Partizipation für Alle

Beteiligung zur UN-Behindertenrechtskonvention

In Baden-Württemberg wird aktuell Landesaktionsplan (LAP) zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der UN unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen fortgeschrieben. Ein Interview zum Prozess mit Hannes Schuster und Wolfgang Klenk.

Herr Schuster, als Experte für Bürgerbeteiligung und Bürgerschaftliches Engagement beschäftigen sich mit Fragen der Bürgerbeteiligung. Eines ihrer aktuellen Projekte ist der Beteiligungsprozess zur Fortschreibung des Landesaktionsplans zur UN-Behindertenrechtskonvention. Zuallererst die Frage: Was ist der Schwerpunkt bei diesem Projekt und welches Ziel verfolgen sie mit dem angestrebten Beteiligungsprozess?

Bereits im Jahr 2015 hat die Landesregierung für Baden-Württemberg einen ersten Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Land beschlossen. Da die Konvention für alle Ebenen in Deutschland bindend ist, war auch Baden-Württemberg dazu aufgefordert. Der Aktionsplan stellt eine Selbstverpflichtung der Landesregierung dar. Das heißt, dass in diesen Plan auch alle Landesministerien aktiv eingebunden sind. Der aktuelle Landeaktionsplan wurde begleitend evaluiert und soll nun auf Basis dieser Evaluationsergebnisse fortgeschrieben werden. Eines der Kern-Ergebnisse aus der Evaluation war die Erkenntnis, bei einer künftigen Fortschreibung des Aktionsplans Betroffene verstärkt in den Prozess einzubinden. Hierbei wirkt seit Juni 2022 die Allianz für Beteiligung mit und gestaltet im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration einen mehrstufigen Beteiligungsprozess. Zielstellung ist die Sammlung von Anforderungen an den neuen Landesaktionsplan – gerade auch aus Sicht der Betroffenen selbst.

Wer wird an diesem Beteiligungsprozess beteiligt? Inwiefern werden Betroffene stärker beteiligt?

Die Teilnehmenden des Prozesses wurden in sehr guter Zusammenarbeit mit Simone Fischer, der Beauftragten des Landes Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen, ausgewählt und in der Folge direkt angefragt. Bei der Auswahl der Teilnehmenden wurde darauf geachtet, dass möglichst alle Formen von Behinderungen repräsentiert sind und dass Männer und Frauen in etwa gleicher Anzahl vertreten sind.

Die konstante Einbindung der Menschen mit Behinderungen in alle der insgesamt fünf Prozessschritte zeichnet diesen Prozess sicherlich aus. Dies reicht von der Themenfindung im ersten Schritt bis zur Finalisierung der Ergebnisse, die noch in diesem Jahr im Landes-Beirat für die Belange von Menschen mit Behinderungen beschlossen werden sollen.

Wie gestaltet sich der Prozess der Beteiligung genau und was macht den von Ihnen gewählten Beteiligungsprozess aus? Welche Partizipationskonzepte nutzen Sie?

In insgesamt fünf Prozessschritten wollen wir zu den angesprochenen Anforderungen an den neuen Aktionsplan gelangen. Neben den Arbeitsgruppensitzungen in Präsenz, die das Herzstück des Prozesses sind, haben wir auch einen Online-Prozess auf dem Beteiligungsportal des Landes entworfen. Zu unserer großen Freude wurde das Thema auch dort stark diskutiert, was sogar zum bisherigen Rekord an Kommentaren auf dem Portal in der aktuellen Legislaturperiode geführt hat. Bei der Gestaltung der Arbeitsgruppenphasen haben wir auf dem Konzept der Fokusgruppen aufgebaut. Die Fokusgruppe ist eine Methode aus der Sozialforschung, die verwendet wird, um möglichst viele verschiedene Meinungen zu einem Thema zu erfahren. Diese Weisheit der Vielen wollen wir auch in unserem Prozess bewusst nutzen. Die Gruppen haben wir mit stets rund 10 bis 15 Teilnehmenden bewusst klein gehalten, um ausreichend Raum für die Formulierung der Anliegen zu lassen.

Welche Schwierigkeiten und Herausforderung bestanden im Prozess? Worauf müssen z. B. Moderator*innen achten, wenn sie einen Beteiligungsprozess dieser Form moderieren?

