Mühsame Energiewende

Ein Interview mit der Zweitplatzierten des diesjährigen Medienpreises Uschi Götz

Uschi Götz spricht über Bürgerbeteiligung beim Windenergieausbau und die Rolle des Journalismus in einer partizipativen Gesellschaft.

Sie haben ein Jahr die Aufstellung von zwei Windrädern im baden-württembergischen Eberstadt begleitet. Wieso haben Sie sich gerade für dieses Thema entschieden?

Das Thema Windkraft ist ein gutes Beispiel dafür, um gesellschaftliche Konflikte aufzuzeigen. Die Windkraft hat viel mit unserer Meinungsbildungskultur zu tun. Es betrifft fast jede und jeden, so wollen alle mitreden. Als Journalistin lebe und arbeite ich in Baden-Württemberg. Jahrzehntelang war die Windkraft kein Thema im Südwesten; der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) sprach in seiner Amtszeit noch von einer „Verspargelung“ der Landschaft. Seit 2011 ist mit Winfried Kretschmann erstmals ein grüner Politiker Ministerpräsident. Und mit den Grünen kam auch das Thema Windenergie in das Land. Zunächst erfolgte der Ausbau der Windenergie recht zügig. Doch der Widerstand gegen den Ausbau nahm zu, auch in den Reihen der Grünen. Infraschall, Natur- und Artenschutz sind dabei nur einige wenige Stichpunkte. Für mich ist das Thema Windkraft vor allem ein gutes Thema, um das Dilemma einer Öko-Partei beim Ausbau von regenerativen Energien aufzuzeigen.

Der Ausbau der Windenergie in Deutschland ist verbunden mit viel Protest bis hin zu Spaltungen in betroffenen Kommunen. Welche Veränderungen bei allen Beteiligten haben Sie während des Beteiligungsprozesses wahrgenommen?

Die Veränderungen sollten eben lange vor einer möglichen Spaltung beginnen. Das hat Stephan Franczak, Bürgermeister von Eberstadt, früh erkannt. Er hat sich für ein „Coaching-Verfahren“ entschieden, Forum Energiedialog genannt. Dabei handelt es sich um ein für Kommunen kostenloses Angebot des Landes Baden-Württemberg. Kommunen können sich bei strittigen Energiethemen, wie dem Bau von Windkraftanlagen, eine kostenlose Begleitung von Fachleuten holen. Das Forum Energiedialog ist ein Angebot des Landes Baden-Württemberg. Den Dialogprozess steuern dann Kommunikationsexperten, deren Ziel es ist, vorhandene oder mögliche Konflikte im Dialog zu lösen. Ich habe zum ersten Mal ein solches Verfahren begleitet. Nach meinem Gefühl setzte der Dialogprozess in Eberstadt früh an, so habe ich aus journalistischer Sicht keine Spaltung der Beteiligten erlebt. Bei den Veranstaltungen wurde eindrücklich lebhaft diskutiert, allerdings habe ich mehrfach erlebt, wie Menschen mit gegensätzlicher Meinung nach Diskussionen anschließend auch wieder zusammengestanden haben.

Welche Empfehlungen würden Sie – vor dem Hintergrund Ihrer gesammelten Erfahrungen – Initiatoren von Beteiligungsprozessen auf den Weg geben?

Nehmen Sie die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. Treten Sie ihnen als Zuhörende gegenüber. Ist das Konfliktpotential bereits erkennbar, scheuen Sie sich nicht, schon in einer frühen Phase Mediator*innen hinzuzuziehen. Das ist gut angelegtes Geld. Behalten Sie dabei im Auge, dass diese Mediator*innen nicht einseitig in ihre Richtung begleiten sollen und dürfen. Es geht darum, einen nach allen Seiten offenen Dialog zu unterstützen. Menschen merken sehr schnell, wenn sie manipuliert werden. Bei einem Dialogprozess müssen es alle aushalten, dass sich die Meinung mit den besseren Argumenten durchsetzt.

Welche Rolle sollte Journalismus aus Ihrer Sicht in einer beteiligungsorientierten Gesellschaft spielen?

Kommunikation ist sehr wichtig, dazu gehört natürlich auch der Journalismus. Bei einem Beteiligungsprozess – welcher Art auch immer – nehmen ja nicht wirklich alle potentiell Betroffenen teil. Und doch ist es wichtig, auch alle nicht aktiv Beteiligten einzubeziehen. Außer den klassischen Medien sollten auch Amtsblätter (ältere Menschen) und Social Media (jüngere Zielgruppen) bedient werden.

