nicht per se gegeben sind. So können blinde und sehbehinderte Menschen zwar Screenreader nutzen, Internetseiten müssen mit diesen jedoch kompatibel sein und visuelle Darstellungen, etwa Bilder und Grafiken, sollten mit einem erläuternden Text hinterlegt werden. Bei der Gehörlosigkeit kann oft entweder eine hörgerichtete oder eine gebärdenorientierte Sozialisation erfolgen – bei zweiterer ist ein Schriftsprachverständnis nur schwer zu erlernen, weshalb die Einbettung von Gebärdensprachvideos eine immense Erleichterung für Betroffene darstellt. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen leiden oftmals schnell unter Reizüberflutung und präferieren durch eine andere Interpretation von Verhalten und Emotionen Wege der schriftlichen Kommunikation. Für sie sollte daher die Möglichkeit von schriftlicher Beteiligung sowie ein reizarmes, funktionales Anwendungsdesign bereitgestellt werden. 

Ausgehend von diesen Überlegungen hat Partii eine Internetseite (LINK) geschaffen, welche möglichst allen Menschen – unabhängig davon, ob sie von den oben genannten Behinderungsformen betroffen sind oder nicht – Zugang zu partizipativen Handlungen und Räumen gewähren soll. Als Testpersonen wurden insbesondere Menschen mit einer der drei Behinderungen ausgesucht, welche eine grundlegende digitale Affinität sowie Interesse am Einsatz für digitale Barrierefreiheit mitbrachten. Angenommen wurde, dass von jenen die authentischste und für Weiterentwicklungen fruchtbarste Beurteilung erfolgen kann.

Die Beurteilung des Nutzungserlebnisses fiel Partii zufolge größtenteils positiv aus. Insbesondere Gebärdensprachnutzende lobten die Zugänglichkeit zu Informationen und die Möglichkeit zur Frageneinreichung eigene Videos hochzuladen. Auch sehbehinderten Menschen und Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen erlaubte die Seite grundsätzlich eine angenehme Bedienung – einige Unklarheiten und kleinere Mängel bei der Nutzung von Screenreadern stellte das Hauptaugenmerk der Kritik dar.

„Barrierefreiheit sieht man nicht – ihr Fehlen leider auch nicht”

 So formuliert Partii treffend die Herausforderung. Die Anwendung von barrierefreien Partizipationsplattformen, wie sie von Partii erfolgreich erprobt wurde, sollte eigentlich keine experimentelle Ausnahme, sondern der Standard oder zumindest ein im Vorfeld klar kommuniziertes Angebot im Falle der Teilnahme von Menschen mit Behinderung sein. So könnte bewirkt werden, dass weitere zehn Prozent der Gesellschaft sich überhaupt erst von Partizipationsmöglichkeiten angesprochen fühlen und ihre Perspektive in weiteren Bereichen wahrnehmbar machen können. Ein Großteil der Bevölkerung kann sich weder bei der Beurteilung von barrierefreien Gestaltungsversuchen noch bei der Wahrnehmung des Fehlens dieser, in die Lage der Betroffenen versetzen. Die Bedürfnisse und die Formen der Gestaltung, mit denen Menschen mit Behinderung sich wohlfühlen, sollte daher hohe Priorität haben. 

Die exemplarische Partizipationsplattform sowie einen ausführlicher Bericht über das Projekt können Sie hier erkunden. 

Literatur

Dr. Irmhild Rogalla, u.a. „Partii-Partizipation inklusiv“, Nordstrand 2021, ISBN 978-3-942108-20-1
https://www.ruw-verlag.de/editionen/concordare/partii-partizipation-inklusiv.html?back=1

 

Literaturhinweise

Michael A. Neble; Kevin M. Esterling; David M. J. Lazer

Politics with the People – Building a Directly Representative Democracy Buch

Cambridge University Press, 2018, ISBN: 9781316338179.

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