Der Erfahrung nach fühlen sich Menschen im direkten Austausch mit Vertreter*innen der Verwaltung oft benachteiligt und haben das Gefühl, dass ihre Sicht der Dinge nicht ernst genommen wird und sie ihre Fragen nicht stellen können. Deshalb haben wir in der ersten Prozessphase bewusst erst einmal keine Vertreter*innen der Landesverwaltung in die Gruppen geladen. So wurde es möglich, dass Fragen und Forderungen in geschütztem Raum formuliert werden konnten. Das schaffte zusätzliches Vertrauen in den Gesamtprozess. Auch Hilfsmittel, wie zum Beispiel ein konstant bespieltes Protokollportal, gehört zu unserem Instrumentarium. Damit wird in einem Prozess, der sich insgesamt über mehr als ein Jahr erstreckt, sichergestellt, dass für alle am Prozess Beteiligten stets ein hohes Maß an Transparenz gewährleistet ist. Das Moderationsteam hat darüber hinaus auch eine wichtige Gastgeberfunktion. Die Workshop-Situationen müssen so gestaltet werden, dass sich die Teilnehmer*innen von Beginn an wohl fühlen und sich uneingeschränkt am Gespräch beteiligen können. Das klingt erst einmal trivial ist aber für den Erfolg des Prozesses unserer Ansicht nach enorm wichtig. Dazu müssen natürlich die notwendigen technischen Hilfsmittel organisiert oder die Barrierefreiheit des verwendeten Materials sichergestellt werden, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wie lässt sich der bisherige Beteiligungsprozess abschließend bewerten?

Mit der starken Online-Beteiligung auf dem Beteiligungsportal sowie zwei wirklich intensiven Arbeitsgruppenphasen können wir nun gestärkt in die abschließenden Arbeitsgruppensitzungen im Mai und Juni starten. Zu Beginn des Prozesses haben wir doch ein gewisses Maß an Misstrauen gegenüber dem Verfahren festgestellt. Die beschriebene Gastgeberhaltung, die Transparenz über alle Einzelschritte hinweg sowie die kleinen Gruppen, die Vertrauen und Sicherheit geschafft haben, konnten das unserer Ansicht nach aber drehen. Vor allem die kleinen Gruppen, die ein fokussiertes Arbeiten ermöglicht haben, haben Vertrauen in ein positives Gesamtergebnis geschaffen – oder anders ausgedrückt: die Erwartung, dass das eigene Engagement zu einem positiven Ergebnis beitragen wird, wurde gestärkt. Darauf möchten wir gerne aufbauen und gemeinsam mit den Teilnehmenden den neuen Landesaktionsplan für seine Zielgruppen noch passgenauer zu machen.

Zu den Personen: 

 

Hannes Schuster ist Projektleiter des Förderprogramms „Nachbarschaftsgespräche“ und zuständig für das Querschnittsthema der Breiten Beteiligung bei der Allianz für Beteiligung. Im Rahmen dieser Tätigkeit widmet er sich auch dem Beteiligungsprozess zur Fortschreibung des Landesaktionsplans. Die Themen Bürgerbeteiligung und Bürgerschaftliches Engagement beschäftigen ihn auch bereits bei vorangegangenen Tätigkeiten für den Deutschen Caritasverband und die Stadt Lörrach.

 

Wolfgang Klenk ist Pädagoge mit den Studienschwerpunkten Sozialarbeit und Erwachsenenbildung. Seit seinem altersbedingten Ausscheiden aus der Geschäftsleitung der Breuninger Stiftung weiterhin freiberufliche Tätigkeit als Moderator und Berater. Wolfgang Klenk ist seit 2012 ehrenamtlicher Vorsitzender der Allianz für Beteiligung e.V. (www.allianz-fuer-beteiligung.de).

Literaturhinweise

Sebastian Schiek

Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik Forschungsbericht

SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Berlin, 2019, ISBN: 1611-6372.

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Michael A. Neble; Kevin M. Esterling; David M. J. Lazer

Politics with the People – Building a Directly Representative Democracy Buch

Cambridge University Press, 2018, ISBN: 9781316338179.

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Bettina Bock

Barrierefreie Kommunikation als Voraussetzung und Mittel für die Partizipation benachteiligter Gruppen - Ein (polito-)linguistischer Blick auf Probleme und Potenziale von 'Leichter' und 'einfacher Sprache'. Artikel

In: Linguistik Online: Sprache und Demokratie, Bd. 73, Nr. 4, 2015.

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