Natürlich sollten Journalist*innen viel häufiger über Dialogprozesse in der Gesellschaft berichten können. Da lassen sich bisweilen echte Wunder erleben, versöhnliche Wunder. Ich bin überzeugt davon, dass viele Konflikte verhindert werden können, wenn wir uns die Zeit zum Dialog nehmen. Hierzu gehört auch eine reflektierte Berichterstattung. Wer als Journalist*in über einen Beteiligungsprozess berichtet, dem rate ich dazu, ein strittiges Thema gerade auf kommunaler Ebene nicht zu früh zu kommentieren. Eine frühe Positionierung für die eine oder andere Seite macht die neutrale Berichterstattung im weiteren Verlauf unmöglich.

Was braucht eine lebendige Demokratie aus Ihrer Sicht am dringendsten?

Raum und Zeit. Wir brauchen gute und attraktive Formate, die generationsübergreifend für Gemeinschaften tauglich sind. Sinnbildlich brauchen wir die Wiederbelebung des Dorfplatzes. Wir müssen uns sehen und spüren. Wir müssen laut werden dürfen, um uns anschließend auch wieder versöhnen zu können. Streiten und versöhnen, das hat eine lange Kultur. Diese droht auch und nicht zuletzt durch die sozialen Medien verloren zu gehen. Auch in einer Bürgerversammlung kann und darf geschrien werden. Und doch sind Menschen meist in der Lage, sich nach unachtsamen Äußerungen zu entschuldigen. Dies gilt vor allem für Prozesse, die von Expert*innen begleitet werden. Auch sollten wir uns Zeit nehmen, um miteinander zu diskutieren. Mein Beispiel aus Eberstadt bei Heilbronn zeigt, dass in der Gemeinde über den Zeitraum eines Jahres diskutiert wurde.

Zur Person

Frau Götz leitet seit 1. August 2020 die Kommunikationsabteilung von Südwestmetall, dem Arbeitgeberverband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie. Sie hat 15 Jahre vor allem für die verschiedenen Programme des Deutschlandradios gearbeitet, davon zehn Jahre als baden-württembergische Landeskorrespondentin mit den Schwerpunkten Politik und Wirtschaft. 

 

 

Der Beitrag „Mühsame Energiewende – Der Bürger und das Windrad“ von Uschi Götz ist hier zu finden.

Literaturhinweise

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Christian Huesmann, Anna Renkamp, Wolfgang Petzold

Europa ganz nah: Lokale, regionale und transnationale Bürgerdialoge zur Zukunft der Europäischen Union Forschungsbericht

Bertelsmann Stiftung Gütersloh, 2022.

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Christopher M. Brinkmann

Crossmediales Wissensmanagement auf kommunaler Ebene: Bürgerbeteiligung, Netzwerke, Kommunikation Buch

2021, ISBN: 978-3-658-35879-2.

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Nicole Najemnik

Frauen im Feld kommunaler Politik. Eine qualitative Studie zu Beteiligungsbarrieren bei Online-Bürgerbeteiligung Buch

2021, ISBN: 978-3-658-34040-7.

Abstract | Links | BibTeX

Irmhild Rogalla, Tilla Reichert, Detlef Witt

Partii - Partizipation inklusiv Forschungsbericht

2021, ISBN: 978-3-942108-20-1.

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Daria Ankudinova, Dr. Delal Atmaca, Katharina Sawatzki, Nadiye Ünsal, Alexandra Vogel, Tijana Vukmirovic

Politische Teilhabe von Migrantinnen*selbstorganisationen mit Fokus auf ihre Lobby- und Gremienarbeit Forschungsbericht

DaMigra e.V. – Dachverband der Migrantinnenorganisationen 2020, ISBN: 978-3-9819672-2-7.

Abstract | Links | BibTeX

Peter Patze-Diordiychuk; Paul Renner (Hrsg.)

Methodenhandbuch Bürgerbeteiligung - Moderationsphasen produktiv gestalten Buch

oekom verlag, München, 2019, ISBN: 978-3960061724.

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien Forschungsbericht

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Sebastian Schiek

Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik Forschungsbericht

SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Berlin, 2019, ISBN: 1611-6372.

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Allianz Vielfältige Demokratie/Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Bürgerbeteiligung, Volksabstimmungen, Parlamentsentscheidungen: Empfehlungen und Praxisbeispiele für ein gutes Zusammenspiel in der Vielfältigen Demokratie Online

2018.

Links | BibTeX

Hans J. Lietzmann; Saskia Dankwart-Kammoun; Anna Nora Freier

Das partizipative Reallabor - Gestalten Bürger ihre Energiewende? Buchabschnitt

In: Jörg Sommer (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017, ISBN: 978-3942466-15-8.

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