Kunst im Bürgerauftrag

Wie partizipative Kunst neue Perspektiven schaffen kann

Wie Kunst als Beteiligungsformat funktionieren kann, zeigt die Initiative Neue Auftraggeber.

Die Neuen Auftraggeber von Greifswald, Besuch der Auftraggeber*innen bei Künstler Daniel Knorr (hinten rechts), Foto: Victoria Tomaschko

Die Initiative Neue Auftraggeber möchte das Potenzial gemeinschaftlich gestalteter Kunstprojekte nutzen, um in konfliktreichen Gegenden neue Perspektiven auf die örtlichen Probleme zu eröffnen. Beauftragt wird die Kunst dabei nicht von der städtischen Seite, sondern von den Bürger*innen in Austausch mit Mediator*innen.

„Kunst“ muss nicht steril, unnahbar und nur für kleine Teile der Gesellschaft zugänglich sein. Sie kann auch neue Perspektiven aufzeigen, wo scheinbar schon jede Lösung erschöpft ist, und zur solidarischen Bearbeitung althergebrachter Probleme einladen. Die europaweit agierende Initiative Neue Auftraggeber ermöglicht seit 2017 auch in Deutschland ein Erleben der Kunst auf diese Weise. Dafür wendet sie sich gezielt an Orte, wo der soziale Zusammenhalt schwindet, oder Abwanderung leerstehende Schulen und Gemeindezentren zurücklässt. 

Dort sind dann nicht die Kunstexpert*innen und Fachleute gefragt, sondern Automechaniker*innen, Sparkassenangestellte, Vereinsmitglieder oder Lehrende. Diese Menschen werden die Neuen Auftraggeber der Kunstprojekte. Zusammen mit einem Team von Mediator*innen reflektieren und benennen sie ihre Sorgen und Hoffnungen bezüglich der Stadt, in der sie ihren Alltag bestreiten. Sobald herausgearbeitet ist, wo es brennt, wird in den Gesprächen daran gefeilt, aus den Missständen Kriterien für das Kunstprojekt abzuleiten. Beide Seiten wissen dabei, dass Kunst keine Probleme lösen kann. Aber die Neuen Auftraggeber erhoffen sich Respekt für ihr Anliegen, möchten andere Menschen für ihr Projekt begeistern, oder ein unübersehbares Zeichen in der Stadt setzen, das täglich daran erinnert, dass sie noch nicht aufgegeben haben. Ist der Rahmen für das Kunstwerk gesetzt, suchen die Mediator*innen nach Künstler*innen, die vom biografischen Hintergrund sowie stilistisch zum Projekt passen. Selbst danach sind sie noch weiter in das Projekt involviert und begleiten nicht nur die Künstler*innen bis zur finalen Umsetzung, sondern verhandeln auch mit der Verwaltung, erstellen Kostenpläne oder führen Gespräche mit Politiker*innen. Wichtig ist jedoch, dass die Mediator*innen dabei nie die Anliegen der Neuen Auftraggeber aus den Augen verlieren. 

Bis ein Kunstwerk fertiggestellt ist, vergehen oft mehrere Jahre. Die Ergebnisse lassen sich jedoch sehen. In Greifswald soll beispielsweise bald ein 5,5 Tonnen schwerer goldener Ring auf dem Dach des Pavillongebäudes der Fischerschule entstehen. Die Lehrenden möchten nach außen tragen, dass sie schon lange in keiner Brennpunktschule mehr unterrichten, sondern höchst engagiert jede*r Schüler*in die Hilfe zukommen lassen, die er oder sie benötigt. Auch Menschen aus anderen Bezirken sollen durch den Ring dazu eingeladen werden, endlich wieder einen Fuß in das Quartier mit schlechtem Ruf zu setzen, um festzustellen, dass die Stereotype inzwischen überkommen sind. Bundesweit ist Greifswald jedoch nicht das einzige Projekt. In 16 weiteren Städten und Orten setzt die Initiative kreative Vorhaben um, die unterschiedlicher nicht sein können. 

Dabei ist Deutschland nicht das erste Land, in dem die Initiative Neue Auftraggeber mit ihrem ungewöhnlichen Konzept frischen Wind in fade Stadtsavannen bringt. Die Idee, zeitgenössische Künstler*innen und Mediationsprofis zur Erprobung ziviler Allianzen und zum Entwurf alternativer Stadtbilder einzuladen, hatte der Künstler François Hers bereits 1992 in Frankreich. Zuerst äußerten viele Fachleute Zweifel an den Nouveaux Commanditaires. Den meisten Menschen läge Kunst nicht besonders nahe. Sie kämen nicht auf die Idee, Kunst als Handlungsmöglichkeit in Betracht zu ziehen. Auch die Künstler*innen würden sich, besonders nachdem sie sich einen Namen gemacht hatten, wenig für die lokalen Probleme einiger Kleinstädte interessieren. Doch die Bedenken bestätigten sich nicht. Statt belangloser Scherereien einfacher Leute sahen viele Kunstschaffende in den Projekten neue Herausforderungen, und wollten das Vertrauen, das ihnen von den Menschen entgegengebracht wurde, auf keinen Fall enttäuschen. Die örtlichen Partner*innen der Projekte zeigten sich ebenso offen für den Prozess – wo die Sorge groß ist, ein Problem nicht mehr abwehren zu können, wächst der Bedarf nach überraschenden Lösungswegen. So sind seit der Gründung 600 Projekte in ganz Europa entstanden. Zehntausende Menschen engagierten sich insgesamt in Frankreich, Belgien, Italien, Deutschland, Spanien, der Schweiz und neuerdings sogar in Kamerun. 

Immer gleich bliebt dabei das Anliegen der Initiative Neue Auftraggeber: das Privileg der Auftragskunst zu demokratisieren. Schon seit der Antike zieht sich ein roter Faden bürgerlicher Kunstaufträge durch die europäische Kulturgeschichte, so Alexander Koch, Direktor der Initiative in Berlin. Aber selbst in diesen Fällen handelt es sich meist um gut Situierte, die ihr Ansehen verbessern wollten. Damit soll nun Schluss sein, denn Demokratie heißt auch Mitverantwortung und Mitbestimmung am gesellschaftlichen und kulturellen Prozess. Dafür muss Kunst eine Sprache werden, die alle sprechen können, und kein „Dialekt Privilegierter“. Auch unter freiem Himmel im sogenannten Brennpunktviertel oder inmitten der sich langsam auflösenden Dorfgemeinschaft, kurz: dort, wo sie nicht vorgesehen ist. Die neue Rolle der Kunst sieht nicht mehr vor, das fertige Werk in den Fokus zu stellen, das Kenner an der Museumswand nachträglich und distanziert analysieren können. Vielmehr sollte die Kunst gemeinschaftlich entwickelt werden, mit einem klaren Ziel, das alle teilen, und das unmissverständlich nach außen transportiert wird. In einem solchen Prozess wird die soziale Wirklichkeit nicht unangetastet reflektiert, sondern neu hervorgebracht, wie es die Initiative schon in zahlreichen Projekten erreichen konnte. 

Gesellschaft der Neuen Auftraggeber (Hrsg.) (2022): Kunst im Bürgerauftrag – Projekte, Orte, Debatten. Spector Books, Leipzig, Deutschland. 1. Auflage.  

Literaturhinweise

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